Bei der Vesperkirche geht es nicht zuletzt auch um die Gemeinschaft. Foto: Roberto Bulgrin

Gemeinschaft, nicht Geld im Fokus. Vom 21. Januar bis zum 4. Februar ist die Vesperkirche im Gemeindehaus wieder aktiv und verteilt günstige Mahlzeiten an jeden. Dennoch muss so mancher Gast auch hier auf sein Budget achten.

Hier können die einen ein günstiges Mittagessen und die Gemeinschaft genießen. Auch in diesem Jahr kommen hunderte Menschen zur Vesperkirche in Esslingen. Dennoch müssen einige Besucher planen, wie er mit einem geringen Restbudget durch die nächste Woche kommt. So manch eine Familie müsse sich eine einzelne Mahlzeit teilen, berichtet Bernd Schwemm, der Projektleiter der Vesperkirche. Für den einen undenkbar, für die anderen Realität: Einige Menschen in Esslingen müssen eine ganze Woche mit dem Budget auskommen, mit dem sich andere ein Mittagessen im Schnellrestaurant besorgen. Für sie ist es nicht einfach, ohne Unterstützung an eine vollwertige Mahlzeit zu kommen. Vom 21. Januar bis zum 4. Februar leistet die Vesperkirche ihnen Beihilfe.

Egal ob jung oder alt, wohlhabend oder arm, jeder soll hier gleichbehandelt werden. „Jeder, der kommt, kriegt einen Platz und etwas zu essen“, sagt Bernd Schwemm. Rund 200 Mahlzeiten werden pro Tag verteilt. Mit mehreren Gängen bekommen Besucher hier ein sättigendes Essen, das sich viele außerhalb der Vesperkirche nicht jeden Tag leisten könnten. Etwa 300 Ehrenamtliche helfen beim Verteilen des Essens. In weißer Schürze und Haarnetz gekleidet, stehen hier vor allem Senioren im Ruhestand, Geflüchtete oder Personen, die sich extra Urlaub genommen haben. Die Helfer wollen etwas tun, was die Welt bessert, und genießen es gebraucht zu werden.

Viele der Gäste seien Leute, die auf der Straße oft ignoriert werden oder an denen mit geneigtem Kopf vorbeigegangen wird, sagt Schwemm. Die Besucher der Vesperkirche seien froh, wenn Leute sich freuen, dass sie kommen. Die soziale Komponente sei bei der Vesperkirche fast wichtiger als das Essen, so der Vesperkirchenleiter. Gäste freuten sich über Verständnis und darüber, dass ihnen jemand zuhört. Die Vesperkirche schaffe Zusammentreffen, bei denen festgestellt wird, dass jeder eine Geschichte hat, egal wie simpel oder kompliziert diese sein mag.

Die Vesperkirche soll ein Ort des Miteinanders sein: Für Menschen in schwierigen Lebenslagen und diejenigen, die von der Begegnung etwas mitnehmen können. „Menschen sollen sich gegenseitig bereichern und achtsam und herzlich wahrnehmen“, sagt Bernd Schwemm. Das Konzept des Projekts sei darauf ausgelegt, die finanziellen Unterschiede zwischen Menschen unsichtbar zu machen. Dennoch räumt Schwemm ein, dass sich trotz der steigenden Armutsraten viele Menschen nicht trauen, ein Angebot wie die Vesperkirche anzunehmen. Die Klientel und Menge an Gästen sei also zu vorherigen Jahren in der Vesperkirche identisch. Schwemm sagt, dass einige sich aus Scham nicht als bedürftig bekennen oder sich aus Stolz nicht eingestehen wollen, dass sie Hilfe brauchen. Armut verstecke sich und man könne Leuten deren finanzielle Lage nicht ansehen.

Mahlzeiten bleiben so günstig wie es geht

Bis zum vergangenen Jahr fand die Vesperkirche zehn Jahre lang in der Frauenkirche statt. Der Wechsel in das Gemeindehaus am Blarerplatz erleichterte vieles. Der Aufbau sei leichter, Heizkosten seien geringer und die Kirchenbänke wurden gegen Stühle für die Gäste eingetauscht, sagt Schwemm. Mittlerweile sei das Projekt jedoch doppelt so teuer wie vor zehn Jahren, als Schwemm seine Arbeit in der Vesperkirche begann. Für das Essen, das normalerweise sieben Euro kosten würde, zahlen die Besucher nur 1,50 Euro, was dennoch für viele ein hoher Preis ist. Um das Projekt beizubehalten, sind die Initiatoren auf Spenden angewiesen. Einige Personen kommen und spenden vor Ort Geld für den guten Zweck, auch ohne eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Laut Schwemm, macht die Spendenbereitschaft sichtbar, dass das Projekt verstanden wird und gut ankommt. Dennoch laufe es womöglich wie im vorigen Jahr auf einen Verlust hinaus.

„Die Vesperkirche ist wie eine Wundertüte, man erlebt täglich etwas Neues“, sagt der Projektleiter. Jeden Tag hört er Geschichten von den Gästen im Gemeindehaus. Menschen erzählen von Schicksalsschlägen und der Not, in der sie stecken. Schwemm berichtet von Wohnungslosen, die mit ihrer Situation überfordert sind und Müttern, die mit ihren Kindern aus Obdachlosenheimen rausgeschmissen wurden. Für die meisten sind das unvorstellbare Lebensumstände. Viele Leute kommen auf ihn zu und fragen nach Rat und Unterstützung. „Jede Person ist hier erst mal ein weißes Blatt.“ Jeder müsse aus dem Schubladendenken rauskommen und sich vorstellen, mal selbst auf Projekte wie die Vesperkirche angewiesen zu sein. „Das, was jeder Mensch weitergeben kann, ist Würde und Wertschätzung.“

Vesperkirchen im Kreis laden ein

Hintergrund
Unter dem Motto „gemeinsam an einem Tisch“ laden die Vesperkirchen im Landkreis auch dieses Jahr wieder ein. Zusammen mit dem Kreisdiakonieverband im Landkreis Esslingen wollen die evangelischen Kirchengemeinden Unterstützung anbieten und Mahlzeiten für möglichst niedrige Preise verkaufen. Versorgt werden täglich hunderte Gäste mit warmem Essen und freundlichem Service von ehrenamtlichen Helfern. Für viele bedeutet das Projekt mehr als nur essen: Die Vesperkirchen möchten mit dem Projekt auf Armut aufmerksam machen und jeden Besucher willkommen heißen – egal ob arm, reich, einsam oder mit der gesamten Familie.

Termine
 Die Vesperkirche in Esslingen hat bis Sonntag, 4. Februar, im Gemeindehaus am Blarerplatz in der Franziskanergasse 4 geöffnet. In Nürtingen besteht das Angebot in der Lutherkirche noch bis Sonntag, 11. Februar, täglich von 11.30 bis 14 Uhr. Dort können weitere Dienstleistungen wie eine Digitalsprechstunde, ein Haustier- und ein Friseurservice in Anspruch genommen werden. Auch in Kirchheim wird ab 11.30 bis zum 11. Februar in der Thomaskirche Essen verteilt.