Der Wald um die Großstadt dient vor allem der Erholung, er muss aber viele andere Funktionen erfüllen. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

In den nächsten zehn Jahren will die Landeshauptstadt für ihre 2700 Hektar Wald einen Paradigmenwechsel vollziehen. Klimastabilität und Erholung stehen ganz vorn.

Stuttgart - Im 2700 Hektar großen Stuttgarter Stadtwald sollen die Prioritäten in den nächsten zehn Jahren verschoben werden. An erster Stelle stehe nicht mehr der Nutzen des Forstes, der der Stadt pro Jahr etwa 600 000 Euro einbringt, sondern seine Schutzwirkung, sein Beitrag zur Klimastabilität und Erholung. „Wir haben keine Lust auf das Sägen“, erklärte Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) am Freitag vor dem Klimaausschuss des Gemeinderates.

Ganz schweigen wird die Motorsäge in der nächsten Dekade dennoch nicht, denn ein klimastabiler Wald müsse aufgebaut werden und brauche Pflege. Dazu werde man „Buchenjungbestände reduzieren müssen“, so Thürnau. Im Beschlusspapier ist von Pflanzung, Jungbestandspflege und „kontinuierlicher Durchforstung“ die Rede. Die Notwendigkeit der Eingriffe müsse man den Stuttgartern klar machen, appellierte Thürnau an alle Fraktionen. Die aktuelle Zustandsbeschreibung sieht so aus: „Wir werden zugemailt mit Beschwerden, sobald irgendwo im Wald ein Baum gefällt wird.“

Lichte Waldstücke fürs Klima

13 Punkte hat die Verwaltung zusammen mit dem Mitte 2019 eingerichteten Waldbeirat als künftiges Leitbild erarbeitet. Doch nicht jeder im Beirat, vor allem nicht die Bürgerinitiative Zukunft Stuttgarter Wald, sieht seine Wünsche und Forderungen berücksichtigt. Die Initiative sieht den Beirat als gescheitert an (was die SPD explizit verneinte) und propagiert das naturnahe „Lübecker Modell“, also möglichst wenig Eingriffe. Dann aber werde die Buche überhandnehmen, so Thürnau. Außerdem seien bereits acht Prozent der Fläche „stillgelegt“. Eine Mehrheit von 13 zu zehn Stimmen im Beirat forderte zehn Prozent still gelegter Fläche und erhielt am Freitag, ohne dass darüber abgestimmt wurde, Unterstützung von Grünen, SPD, Linksbündnis und Puls. Eine Ausweitung sei schwierig, weil bestehende Gebiete dann ergänzt werden sollten, man aber einem enormen Nutzungsdruck gegenüberstehe, so Thürnau. Die zehn Prozent wolle man zwar prüfen, aber nicht als verbindliches Ziel festschreiben. Konrad Zaiß (Freie Wähler) unterstütze Thürnau in diesem Punkt. Bei mehr stillgelegter Fläche wachse der Druck auf den Rest. „Wohin mit all den Leuten und den Radfahrern?“,fragt Zaiß.

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Weil die bisherige Waldbewirtschaftung lichtliebende Arten nicht fördert, diese aber eine Hilfe bei der Klimaanpassung der grünen Lunge sein können, soll der Anteil lichter Waldstücke vergrößert werden. Wo sich nicht mindestens vier klimastabile heimische Baumarten durchsetzen können, sollen Douglasien und Roteichen zur Verjüngung gesetzt werden. Auch gebietsfremde Arten aus Süd- und Osteuropa können versuchsweise einen Platz finden, sofern schon Erfahrungen mit diesen vorliegen. Die mechanische Holzernte wird weiter betrieben werden. Der Einsatz eines Vollernters (Harvester) sehe zwar „martialisch aus“, er sei aber wegen des geringeren Bodendrucks „schonender als ein Trecker“, so Thürnau. Am 10. März soll der Gemeinderat die neuen Ziele beschließen, die Betriebsplanung samt Hiebsatz soll aber erst Anfang 2023 nach der Waldinventur abgestimmt werden.