Bundestrainer Alfred Gislason (re.), Kreisläufer Jannik Kohlbacher: Was bringt das Halbfinale? Foto: /Laci Perenyi/imago/Laci Perenyi

Nach dem Stimmungskiller gegen Kroatien gehen die deutschen Handballer als noch größerer Außenseiter ins EM-Halbfinale gegen Dreifachweltmeister Dänemark. Wie ist die verheerende Abschlussschwäche zu erklären? Wie will das Team von Alfred Gislason das Wunder schaffen?

Sie begrüßten sich freundschaftlich, lachten herzlich, und Alfred Gislason drückte seinen dänischen Trainerkollegen Nikolaj Jacobsen ganz fest an sich. Die Stimmung bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstagvormittag in der Kölner Lanxess-Arena war entspannt und geprägt von einer gewaltigen Vorfreude: „Wir freuen uns einfach riesig, hier im EM-Halbfinale gegen Dänemark zu spielen“, sagte der Bundestrainer und versprach vor dem Duell mit dem Dreifachweltmeister und Turnier-Topfavoriten an diesem Freitag (20.30 Uhr/ZDF): „Wir werden dieses Spiel genießen und alles dafür geben, die Dänen zu ärgern.“

Knorr entschuldigt sich

Am Abend zuvor war die Atmosphäre im deutschen Lager durch den Stimmungskiller im letzten Hauptrundenspiel gegen Kroatien (24:30) noch ziemlich gedrückt. Linkshänder Kai Häfner fand die deutlichsten Worte: „Dass wir solch ein Drecksspiel abliefern, ist schon nervig und sehr ärgerlich.“ Spielmacher Juri Knorr entschuldigte sich gar bei den Fans: „Es tut mir ehrlich gesagt leid für jeden, der da war und Tickets gekauft hatte.“

Der Sprung ins Halbfinale hatte bereits vor dem Anwurf durch die Patzer der Konkurrenz aus Österreich und Ungarn festgestanden. Doch dass die DHB-Auswahl zum Abschluss der durchwachsenen Hauptrunde – noch nie zuvor hatte sich ein Team mit 5:5 Punkten für die EM-Halbfinalspiele qualifiziert – ein derartiges Fehlwurffestival veranstaltete, konnte mit dem Spannungsabfall sicher nicht erklärt werden.

Eklatante Abschlussschwäche

Gislason litt am Spielfeldrand, er zuckte bisweilen wie unter Strom. Denn wie schon gegen Island und Österreich warfen die DHB-Spieler den gegnerischen Torwart, diesmal Dominik Kuzmanovic, praktisch zum Volkshelden. Woran liegt diese eklatante Schwäche im Abschluss bei Alt und Jung vor allem bei freien Würfen, die dazu führt, dass das Team oft schnell einem Rückstand hinterherhecheln muss? Von den Offiziellen wusste darauf keiner eine plausible Antwort.

Warum keine Aufsetzer?

Natürlich hat sich das Torwartspiel in Sachen Athletik und Reaktionsvermögen extrem entwickelt, doch die Unkonzentriertheiten der erfahrenen Außen Timo Kastening und Lukas Mertens sind damit nicht erklärbar, die berechenbaren Wurfbilder von Kreisläufer-Routinier Jannik Kohlbacher und seinem 20-jährigen Kollegen Justus Fischer ebenso wenig. Und, die Frage muss bei den vielen halbhohen Würfen erlaubt sein: Sind Aufsetzer eigentlich verboten? Natürlich hat das mit Qualität zu tun, doch in der Bundesliga stehen die DHB-Spieler auch internationalen Topkeepern gegenüber, und die Quote ist deutlich besser als bei dieser Heim-EM.

Was auch immer die Gründe sind: Wenn die deutsche Mannschaft im Kampf um die Finalteilnahme den Hauch einer Chance haben will, muss sie überlegt und konsequent ihre Tormöglichkeiten nutzen. Sonst endet das Ganze mindestens genauso desaströs wie im März 2023, als zwei Testspiele gegen eine dänische B-Auswahl in Aalborg und Hamburg mit 23:30 und 21:28 verloren gingen. Dazu muss Keeper Andreas Wolff über sich hinauswachsen, die Abwehr Beton anrühren. Und der Stamm-Sieben, auf die Gislason so lange wie irgendwie möglich bauen wird, dürfen nicht die Körner ausgehen.

„Wir brauchen die beste Leistung der vergangenen Jahrzehnte“, sagte der Bundestrainer. Nur mit diesem perfekten Tag können die Träume von möglichen Parallelen zum goldenen Wintermärchen vor acht Jahren aufrechterhalten werden. Auch beim sensationellen EM-Titelgewinn 2016 in Polen hielten sich die Erwartungen an das junge deutsche Team in Grenzen. Ohne Druck wollen die deutschen Spieler auch diesmal über sich hinauswachsen, der Heimvorteil mit 19 750 euphorisierten Fans im Rücken soll Deutschland ins Endspiel tragen. „Ich weiß, dass in dieser Halle auch kleine Wunder entstehen können“, beschwor Linksaußen Rune Dahmke die Magie des Handballtempels auf der rechten Rhein-Seite.

Respekt vor Kulisse

Auch Nikolaj Jacobsen flößt die Kulisse gehörigen Respekt ein. „Das wird ein großer Faktor“, sagte der dänische Erfolgscoach und ergänzte: „Wir wissen, dass diese Halle extra Kraft für die Deutschen gibt. Aber es ist auch eine Riesenmotivation für uns. Ich weiß, dass meine Jungs jetzt schon sehr heiß sind – das wird morgen nicht weniger.“

Andreas Wolff glaubt dennoch fest an die Sensation. Wie hoch er die deutschen Chancen einschätzt? „100 Prozent“, antwortete der Torhüter in seiner ihm eigenen kecken Art. Vor Kurzem im Podcast „Lauschangriff“ hatte er sich noch deutlich zurückhaltender gegeben: Von 20 Spielen gewinnt Deutschland gegen Dänemark eines, lautete seine Prognose. Das soll nun am Freitag der Fall sein. „Wir sind nicht im Halbfinale, um uns dafür abzufeiern. Sondern wir sind im Halbfinale, um das Turnier gegebenenfalls zu gewinnen.“ Wär’ nicht schlecht, wenn den Worten Taten folgen würden.