In der aktuellen Erkältungswelle arbeiten viele Kinderarztpraxen und Notaufnahmen an der Kapazitätsgrenze. Auch in Schulen und Kitas verursachen Atemwegsinfektionen Probleme. Die Landesregierung versucht mit besseren Informationsangeboten für Eltern gegenzusteuern.
Kann mein Kind mit triefender Nase in die Kita? Das fragen sich derzeit viele Eltern. Für den Stuttgarter Kinderarzt Özgür Dogan ist die Antwort klar: „Husten und Schnupfen allein machen ein Kind nicht krank.“ Wenn es ansonsten fit und munter sei und kein Fieber habe, könne es Kita oder Schule besuchen – jedenfalls aus medizinischer Sicht. Allerdings haben viele Einrichtungen in ihren Regularien festgelegt, dass erkältete Kinder zu Hause bleiben sollen.
Antworten auf diese und andere Fragen zur Erkältungswelle bei Kindern und Jugendlichen versprach Anfang der Woche ein Livestream, den das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration zusammen mit dem Landesfamilienrat veranstaltete. Geladen waren Experten verschiedener Fachrichtungen – darunter Ärzte, Apotheker und Kassenvertreter. Eltern konnten online Fragen stellen. Die Resonanz war so groß, dass der Server zeitweise den Geist aufgab.
Wissen, was zu tun ist
Die Landesregierung hofft, dass bessere Gesundheitsinformationen für Eltern die Belastung von Praxen und Kliniken in Infektionswellen etwas verringern. „Wenn Eltern die Krankheitszeichen ihrer Kinder richtig deuten können, wissen, wo sie Informationen finden und entscheiden können, wann es sinnvoll ist, in die Arztpraxis oder vielleicht auch zum Notdienst zu gehen, schützt das vor allem die Gesundheit der Kinder“, sagt Ute Leidig, Staatssekretärin im Sozialministerium. Es sei aber auch wichtig für das Funktionieren des Gesundheitssystems, „dass Eltern wissen, was wann zu tun ist“.
Ähnlich äußert sich Dogan. Der Kinderarzt plädiert für etwas mehr Gelassenheit bei Atemwegsinfektionen: „Unsere Aufgabe ist in erster Linie, Eltern aufzuklären. Die wollen wissen, ob es vielleicht etwas Schlimmes ist, ob sie etwas tun müssen.“ In den allermeisten Fällen könnten Kinder so einen Infekt einfach auskurieren: „Wenn es dem Kind gut geht, wollen wir erst mal möglichst wenig handeln und dem natürlichen Verlauf eine Chance geben.“ Dazu gehörten auch Schleimbildung, Husten und Fieber. Wenn es mit den Tagen eher schlechter als besser werde, sei zunächst ein Besuch beim Kinderarzt sinnvoll. Wer Probleme hat, einen Kinderarzt zu finden oder Termine zu bekommen, sollte sich an den Patientenservice der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wenden, der telefonisch unter 116117 und über die Website www.116117.de erreichbar ist.
Wie gefährlich ist die Long-Covid-Gefahr?
„Die meisten Kinder mit Infekten – wenn sie überhaupt zum Arzt müssen – können zum niedergelassenen Kinderarzt gehen“, sagt auch Friedrich Reichert, der die Pädiatrischen Interdisziplinäre Notaufnahme im Klinikum Stuttgart leitet. Wenn es schneller gehen soll oder beim Kinderarzt kein Termin zu bekommen sei, gebe es noch den kinderärztlichen Notdienst. Direkt in die Notaufnahme müssten Kinder nur, wenn sie sie nicht mehr richtig atmen können, kaum noch wach werden oder zu schwach zum Trinken sind. Solche Fälle seien aber selten.
Einige Zuhörer zeigen sich besorgt, dass angesichts der aktuell wieder häufigen Corona-Infektion auch das Risiko von Long Covid bei Kindern steigen könnte, zumal sich viele mehrfach infizierten. Spätfolgen seien zwar nicht ganz ausgeschlossen, so Reichert, aber die Daten zeigten, dass das Risiko bei Kindern klein sei. Corona entwickle sich nach und nach zur normalen Atemwegsinfektion.
Ein weiteres Thema waren Wiederzulassungsatteste, die teilweise von Kindergärten und Kitas verlangt werden. Darin sollen Ärzte bestätigen, dass ein Kind frei von ansteckenden Krankheiten ist. Dogan weigert sich, solche Atteste auszustellen, da sie medizinisch unsinnig seien. Tatsächlich geht auch von äußerlich gesunden Kindern ein Ansteckungsrisiko aus. Würden bei Kindern ohne Erkältungssymptome Abstriche gemacht, finde man in der Hälfte der Fälle mindestens ein Erkältungserreger, sagt Reichert.
Petra Pfendtner vom Landesfamilienrat sieht bei vielen Eltern eine große Unsicherheit, wenn es um die Gesundheit ihrer Kinder geht. Dabei spielten falsche Informationen in sozialen Medien eine Rolle, aber auch die Coronapandemie, die bei manchen zu einer „Hypersensibiliät“ geführt habe. Dem wolle der Landesfamilienrat mit geprüften Informationen entgegenwirken. Das Bündnis aus 23 Verbänden und Organisationen wird vom Sozialministerium finanziert. Auf der Website www.family-bw.de finden Eltern Hilfsangebote und Informationen zu den wichtigsten Lebensbereichen.
Im Chat loben etliche Zuhörer die Antworten im Livestream. Es gibt aber auch Kritik. Vereinzelt wird beklagt, die Referenten hätten Risiken kleingeredet und dem Infektionsschutz zu wenig Platz eingeräumt.
Diese Erreger sind unterwegs
Infektionen
Nach Angaben des Landesgesundheitsamtes (LGA) waren vergangene Woche 200 000 Menschen wegen akuter Atemwegserkrankungen beim Arzt – etwa halb so viele wie im Vorjahr, das noch stark von Nachholeffekten infolge der Corona-Schutzmaßnahmen geprägt war.
Erreger
Derzeit bestimmen Rhinoviren, RSV und das Coronavirus das Geschehen. Bei Influenza erwartet das LGA nach Weihnachten einen deutlichen Anstieg der Zahlen. lud