In den rumänischen Karpaten treibt ein illegales Netzwerk den Kahlschlag weiter voran. Foto: imago/EST&OST/imago stock&people

Wälder haben einen hohen Wert im Kampf gegen den Klimawandel. Anna Deparnay-Grunenberg (Grüne) spricht im Interview darüber, was das EU-Parlament für deren Schutz unternimmt und warum sie sich dabei von den Konservativen allein gelassen fühlt.

Knapp 40 Prozent der Europäischen Union ist von Wäldern bedeckt. Wie gut diese geschützt werden, hängt stark von den Mitgliedsstaaten ab. Im Interview spricht die EU-Abgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg über die Vorhaben des EU-Parlaments und das „Gerangel zwischen EU und Mitgliedsstaaten“.

In Estland werden Schutzgebiete abgeholzt. In Rumänien lassen sich riesige Kahlschläge beobachten. Wie lässt sich ein europäischer Fortschritt beim Waldschutz erzielen?

Wenn wir den Schutz von Klima und Artenvielfalt ernst nehmen, brauchen wir dringend eine nachhaltige Waldwirtschaft für alle Wälder. Leider gibt es ein Gerangel zwischen EU und Mitgliedsländern, wer darüber entscheiden darf, was wie genutzt und geschützt wird. Bislang obliegt der allergrößte Teil der europäischen Wälder der nationalen Forstgesetzgebung. Wir brauchen deshalb gemeinsame Mindeststandards, wie wir naturnahe Forstwirtschaft in der EU betreiben. Dazu haben wir Mitte April schon das Gesetz zu entwaldungsfreien Lieferketten beschlossen. Damit nehmen wir die Unternehmen in die Pflicht.

Die Vorschriften zu den Schutzgebieten werden von den Mitgliedsländern ganz unterschiedlich umgesetzt. Um dem entgegenzuwirken, fordern Sie klare Kontrollmechanismen.

Ja, wir brauchen Kontrollen, aber eben auch EU-weit einheitliche Standards für Waldwirtschaft. Derzeit ist es ja so, dass wir mit unseren starken Landes- und Bundeswaldgesetzen im gleichen Binnenmarkt Holz verkaufen wie Länder, die riesige Kahlschläge machen dürfen. Dort sind Ernte und Logistik logischerweise viel billiger.

Holzverbrennung gilt nach wie vor als erneuerbare Energiequelle. Schadet das dem Kampf gegen die Klimaerwärmung?

Wir von den Grünen haben gefordert, dass die Holzverbrennung nur als erneuerbar gilt, wenn wir uns auf eine strenge Definition für regionale und nachhaltige Forstwirtschaft einigen. Leider konnten wir diese Forderung bislang nicht durchbringen. Dabei ist eigentlich klar, dass Holz erst mal für langfristig nutzbare Dinge wie Dachstühle oder Parkett dienen sollte statt zum Verfeuern. Denn sonst geht das CO2, das der Baum in 150 Jahren gespeichert hat, in einer Sekunde wieder in Luft. Wenn jedoch lokal aus Restholz Wärme vor Ort erzeugt wird, ist nichts dagegen einzuwenden.

Die Natur fällt bei politischen Entscheidungen oft hinten runter. Was meinen Sie, woran das liegt?

Menschen beschweren sich, wenn es an Krankenhäusern fehlt oder die Mensa zu klein ist, die Natur ist dagegen leise. Als lokal gewählter Mensch muss man stark sein, um zu entscheiden, nicht noch einem Gewerbepark zu genehmigen oder den Neubau einer Schule, sondern den Wald zu erhalten. Und für Waldbesitzer bedeutet weniger Holz zu schlagen weniger Profit. Die Gesellschaft muss sie deshalb im Sinne des Gemeinwohls kompensieren.

Bei der Kompensierung könnte ein Waldmonitoring-Gesetz helfen, von dem Sie erwarten, dass es noch dieses Jahr vorgeschlagen wird.

