Unsere Vorfahren stammen aus Afrika. Vor 1,5 Millionen Jahren machten sie sich den langen Weg nach Norden. Einige Zehntausend Jahre später verlieren sich ihre Spuren im Nirgendwo. Was war geschehen? Eine neue Studie bringt Licht ins Dunkel der Frühgeschichte Europas.
Afrika ist die Wiege der Menschheit. Die „Out-of-Africa“-Hypothese, wonach alle Frühmenschen von der südlichen Halbkugel der Erde stammen, ist längst Allgemeingut der Paläoanthropologie – also jener Wissenschaft, die sich mit den alten, stammesgeschichtlich frühen und ausgestorbenen Arten der Hominini beschäftigt.
Vor mehr als zwei Millionen Jahren verließen die frühen Vorfahren des Homo sapiens – des modernen Menschen, von dem wir abstammen – Afrika und wanderten bis nach Asien und Europa. Dort wurden sie vor rund 1,5 Millionen Jahren sesshaft.
Warum verliert sich die Spur unserer Vorfahren im Nirgendwo?
Doch vor rund 1,1 Millionen Jahren verliert sich ihre Spur im Nirgendwo. Was war geschehen? Was waren die Gründe für den Kollaps der ersten frühzeitlichen Populationen auf dem europäischen Kontinent?
Eine neue Studie bringt jetzt Licht in das faszinierende Dunkel der Frühgeschichte. Demnach brach vor circa 1,1 Millionen Jahren eine heftige Kaltzeit über Europa herein, die nahezu alle Frühmenschen aussterben ließ. Doch der Reihe nach:
Wann verließen die ersten Frühmenschen Afrika?
In Afrika hat es Hominine – dass heißt, Arten der Gattung Homo einschließlich des heute lebenden Menschen sowie seiner ausgestorbenen Vorfahren – vermutlich schon vor mehr als sechs Millionen Jahren gegeben, erklärt der Paläontologe John Kappelman von der University of Texas in Austin.
Archäologen hatten 2018 in China die bisher mit Abstand ältesten Hinweise auf die Frühmenschen-Spezies des Homo erectus außerhalb Afrikas entdeckt. In Shangchen in der Provinz Shaanxi fanden sie Steinwerkzeuge sowie Tierknochen in Sedimentschichten, die bis zu 2,1 Millionen Jahre alt waren.
Bisheriger Rekordhalter in Eurasien ist mit einem Alter von 1,8 Millionen Jahren die Fundstätte Dmanissi in Georgien, an der frühmenschliche Knochen von Homo erectus entdeckt worden sind.
Wer waren die ersten Frühmenschen in Deutschland?
frühesten Spuren von Menschen in Deutschland sind im Mai 2023 in Niedersachsen gefunden worden. Ein Forscherteam der Universität Tübingen stieß in einer Ausgrabungsstätte in Schöningen (Landkreis Helmstedt) auf rund 300 000 Jahre alte Fußabdrücke. Sie sind die ältesten in Deutschland bekannten menschlichen Spuren und stammen wahrscheinlich von „Homo heidelbergensis“.
„Unter den Abdrücken befinden sich auch drei Spuren, die mit Fußabdrücken von Homininen übereinstimmen“, erläutert der Archäologe Flavio Altamura vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen.
Wann wurde Europa besiedelt?
Der Homo heidelbergensis war nicht der erste Frühmensch auf dem europäischen Kontinent. Die nachweislich ältesten Belege für eine frühmenschliche Besiedlung stammen aus Italien und Spanien und sind 1,5 bis 1,4 Millionen Jahre alt.
Danach kam der nächste Schritt in der Geschichte menschlicher Migration: Vor etwa 900 000 Jahren wanderte Homo erectus, der Vorfahre des Neandertalers, nach Südeuropa ein, wie Forscher des Institute of Basic Science des University College London und des Natural History Museum in London in einer neuen Studie im Fachmagazin „Science“ („Extreme glacial cooling likely led to hominin depopulation of Europe in the Early Pleistocene“) berichten.
Die nächstfolgenden Fossilfunde – Schädelfragmente des Homo antecessor – stammen aus der Zeit vor rund 850 000 Jahren. Was war in der Zwischenzeit geschehen?
Warum starben Europas erste Frühmenschen aus?
Vor etwa 1,1 Millionen brach eine Kälteperiode über Europa herein, die 31 000 Jahre andauerte und den Großteil der Frühmenschen erfrieren ließ. Wer überlebte, zog zurück nach Afrika. Der Mittelmeerraum kühlte so stark ab, dass die eiszeitlichen Kältesteppen für Zehntausende Jahre unbewohnbar wurden - auch deshalb, weil die Frühmenschen noch kein Feuer, keine warme Kleidung und Unterkünfte kannten.
„Zu unserer Überraschung haben wir festgestellt, dass es schon vor rund 1,1 Millionen Jahren eine Kaltzeit gab, die mit einigen der harschesten Phasen der letzten Eiszeiten vergleichbar war“, sagt Vasiliki Margari. Ein vor der Küste Portugals entnommener Sedimentbohrkern zeigt für diese Zeit fossile Veränderungen, die auf einen starken Einstrom von Meerwasser aus arktischen Breiten vor 1,15 Millionen Jahren hindeuten. Dadurch sanken die Temperaturen der oberen Meeresschichten vor der Küste der Iberischen Halbinsel auf sechs Grad ab.
Welchen Folgen hatte die Kälteperiode?
Durch das eiszeitliche Klima veränderte sich die Vegetation radikal. An die Stelle der Urwälder trat eine karge Steppe. „Der nordatlantische Kälteeinbruch verwandelte die Vegetation Westeuropas in eine unwirtliche Halbwüsten-Landschaft“, erklärt Vasiliki Margari. Gletschersedimente im Bohrkern deuteten zudem auf eine zunehmende Vereisung des Kontinents hin.
„Die anhaltende Klima-Instabilität war für die damalige Homininen-Population eine erhebliche Belastung“, resümieren die Autoren. Der Kälteeinbruch machte selbst Südeuropa für die frühen Menschen unbewohnbar.
Wann wurde Europa zum zweiten Mal besiedelt?
„Unsere Entdeckung einer extremen eiszeitlichen Kaltphase vor rund 1,1 Millionen Jahren widerspricht damit der Annahme einer kontinuierlichen Besiedlung Europas schon durch diese frühen Menschen“, betont Chronis Tzedakis vom University College London.
Für einige hunderttausend Jahre war Europa wahrscheinlich weitgehend menschenleer und wurde „erst vor rund 900 000 Jahren wieder rekolonisiert“, erläutert Chris Stringer. Die Frühmenschen der Spezies Homo antecessor seien resilienterer gewesen und verfügten über Fähigkeiten, die ihnen das Überleben in den folgenden Kaltzeiten ermöglichten.
Homo antecessor wusste, das Feuer zu beherrschen, warme Kleidung anzufertigen und schützende Unterkünfte zu errichten. Die Besiedlung Europas durch die Vorfahren der Neandertaler erfolgte danach in einem zweiten evolutionären Anlauf.