Die Rutesheimer Bürgermeisterin Susanne Widmaier wird zum Flüchtlingsgipfel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Berlin eingeladen. Sie sagt, Kreise, