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Werner Sauter hat der Familie unseres Autors bei der Ausreise aus der DDR geholfen. Im Interview spricht er über Ansporn, Sorgen und Überraschungen.

Esslingen/Neu-Ulm Werner Sauter hat Familie Schmidt bei der DDR-Ausreise geholfen. Im Interview spricht der Patenonkel unseres Autors über Ansporn, Sorgen und Überraschungen.

Du hast uns mit unzähligen Briefen geholfen, aus der DDR auszureisen. Wieso?
Ich kannte Deine Eltern damals schon etwa zehn Jahre, und wir haben uns bei unseren Treffen in Ungarn und den Besuchen in der DDR viel über die Situation im Osten, insbesondere den psychischen Druck, unterhalten. Zunächst wollte ich sie keinesfalls ermuntern, eine Ausreise zu planen, weil ich Angst hatte, eine Verantwortung zu übernehmen, die ich nicht bewältigen kann. Die Wende war dann aber ein gemeinsamer Urlaub in Ungarn. Auf der Rückreise wurde Deine Familie an der Grenze auseinandergerissen und nach allen damaligen Regeln gefilzt und verhört. Danach wollten Deine Eltern ausreisen. Ich habe angeboten zu helfen – ohne zu wissen wie.

Wie bist Du dann vorgegangen?
Aus der Presse wusste ich, dass Ausreisen in Verbindung mit einem politischen Gegengeschäft möglich waren. Daher war klar, dass ich politische Unterstützung suchen musste. Über einen Bekannten habe ich einen Termin im Abgeordnetenbüro von Theo Waigel bekommen. Und ich habe weitere Politiker angeschrieben, unter anderem Lothar Späth und Erhard Eppler. Daneben habe ich nach offiziellen Stellen recherchiert, die sich in solchen Fällen eingesetzt haben.

Wie bleibt man bei der langen Warterei über Jahre am Ball?
Uns war klar, dass es ein langwieriger Prozess wird, und wir haben die Hoffnung nie aufgegeben. Weil damals niemand an die Wende geglaubt hat, sind wir realistisch rangegangen. Aber eine Grundspannung war stets da.

Wie hast Du in dieser Zeit Kontakt zu meinen Eltern gehalten?
Gemeinsame Ungarn-Urlaube waren nach dem Antrag passé, solche „Vergnügungen“ waren dann nicht mehr zulässig. Wir konnten Euch aber noch besuchen. Komischerweise. Obwohl wir nicht offiziell als Helfer aufgetreten sind, war der Stasi die Verbindung bestimmt bekannt. Wir haben zudem regelmäßig telefoniert, dafür aber eine Geheimsprache vereinbart. Bei den Besuchen waren wir hoch angespannt und haben darauf geachtet, dass wir in Eurem Haus nicht über die Ausreise reden. Das Thema haben wir bei Waldspaziergängen angesprochen.

Hast Du selbst keinen Schiss gehabt?
Schiss nicht, aber Respekt vor der Situation. Uns war klar, dass wir uns nichts erlauben dürfen, das es der Stasi ermöglicht, uns zu malträtieren.

Wie viel war in Deinen Briefen Taktik, wie viel hat der Wahrheit entsprochen?
Es war sicher mehr Taktik als Wahrheit. Wir wollten alle möglichen Argumente und Aspekte nutzen. Das ausschlaggebende Motiv war aber eindeutig der politische und gesellschaftliche Druck, den Deine Eltern auch im Interesse von Euch Kindern nicht mehr ertragen wollten. Das konnte ich absolut nachvollziehen. In der DDR zu leben war für mich eine Horrorvorstellung. Ich möchte aber noch was anderes erzählen . . .

. . . nur zu.
Als ihr rüber kamt, waren meine Frau und ich erschrocken, wie sehr der psychische Druck nachwirken kann: Bei einem Besuch im Landratsamt zeigte ich auf die Sprinkleranlage und sagte im Scherz: „Dort sind die Abhörgeräte.“ Da sind Deine Eltern beinahe vom Stuhl gekippt. Und als Deine Mutter hier erstmals in einen Supermarkt kam und die Angebotsfülle sah, hat sie geweint.

Das Interview führte Fabian Schmidt.

Professor Werner Sauter ist Experte für innovative Lernsysteme.

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