Werbung für 75 Jahre Grundgesetz auf einer elektronischen Litfaßsäule in der Nadlerstraße in Stuttgart Foto: Jan Sellner

Das Grundgesetz wird 75 Jahre alt. Der baden-württembergische Landtag veranstaltet dazu am Mittwoch eine große Bürgersprechstunde auf dem Opernplatz. Daneben gibt es eine Reihe lokaler Initiativen in der Absicht, die Demokratie zu feiern.

Der Verfassungstag zieht die Stuttgarter an. 9000 sind es, die sich aus diesem Anlass in der Stadthalle versammeln. Es ist „die wuchtigste Kundgebung seit Jahren“, wie es in der Presse heißt: „Nie war in den vergangenen Jahren die offizielle Verfassungsfeier stärker besucht als die gestrige. Nie war der Beifall für Redner und Sänger und Orchester größer und wärmer. Und das in dieser wirtschaftlichen Notzeit, wo die Gegner der Republik eine latente Krise der Verfassung feststellen wollen und bereits von ihr erzählen, dass sie ,tot wäre.“ Die Feststellung ist in der Tat „sehr erfreulich“, wie der Berichterstatter feststellt. Man kann ihr ohne weiteres zustimmen.

Allerdings schreiben wir nicht 2024, sondern gehen 93 Jahre zurück ins Jahr 1931. In der Ausgabe vom 12. August berichtete die „Schwäbische Tagwacht“, eine regionale SPD-Tageszeitung in Stuttgart, mit diesen Worten über den Verfassungstag am 11. August. Sie lobt „die Kraftanstrengung, die den Stuttgarter Republikanern alle Ehre macht: am Sonntag bei der Verfassungsfeier des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold eine überfüllte Stadthalle und zwei Tage später schon wieder etwa 9000, fast alle Plätze der Stadthalle besetzt. So feiert man keine Verfassung, die tot ist.“ So beeindruckend die Kulisse, so niederschmetternd, was folgte. Zwei Jahre später gab es die am 31. Juli 1919 in Weimar beschlossene, am 11. August unterzeichnete und am 14. August 1919 verkündete erste demokratische Verfassung Deutschlands nicht mehr. Und auch keinen Reichsbanner und keine „Schwäbische Tagwacht“ mehr. Die Nationalsozialisten hatten die Republik und ihre Verfassung zertrümmert.

Grundgesetz-Feier auf dem Opernplatz

Die Verfassungsfeiern, die seit 1920 jährlich in Stuttgart und anderswo mit unterschiedlich starkem Zuspruch abgehalten worden waren, hatten nicht verhindern können, dass die Feinde der Republik triumphierten. Man kann daraus schlussfolgern, dass 9000 Stuttgarter Republikaner zu wenig waren und viel mehr notwendig gewesen wären. Vielleicht eine Ermutigung, sich für die Jubiläumsfeiern des Grundgesetzes zu interessieren, die an diesem Mittwoch, 8. Mai, in der Landeshauptstadt stattfinden. An diesem Tag vor 75 Jahren hat der Parlamentarischen Rat die Verfassung der Bundesrepublik beschlossen. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz offiziell verkündet.

Die Verhältnisse sind nicht direkt vergleichbar. Die Weimarer Verfassung war nicht annähernd so stark verankert wie das Grundgesetz, doch fehlt es auch heute nicht an Verfassungsfeinden, die Grundwerte in Frage stellen. Jedenfalls nimmt der baden-württembergische Landtag den 75. Geburtstag zum Anlass, die Verfassung und die Demokratie zu feiern. Zwar gibt es die Stadthalle nicht mehr, doch auch jetzt spielt wieder ein Orchester. Ab 12.30 Uhr findet im Foyer im I. Rang des Opernhauses ein Lunchkonzert mit vier Cellisten des Staatsorchesters statt. Anschließend geht es mit Ensemblesänger Matthias Klink und seiner Band Jabb vor dem Opernhaus weiter. Von 13.30 Uhr an lädt der Landtag unter dem Motto „Deine Stimme zählt!“ Bürgerinnen und Bürger zu Gesprächen mit Abgeordneten auf den Opernvorplatz ein. Am Abend findet in der Lobby des Landtags ein Festakt zum Verfassungsjubiläum statt. Es spricht der frühere Bundespräsident Joachim Gauck.

Was wird aus der Idee für einen „Platz der Demokratie“?

Erwähnung verdienen in dem Zusammenhang auch lokale Initiativen zur Würdigung und Stärkung der Demokratie. So hatte die Stuttgarter SPD-Fraktion beantragt, den Fußgängerbereich der Kronprinzstraße, Ecke Kienestraße, als „Platz der Demokratie“ zu benennen und die anstehenden Feierlichkeiten zum 75. Jubiläumstag des Grundgesetzes am 23. Mai für eine feierliche Einweihung zu nutzen. SPD-Stadtrat Michael Jantzer hatte argumentiert, eine starke und wehrhafte Demokratie brauche neben Vorbildern auch Orte und Plätze, die an die demokratischen Wurzeln erinnerten. Der geschichtliche Hintergrund: Das verbliebene Frankfurter Paulskirchenparlament war im Frühsommer 1849 kurzzeitig in die württembergischen Ständekammer an der Kienestraße Ecke/Kronprinzenstraße gezogen.

Die Demokratie feiern, das hat sich auch Patrick Bopp von der Stuttgarter A-cappella -Formation Die Fuenf vorgenommen. Unter dem Eindruck eines politischen Rechtsrucks und im Hinblick auf die Europawahlen am 9. Juni lädt Bopp für den 2. Juni um 12 Uhr zum gemeinsamen Singen für Demokratie, Menschenrechte und Europa und gegen Hass und rechte Hetze auf dem Marienplatz ein. Das Motto lautet „Aus voller Kehle“. Allerdings ist die Finanzierung noch nicht gesichert. Aktuell fehlten 5000 Euro, teilten die Veranstalter mit. Man hoffe, diesen Betrag über Spenden zu erhalten.

Weitere Infos unter: https://stuttgart-hand-in-hand.de