Die streikbereiten EVG-Mitglieder können ihre Fahnen voraussichtlich wieder einrollen. Foto: dpa/Annette Riedl

Im Tarifkonflikt zwischen Deutscher Bahn und Gewerkschaft EVG ringen die Vermittler Heide Pfarr und Thomas de Maizière beiden Seiten die Zustimmung für ihren Schlichterspruch ab. Nun fehlt noch ein positives Votum in der Urabstimmung.

Im Tarifkonflikt zwischen der Deutschen Bahn (DB) sowie der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ist ein friedliches Ende ganz nahe gerückt. Die beiden Schlichter – die Arbeitsrechtlerin Heide Pfarr (SPD) und der frühere Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) – haben mit Zustimmung beider Seiten einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der für die weitaus größte Zahl der 110 000 bei der DB AG beschäftigten EVG-Mitglieder ein dauerhaftes Lohnplus im zweistelligen Bereich bis Ende 31. März 2025 bringt. Die Bahn spricht von Zuwächsen in Höhe von durchschnittlich elf Prozent – was etwa auf dem Niveau des Abschlusses im öffentlichen Dienst liegt.

„Für die Deutsche Bahn bedeutet unsere Einigungsempfehlung einerseits die Zustimmung zu dem höchsten und teuersten Tarifabschluss in der Geschichte des Konzerns“, betonte Pfarr. Die Bahn werde „erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um diesen Abschluss finanzieren zu können“. Andererseits gebe die lange Laufzeit eine hohe Planungs- und Finanzierungssicherheit, was vor allem mit Blick auf die geplante Erneuerung der Infrastruktur eine Rolle spielt. „Ein unbefristeter Streik mit einem ungewissen Ausgang wird ebenso verhindert wie ein gemeinsamer Reputationsverlust der Deutschen Bahn und der EVG“, lobte Pfarr.

Bis zu 900 Euro mehr im Monat für den Fahrdienstleiter

Konkret wird eine Entgelterhöhung in fast allen Bereichen um 410 Euro in zwei Stufen und als Festbeträge empfohlen, was vor allem untere Lohngruppen begünstigt: Geplant sind 200 Euro im Dezember 2023 und 210 Euro im August 2024. Schon im Oktober dieses Jahres soll es eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie von 2850 Euro geben. Hinzu kommen strukturelle Lohnzuwächse für fast 70 000 Beschäftigte, denn in diversen Schlüsselfunktionen gibt es durchschnittlich weitere 100 Euro im Monat oben drauf.

EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch nannte als Beispiele den Fahrdienstleiter, der auf bis zu 900 Euro mehr im Monat (ca. 30 Prozent Lohnplus) kommt. Der Zugbegleiter erhält bis zu 840 Euro mehr (22 Prozent). Werkstattmitarbeiter, Instandhalter, Stellwerker sowie die Kräfte im Service im Zug oder am Bahnhof erzielen bis zu 860 Euro mehr (24 Prozent). Damit sei eine Spaltung der Berufsgruppen verhindert worden, sagte der Verhandlungsführer. Die Laufzeit des Tarifvertrags werde gegenüber dem vorherigen Verhandlungsstand von 27 auf 25 Monate verkürzt. „Das bedeutet, dass die neue Tarifrunde bereits in 20 Monaten startet.“

Die EVG sei mit einem unverkennbaren Nachholbedarf in die Tarifrunde gegangen, sagte de Maizière. Die Belegschaft hätte beim „Bündnis für unsere Bahn“ infolge von Corona zuvor erhebliche Zugeständnisse gemacht. Der letzte Lohnabschluss habe zu einer Entgelterhöhung von lediglich 1,5 Prozent geführt. Absolut und relativ betrachtet bringe der Schlichterspruch nun die „größte Erhöhung, die die EVG je errungen hat“.

Wegen des Personalmangels hätten die Tarifparteien auf Anregung der Schlichter ein Paket unter der Überschrift „Weichen stellen für Beschäftigte und Kunden“ beschlossen. Dabei gehe es darum, neue Kräfte einzustellen oder Teilzeitarbeit planbarer zu machen in der Erwartung, dass damit Teilzeitverträge aufgestockt werden können. Auch soll auf freiwilliger Basis eine längere Lebensarbeitszeit angeboten werden. „Das ist ein innovativer Ansatz, der eine Win-Win-Win-Situation für Bahn, Belegschaft und Kunden bedeutet“, sagte Pfarr.

„Finanzielle Überforderung der Deutschen Bahn vermieden“

DB-Personalvorstand Martin Seiler begrüßte die „salomonische Empfehlung“, mit der das Unternehmen „an die absolute Grenze des wirtschaftlich Machbaren“ gehe. „Wir haben eine finanzielle Überforderung der Deutschen Bahn vermieden und gleichzeitig die Möglichkeit für eine positive Mobilitätswende geschaffen“. Neue Arbeitsmodelle sollen die „Grundlagen schaffen für mehr Flexibilität und Produktivität“. Beispielsweise sollen Lokführer der DB Cargo, wenn gewünscht, längere Strecken auch mit Übernachtung fahren dürfen, wofür sie dann entsprechende Zulagen erhalten. Solche Modelle gäben auch den Spielraum, „um am Ende mehr Zeit für die Kunden zu haben“.

Ergebnis der Urabstimmung für 28. August erwartet

Nach Angaben der Bahn soll der Tarifabschluss für rund 180 000 Mitarbeitende in rund 500 verschiedenen Berufen gelten. An diesem Freitag will sich der EVG-Bundesvorstand damit befassen. Das letzte Wort sollen die Mitglieder in der Urabstimmung haben, wobei mit einer deutlichen Zustimmung zu rechnen ist. Das Ergebnis wird wegen der Ferien erst am 28. August erwartet.

Loroch verteidigte das harte Vorgehen der EVG in der Tarifrunde – etwa den gemeinsamen Megastreik mit Verdi. „Wir müssen in diesem Land lernen, dass Gewerkschaften zusammenstehen müssen“, denn Spaltung sei das große Übel. Dies sei auch die richtige Strategie für die Zukunft.