Sieben von acht Stadien sind extra für die WM in Katar gebaut worden. Es ist unklar, was aus ihnen wird, denn in dem Wüstenstaat spielt Fußball normalerweise keine große Rolle. Foto: picture alliance/dpa/Sharil Babu

Katar behauptet, die Fußball-WM sei klimaneutral. Experten hegen hier große Zweifel. Was sind die größten Probleme? Und wie könnten Großveranstaltungen nachhaltiger werden?

Die Kritik an der WM 2022 wird immer lauter. Dabei geht es nicht nur um Menschenrechtsverletzungen und verunglückte Arbeiter in Katar, um die generell fragwürdige Vergabe in den Wüstenstaat und die hohen Kosten. Es geht auch noch um etwas anderes: Unter Umweltaspekten ist diese Fußball-WM so umstritten wie wohl keine Sportveranstaltung je zuvor. Und das liegt bei Weitem nicht nur daran, dass fast alle Stadien auf 22 Grad klimatisiert werden.

Für die WM wurden sieben von acht Stadien neu gebaut, das verschlingt Ressourcen und Energie. Und bis heute ist unklar, was mit diesen Sportstätten passieren soll, wenn Fußballer und Fans in einem Monat abgereist sind. Das gilt auch für das Ras-Abu-Aboud-Stadion in Doha, das aus 974 Schiffscontainern besteht und umziehen kann. Theoretisch. Praktisch ist bisher kein Interessent bekannt. Es wurde zudem eine komplette Stadt hochgezogen: Lusail City, ein U-Bahn-Netz errichtet, etliche Hotels und Lokale gebaut. Weil die Hotelbetten vor Ort aber nicht reichen, werden in diesen Wochen viele Pendlerflüge in die Region nötig werden. Aus der WM der kurzen Wege wird also eher nichts. Zugleich beharrt der Gastgeber darauf, dass die Veranstaltung klimaneutral sei, auch die Fifa hält sie für die nachhaltigste WM. Ist das glaubhaft?

Laxe Regeln für den Emissionshandel bei der WM?

Zunächst: Das mit der Klimaneutralität ist so eine Sache. Zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung können Firmen – oder auch Organisatoren von Sportveranstaltungen wie der WM – unvermeidbare Emissionen mit CO2-Zertifikaten ausgleichen. Mit dem Geld, das für die Zertifikate bezahlt wird, werden klimafreundliche Projekte gefördert. Und so will auch Katar die WM in eine klimaneutrale verwandeln.

Das große Aber: Es gibt bereits zahlreiche Programme, über die man CO2-Zertifikate beziehen kann. Ein großer Teil der CO2-Zertifikate für die WM soll aber über den Global Carbon Council (GCC) erworben werden, welcher 2016 mit Hilfe von katarischen Regierungsorganisationen gegründet wurde. Dort gelten weniger strenge Regeln als bei Programmen wie Gold Standard oder Verra, kritisiert Axel Michaelowa, ein Klimapolitikexperte der Uni Zürich und Gründer der Beratungsfirma Perspectives Climate Research. So ließe der GCC Projekte wie Windparks in großen Ländern zu, die andere Programme längst für den CO2-Handel gestrichen hätten, weil sie bereits Gewinne bringen – und keine zusätzliche Förderung bräuchten. Dazu muss man wissen, dass das Entscheidende beim Emissionshandel das sogenannte Zusätzlichkeitsprinzip ist. Das bedeutet: Es dürfen nur CO2-Zertifikate für Klimaschutzprojekte gekauft werden, die ohne diese Förderung nicht stattgefunden hätten, „sonst bringt das dem Klima kein bisschen was, sondern erhöht sogar die Emissionen“, erläutert Axel Michaelowa.

Projekte gefördert, die das Geld nicht brauchen

Noch skurriler wird das Ganze durch Interessenskonflikte. So haben Recherchen des BR ergeben, dass die Förderung für die Windanlagen in Serbien von der österreichischen Firma Energy Changes beim Global Carbon Council eingereicht wurde. Und dessen Geschäftsführer, Clemens Plöchl, sitzt ausgerechnet im Lenkungsausschuss des GCC. „Das hat ein Geschmäckle“, kritisiert Michaelowa. Statt auf Kompensationen zu schielen, würde Hartmut Stahl, Senior Researcher beim Öko-Institut, anderswo ansetzen. Grundsätzlich gelte: „Null-Emissions-Veranstaltungen sind nicht möglich, das sollte man sich bewusst machen“, sagt er. „Im Öko-Institut sprechen wir von möglichst klimafreundlichen Sportveranstaltungen, nicht von klimaneutral.“ Sie verwenden den Begriff Klimaverantwortung. Das sei ein neuer Ansatz und eine Alternative zur Kompensation. „Die verbleibenden Treibhausgas-Emissionen werden mit einem anlegbaren Preis pro Tonne CO2, zum Beispiel 50 Euro, multipliziert“, erklärt Stahl. Daraus ergebe sich ein Klimaverantwortungsbudget, um Emissionen vor Ort zu reduzieren.

Vorab-Klimastudie über die Europameisterschaft 2024

Zusammen mit anderen hat Hartmut Stahl an einer Studie zur Fußball-EM der Herren 2024 in Europa mitgewirkt. In einer Vorab-Klimabilanz haben sie hochgerechnet, dass der CO2-Ausstoß des Turniers bei rund einer halben Million Tonnen liegen könnte. 80 bis 90 Prozent davon werde dem Verkehr zugerechnet, erklärt Stahl. Da die EM in der Zukunft liegt, sind die Zahlen mit Unsicherheiten behaftet. Beispielsweise stehe noch nicht fest, welche Teams antreten werden. Für die Klimabilanz mache es einen Unterschied, ob beispielsweise viele Fans mit dem Flieger aus Island oder mit dem Zug aus Nachbarländern anreisen.

Obschon Großveranstaltungen und klimaschädliche Emissionen zusammengehören, „kann man durchaus etwas tun“, sagt der Forscher vom Öko-Institut. Die beiden wesentlichen Punkte, die schon bei der Vergabe zu berücksichtigen sind, sind laut Hartmut Stahl: dass möglichst wenig Sportstätten gebaut werden, und dass der Fan-Verkehr „möglichst auf die Schiene verlagert wird“. Was man der Euro 2024 bereits anrechnen kann: Anders als in Katar würden keine neuen Stadien gebaut.

Hoher Ausstoß, hohe Kosten

CO2-Ausstoß
Im globalen Vergleich wurde in Katar 2019 laut der International Energy Agency mit mehr als 30 Tonnen CO2 nirgendwo sonst so viel pro Kopf ausgestoßen wie in dem Wüstenstaat. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Erstens ist die Bevölkerung mit 300 000 Einwohnern klein, zweitens ist der Lebensstil der Katarer nicht aufs Energiesparen ausgerichtet, drittens schlägt die Gasindustrie zu Buche. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Wert 2019 bei knapp acht Tonnen pro Kopf.

Kosten
Dass für die WM in Katar eine Menge Infrastruktur aufgebaut wurde, zeigen die immensen Kosten. Mit etwa 220 Milliarden US-Dollar handelt es sich um die teuerste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten. Das ist rund 15-mal mehr als die bisher teuerste WM in Brasilien mit 15 Milliarden Euro. Katar kann diese Summen auch deshalb bezahlen, weil das Land eben ein reiches Vorkommen an Erdgas und Erdöl hat. ana/red