Es wäre höchste Zeit, dass die Kommission so einen Vorschlag macht. Dann hätten wir in Europa zumindest Daten, um den Zustand der Wälder zu vergleichen. Wir wüssten dann zum Beispiel, wie viel Totholz und Feuchtigkeit im Wald steckt. Das gibt Aufschluss darüber, wie viel der Waldbesitzende für Klimawandel und Biodiversität tut beziehungsweise unterlässt.

Sie fordern außerdem ein Kahlschlag-Verbot.

Natürlich. Der einzige Grund, warum man den Wald im großen Stil kahl schlägt, ist Profitmaximierung. Kahlschlag ist Zerstörung pur. Dabei stirbt der Waldboden samt Wurzeln und Mikroorganismen, die Fläche wird für Jahrzehnte zum CO2-Emittenten. Und das, was danach angepflanzt wird, ist immer gleich alt und sehr anfällig gegen Wetterextreme. Ich finde es unfassbar, dass Kahlschläge in vielen EU-Mitgliedsstaaten zum forstwirtschaftlichen Alltag gehören.

Sie kommen aus der Region Stuttgart. Wie steht es um die Wälder Baden-Württembergs?

Da sind wir eher gesegnet. Das Landeswaldgesetz ist recht fortschrittlich, wir machen schon lange keine großen Kahlschläge mehr und haben keinen enormen wirtschaftlichen Druck auf die Wälder, weil wir anders als etwa die Rumänen nicht auf die Erlöse aus der Waldwirtschaft angewiesen sind. Trotzdem sehen wir die gleichen Probleme wie überall: Es ist zu trocken, die Baumkronen lichten sich, und die Bäume sind anfällig für Käfer.

Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, sagt, der Waldzustandsbericht spiegelt die Fehler und Inkonsequenz beim Klimaschutz von vor 20 Jahren wider. Wurde der Waldschutz verschlafen?

Die Fehler der Vergangenheit würde ich eher vor fast hundert Jahren sehen, als man dachte der Wald könnte eine Holzfabrik sein und man anfing, im großen Stile Fichtenmonokulturen anzupflanzen. Als Grüne plädieren wir schon immer dafür, diese Plantagen in Mischwälder umzubauen. Das ist jetzt aktueller denn je, um Wälder gegen die Klimaerwärmung und Waldbrände zu schützen.

Die EVP gerät immer wieder in die Kritik, Klimagesetze zu blockieren. Frustriert es Sie, mit den Konservativen zu verhandeln?

Ich unterstelle ihnen keine bösen Absichten, aber die Konservativen konzentrieren sich zu sehr auf die kurzfristige Abhilfe gegen Probleme eines kranken Systems. Bei der Langfristperspektive habe ich den Eindruck, wir Grüne haben keine Verbündeten. Derzeit kämpfen wir im Europaparlament gegen den Widerstand von Liberalen, Konservativen und Rechtsextremen darum, dass das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur überhaupt ausgearbeitet wird. Es wäre das wichtigste Naturschutzgesetz seit 30 Jahren und sähe vor, dass wir 20 Prozent der Landes- und Meeresflächen wieder in einen naturnahen Zustand bringen. Die Konservativen schüren leider derzeit eher Ängste, als dass sie mit uns Chancen verhandeln.

Fühlen Sie sich als Abgeordnete der Grünen manchmal als Spaßbremse missverstanden?

Sicherlich, weil mir macht es absolut keinen Spaß, den Leuten zu sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Aber ich halte es für eine menschliche Errungenschaft, uns im Kollektiv auf Lösungen zu einigen, von denen die Gesellschaft insgesamt profitiert. Wir als Abgeordnete haben die Aufgabe, solche Lösungen zu finden, auch wenn diese am Anfang nicht unbedingt jedem einleuchten.

Förderung für Waldbesitzer

Hintergrund
Um Waldbesitzende darin zu unterstützen, die Wälder als wichtige Kohlenstoffspeicher zu erhalten und sie nachhaltig zu bewirtschaften, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft das Förderprogramm „Klimaangepasstes Waldmanagement“ geschaffen.

Kriterien
Private Waldbesitzende erhalten eine Förderung von zehn oder 20 Jahren, sofern sie zwölf Kriterien einhalten – darunter der Aufbau unterschiedlicher und heimischer Baumarten oder der Verzicht von Kahlschlägen.