Die Entscheidung, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern oder nicht, müsse man genau überdenken, sagt Olaf Scholz. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Mit seiner Taurus-Erklärung wollte Kanzler Scholz eine seit Monaten laufende Debatte abbinden. Das Gegenteil ist passiert. Jetzt gibt es auch Verärgerung bei den Verbündeten.

Berlin(dpa) – Es sollte eigentlich ein Befreiungsschlag werden in einer Debatte, in der Kanzler Olaf Scholz monatelang geschwiegen hatte. Nach seiner Taurus-Erklärung am Montag wissen zwar alle, warum er die Marschflugkörper nicht an die Ukraine liefern möchte. Die Debatte hat sich im Laufe der Woche aber eher verschärft als beruhigt. Seine Koalitionspartner zeigen nur wenig Verständnis für seine Argumente und drängeln weiter. Die Opposition wirft ihm vor, sich als "Friedenskanzler" profilieren zu wollen. Und jetzt sind auch noch die Bündnispartner verärgert.  

Die Erklärung: Keine deutsche Kriegsbeteiligung

Der Kern der Kanzler-Erklärung zu Taurus ist eine rote Linie, die Scholz bereits unmittelbar nach der russischen Invasion in der Ukraine vor zwei Jahren gezogen hat: Deutschland darf nicht in diesen Krieg hineingezogen werden. Mit den bisherigen Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen Russland - Kampfpanzer, weitreichende Artillerie, Flugabwehrgeschütze - ist das aus seiner Sicht nicht der Fall. Wenn deutsche Waffen Ziele auf russischem Boden treffen können, ist die rote Linie für ihn allerdings überschritten. Der Taurus kann 500 Kilometer entfernte Ziele mit höchster Präzision treffen und damit von der Ukraine aus selbst den Kreml in Moskau.

Deswegen will Scholz die Zielsteuerung nicht den ukrainischen Soldaten überlassen, was nach entsprechender Ausbildung in Deutschland möglich wäre. Deutsche Soldaten will Scholz aber auch nicht dafür einsetzen - weder in Deutschland, noch in der Ukraine. Denn das wäre aus seiner Sicht ein Kriegseinsatz. "Ich werde keine Entscheidung unterstützen, bei der es darauf hinausläuft, dass deutsche Soldaten irgendwie in einem militärischen Einsatz im Zusammenhang mit dem furchtbaren Krieg Russlands gegen die Ukraine verwickelt werden", stellte Scholz am Freitag nochmal klar.

Doppelstrategie von Anfang an 

Einen Kurswechsel bedeutet die Erklärung des Kanzlers aber nicht. Von Anfang der russischen Invasion an hat er einerseits auf eine entschlossene Unterstützung der Ukraine mit Waffen gesetzt, anderseits aber auch die Grenzen aufgezeigt. Deutschland hat der Ukraine inzwischen Rüstungsgütern im Wert von 28 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt oder fest zugesagt und ist damit der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Zuletzt war Scholz vor allem dadurch aufgefallen, dass er die Verbündeten - allen voran die wirtschaftsstarken Partner wie Frankreich, Italien und Spanien - zu mehr Engagement drängte.

Jetzt drückt er allerdings an einer nicht ganz unwichtigen Stelle auf die Bremse. Anders als vor einem Jahr bei den Leopard-Kampfpanzern entscheidet er sich nicht nach langem Zögern für eine Lieferung, sondern bleibt seinem Nein.

Verärgerte Briten: "Schlag ins Gesicht der Verbündeten"

Bei den Bündnispartnern sorgt nicht nur das für Irritationen, sondern auch eine Aussage, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wird. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte der Kanzler. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wird aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. 

Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: "Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte." Der konservative Abgeordnete Tobias Ellwood, ehemaliger Chef des Verteidigungsausschusses im britischen Parlament, sprach sogar von einem "eklatanten Missbrauch von Geheimdienstinformationen, der absichtlich darauf abzielt, von der Zurückhaltung Deutschlands, die Ukraine mit einem eigenen Langstreckenraketensystem auszurüsten, abzulenken", sagte er der Zeitung "Telegraph". Und die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Alicia Kearns, schrieb auf dem Nachrichtenportal X: "Die Äußerungen von Scholz sind falsch, unverantwortlich und ein Schlag ins Gesicht der Verbündeten."

Scholz und Macron mit unterschiedlicher Marschrichtung

So deutlich wurden die französischen Verbündeten zwar nicht. Präsident Emmanuel Macron machte aber nur wenige Stunden nach dem Nein des Kanzlers zu Taurus am Montag ziemlich klar, was er davon hält. Viele die heute "nie, nie" sagten, seien dieselben, die vor zwei Jahren sagten, "nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite", sagte er nach einem Treffen von 20 Staats- und Regierungschefs in Paris zur Unterstützung der Ukraine, an dem Scholz teilnahm. Und er legte nach: Vor zwei Jahren hätten noch viele gesagt: "Wir werden Schlafsäcke und Helme schicken." Eine Erinnerung daran, dass sich die Bundesregierung kurz vor dem Krieg noch mit der Lieferung von 5000 Helmen in die Ukraine gebrüstet hatte.

Vor allem aber schloss Macron nicht aus, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken. Das wiederum animierte Scholz zu einer Erwiderung in einer Videobotschaft, in der er ein Versprechen auch für die Zukunft abgab. "Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden. Das gilt. Darauf können sich unsere Soldatinnen und Soldaten verlassen. Und darauf können Sie sich verlassen." 

Erinnerungen an Schröders Nein zum Irak-Krieg

Das erinnert an einen Satz, den der sozialdemokratische Kanzler Gerhard Schröder im September 2002 zum Irak-Krieg gesagt hat: "Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer Intervention im Irak nicht beteiligen." Auf das Nein Schröders zur deutschen Beteiligung an einer Invasion im Irak ist die SPD trotz aller Verirrungen Schröders in der Russland-Politik bis heute stolz. Schröder hatte die große Mehrheit der Deutschen hinter sich. Bei Scholz dürfte das zumindest für die Absage der Bodentruppen so gelten. Aber auch als er die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper im Oktober zum ersten Mal ablehnte, hatte er die Mehrheit hinter sich. 55 Prozent stellten sich damals in einer YouGov-Umfrage hinter das Nein des Kanzlers, nur 26 Prozent hielten die Entscheidung für falsch. 

Manche meinen, dass Scholz mit seiner neuen Intonierung den Sound für die kommenden Wahlkämpfe gesetzt habe. Von seiner eigenen Partei bekommt er jedenfalls viel Applaus. Die innenpolitische Diskussion dürfte aber weitergehen. Die Union will in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses am 13. März mit dem Kanzleramt - am besten mit dem Kanzler selbst - über Taurus reden. Es bestehe "dringender parlamentarischer Informations- und Beratungsbedarf". Und auch die Koalitionspartner von FDP und Grünen dürften sich mit dem Nein des Kanzlers zu Taurus kaum abfinden.