Die Nato begrüßt Finnland in ihren Reihen. Foto: dpa/Jussi Nukari

Finnland ist Teil der Nato. Das hatte sich Russland nicht so gedacht. Doch das ist nicht nur Grund zum Jubeln, kommentiert Christian Gottschalk.

Die jüngste Schlappe für Wladimir Putin ist 1340 Kilometer lang. Der russische Präsident wollte mit seinem Krieg ja nicht nur die Ukraine überrennen, sondern auch die Nato vorführen. Doch zumindest im Augenblick gibt sich das Nordatlantikbündnis stärker denn je. Mit der Aufnahme Finnlands verlängert sich die Grenze zwischen der Nato und Russland um 1340 Kilometer, das ist mehr Nachbarschaftskontakt, als es auf den bisherigen knapp 1200 Kilometern zwischen Russland und den Nato-Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen und Norwegen gegeben hatte. Und für die Geschichtsbücher ist es wichtig festzuhalten, dass nicht die Nato aggressiv an der Türe Russlands klopft. Es ist die pure Existenzangst Finnlands vor einem Aggressor im Osten, der die einstmals neutralen Finnen unter das schützende Dach des Militärbündnisses getrieben hat.

Finnland ist kein Bittsteller

Dass Finnland ein willkommener neuer Partner ist steht außer Frage. Es sind Zeiten, in denen Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht nur bei ehrbaren Kaufleuten eine Rolle spielen. Finnland kommt nicht als Bittsteller. Die Finnen bringen eine gut ausgebildete Armee in das Bündnis ein, sie verfügen über eine gegenüber manch anderem Natopartner vorbildliche Ausstattung und eine große Motivation. Das einzige Handicap ist eigentlich die Tatsache, dass nur Finnland alleine als neues Mitglied willkommen geheißen wird, und nicht auch die Nachbarn aus Schweden. Womit man bei den Problemen der Nato angelangt ist. Von denen gibt es einige.

Den Hirntod überwunden

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Zeiten wohl selten so brisant wie in diesen Tagen, und ein Zusammenstehen der im Bündnis Vereinten wäre bitter nötig. In Ungarn und der Türkei zählen innenpolitischen Aspekte aber so viel mehr, dass die Aufnahme Schwedens zumindest vorerst vertagt werden musste. Das sind keine guten Aussichten mit Blick auf das, was noch kommen kann. Denn die Nato hat zwar ihren Hirntod überwunden, der ihr vor nicht einmal vier Jahren von Emmanuel Macron diagnostiziert wurde. Um zu überleben braucht es aber mehr.

Drei Punkte sind zentral, die es möglichst schnell anzugehen gilt. Da ist zum einen die Dominanz der USA. Noch hat in Washington ein an Europa interessierter Präsident das Sagen. Das muss nicht immer so bleiben. Ohne die massive amerikanische Teilhabe wäre die Handlungsfähigkeit des Bündnisses in Europa aber zumindest schwer eingeschränkt.

Der zweite Punkt hat viel mit dem ersten zu tun: China. Für die USA ist das Land im Fernen Osten der größte Widersacher, auf das Drängen Washingtons hat die Nato im vergangenen Jahr ihren Fokus erweitert – und China als direkte Herausforderung für das Verteidigungsbündnis benannt. Wie groß das Nato-Engagement im Fernen Osten sein soll, das gilt es aber noch zu diskutieren.

Wer wird der neue Chef?

Und drittens geht es um einen Wechsel an der Spitze. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wird im September final das Feld räumen. Zu einer nochmaligen, außerplanmäßigen Verlängerung der Amtszeit soll es nicht kommen. Die Nachfolge ist noch offen. Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas zeigt Interesse an dem Amt – und an einem noch strengeren Umgang mit Russland. Ein reibungsloser Übergang wäre für das Bündnis in diesen Zeiten besonders wichtig.

Die Menschen im Land werden die Nato derweil erst einmal völlig anders wahrnehmen. Im Juni kommt es mit dem Manöver Air Defender 2023 zur größten Übung in der Luft seit Bestehen des Bündnisses. Behinderungen des zivilen Flugverkehrs inklusive. Geübt werden soll vor allem im deutschen Luftraum, und zwar die Verlegung großer Flugzeugverbände aus den USA nach Europa.