Die Einigung zwischen Deutscher Bahn und Gewerkschaft GDL heizt weitere Tarifkonflikte an, kommentiert Wirtschaftsreporter Daniel Gräfe. Auch im Zugverkehr ist die nächste Auseinandersetzung bereits abzusehen.
Die gute Nachricht lässt sich kurzfassen: Die Tarifeinigung von Deutscher Bahn und Lokführergewerkschaft GDL hat das drohende Chaos im Osterreiseverkehr abgewendet. Bis Ende Februar 2026 wird es keinen Streik im Zugverkehr geben – zumindest nicht vonseiten der GDL.
Auf den ersten Blick hat sich die GDL durchgesetzt mit ihrer Maximalforderung, mit der sie so unerbittlich in die Verhandlungen ging: Die Arbeitszeit für Schichtarbeiter wird auf 35 Stunden abgesenkt – und das bei vollem Lohnausgleich. Zusätzlich gibt es eine satte Inflationsausgleichsprämie und 420 Euro mehr Lohn. Doch die 35-Stunden-Woche kommt erst 2029 und damit Jahre später als von der Gewerkschaft gefordert. Erst 2026 sinkt die Arbeitszeit in einem ersten Schritt auf 37 Stunden, aber die Beschäftigten können weiter freiwillig mehr arbeiten – sogar 40 Stunden, wenn sie wollen. Pro Stunde gibt es 2,7 Prozent mehr Lohn.
Damit hat sich die Deutsche Bahn mit viel Geld Zeit und Flexibilität erkauft: Noch bis 2029 kann sie mehr Personal einstellen und gleichzeitig hoffen, dass die derzeit Beschäftigten für mehr Geld gleich lang oder gar länger arbeiten. Dann wird sich zeigen, ob Mitarbeiter wegen der beklagten Belastung tatsächlich ihre Arbeitszeit reduzieren. Zudem hat die Deutsche Bahn als Arbeitgeber an Attraktivität gewonnen – allerdings mit Geld, das anderen Projekten fehlen wird. Zumindest hat der Konzern aus seiner Sicht verhindert, dass der Tarifvertrag auch für die Beschäftigten für die Infrastruktur gilt – die größte Kröte, die die GDL schlucken muss.
Der latente Populismus war ein Trauerspiel
Dass die kleine Gewerkschaft ihren Abschluss laut Tarifeinheitsgesetz nicht auf andere Beschäftigte übertragen kann, ist der Hauptgrund, dass der Streit zwischen GDL und Bahn noch lange nicht beigelegt ist. Auch zur Tarifeinigung stichelte GDL-Chef Claus Weselsky gegen Bahnvorstand Martin Seiler, sprach von der „Willkür“ der „Herrschaften“, brandmarkte die „unzuverlässige und unpünktliche Bahn“. Es ist jener latente Populismus, der auf beiden Seiten die Auseinandersetzungen begleitete, das Image der Bahn weiter ramponierte, die Politikverdrossenheit förderte und der erprobten Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie in Deutschland massiv schadete.
Die Gesprächskultur war ein Trauerspiel, das eine Polarisierung im Land spiegelte, die sich zunehmend am eigenen Wunschdenken denn am Dialog und der Bereitschaft zu Kompromissen orientiert.
Weselskys Abgang erleichtert künftige Gespräche
Dass Claus Weselsky 2026 nicht in der Verhandlungsrunde sitzt, erleichtert künftige Gespräche. Die persönliche Abneigung zwischen ihm und Seiler haben die Verhandlungen jenseits der Sachfragen erschwert. Den harten Kurs wird aber auch Weselskys Nachfolger beibehalten – schon weil auch er den Erzfeind, die große Gewerkschaftsschwester EVG, ausstechen muss. Zwischen EVG und Bahn läuft der Tarifvertrag in einem Jahr aus, dann wären auch hier wieder Streiks möglich. Kaum vorzustellen, dass sich die EVG mit weniger als die GDL abspeisen lässt. Auch deshalb gibt es für die Bahnkunden nur bis zum nächsten Frühjahr Entwarnung.
In anderen Branchen eskaliert der Streit schon jetzt, auch hier steht die Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter ganz oben auf der Agenda. Mit Maximalforderungen à la GDL lassen sich Mitglieder gewinnen. Schon jetzt hat der Fachkräftemangel Verhandlungsposition und Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer gestärkt.
Insofern ist der Vertrag zwischen Bahn und GDL nicht das Ende harter Tarifauseinandersetzungen, sondern nur ein Zwischenstopp. Nicht nur bei der Bahn gilt künftig: Nach dem Streik ist vor dem Streik.