Der Schreibtisch sagt manches über seinen Besitzer aus. Foto: Johannes M. Fischer

Das gläserne Rathaus – gibt es nicht. Aber unsere Zeitung bringt mehr Transparenz ins Rathaus. Sie gibt den anonymen Abteilungen und Betrieben ein Gesicht: Das Gesicht der Abteilungsleiter und Geschäftsführer.

Esslingen - Der Titel ist schlicht: „Die Angestellten“ heißt ein wegweisendes Buch aus den Anfängen dieses Berufsstandes. In mehreren Geschichten skizziert Siegfried Kracauer das Leben dieser neuen Berufsschicht. Er sprich von einer Expedition: Indem diese „die Angestellten aufsucht, führt sie zugleich ins Innere der modernen Großstadt“. Dort trifft er auf eine Angestelltenkultur, „die von Angestellten für Angestellte gemacht und von den meisten Angestellten für eine Kultur gehalten wird“. Erschienen ist das Buch 1930.

Damals entwickelte sich diese Berufsgruppe gerade, war bemüht, sich im Habitus von der Arbeiterschaft (damals rund 50 Prozent der Erwerbstätigen) abzuheben. Etwa hundert Jahre später sieht die Welt anders aus, auch wenn die Beschreibungen Kracauers noch immer verblüffend aktuell klingen. Das Verhältnis hat sich inzwischen umgedreht. Rund 65 Prozent der Erwerbstätigen sind Angestellte, etwa 15 Prozent Arbeiter.

Der Leitende Angestellte sitzt in einer Sandwichposition

Eine wichtige Funktion in der Welt der Angestellten ist die des Abteilungsleiters. Ihr Dasein steht symptomatisch für das des Angestellten: Sie leiten ein mehr oder weniger großes Team im Sinne eines größeren Ganzen, eines Betriebs oder einer Behörde. Dabei sitzen sie in der Regel in einer Sandwichposition: hier das Team, dort ein Vorgesetzter, beide mit spezifischen Interessen, die nicht immer miteinander in Einklang zu bringen sind. Leitender Angestellter ist also oft auch leidender Angestellter. Gängig ist der Spruch: „Schmerzensgeld ist im Gehalt enthalten.“

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Natürlich ist Abteilungsleiter nicht Abteilungsleiter. Jede Funktion und jeder Typ, der die Funktion ausfüllt, ist anders. Die Positionen sind höchst unterschiedlich und werden auch unterschiedlich gelebt. Die eine hat ein großes Team, der andere ein kleines. Die eine sehr viel Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten, der andere ist womöglich eher ein Durchreicher, der darauf zu achten hat, dass die Umsetzung stimmt. Die Welt der leitenden Angestellten ist groß und lässt sich nicht so ohne weiteres verallgemeinern.

Wer sind die Menschen, die die Ämter leiten?

Natürlich auch nicht in einer Stadt wie Esslingen. Unsere Zeitung hat sich zur Aufgabe gemacht, einen kleinen, aber wichtigen Ausschnitt aus der Angestelltenwelt ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Symbolisch für diese Welt steht das Neue Rathaus, wo die Bürgermeister und deren Teams ihrer Arbeit nachgehen. Zwar ist das markante Haus, das im 18. Jahrhundert von einem Freiherrn als Stadtpalast gebaut worden war, auffällig. Doch zugleich ist es für viele eine Blackbox, in der „die da oben“ ihre Spielchen treiben oder wahlweise „schon wissen, was zu tun ist“. Bekannt ist außerdem das Bürgeramt in der Beblingerstraße gleich neben der Polizei, wo viel Publikumsverkehr abläuft – von der An- und Ummeldung bis zur Abholung von gelben Säcken.

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Es gibt aber noch zahlreiche andere Gebäude, in denen Ämter angesiedelt sind und Angestellte und Amtsleiter ihren Dienst verrichten. Diese Ämter wurden bereits allesamt vorgestellt und können auf unserer Homepage unter dem Stichwort „Gläsernes Rathaus“ aufgerufen werden. Nach der Vorstellung der Ämter richtet sich der Fokus nun auf die Abteilungsleiterinnen und Leiter. Es sind kleine Porträts, die im Gegensatz zu Kracauers Beobachtungen nicht das private Verhalten etwa in Vergnügungslokalen sezieren. Vielmehr ist es eine Art Vorstellungsrunde, die den abstrakten Ämtern ein Gesicht geben: Der Lebenslauf, das Motiv, das die porträtierte Person in den jeweiligen Beruf brachte, ein Einblick in die Arbeit. Da die Stadt nicht nur über Ämter und Amtschefs verfügt, sondern auch einige Betriebe leitet, werden auch die Geschäftsführer dieser Betriebe vorgestellt.

Schreibtische erzählen Geschichten

Sehr nah dran am Thema ist auch unsere Schreibtischserie, die wir zurzeit publizieren: Hier geht es um das Möbel, welches fast schon verwachsen ist mit dem Angestelltendasein. Hier finden sich dann auch einige Abteilungsleiter und Geschäftsführer aus dem Rathaus wieder.

Lesetipp

Die Angestellten
 Das Buch von Siegfried Kracauer beschreibt in mehreren Geschichten den Lebensalltag einer aufkommenden Schicht, die zu jener Zeit noch stark im Schatten der Arbeiterschaft steht. Seine detaillierten Beobachtungen entnimmt er dem Alltag der Menschen. Sein Ziel war, „die öffentliche Diskussion anzuregen“. Das hatte er erreicht: Mit seinem Buch und seinen detaillierten Beobachtungen sorgte er für Furore.

Die Bodenständigen
In der Methodik des Buches der Soziologin Barbara Thériault liegt eine versteckter, doch auch eindeutiger Hinweis auf Kracauers Angestellten-Buch. Es spielt in der Jetzt-Zeit und taucht ab in verruchte Kneipen, Vorstadtsaunen und Tattooläden. Die Skizzen entstanden vornehmlich in Erfurt, wo sich seit der Wende eine bürgerliche Mittelschicht etabliert.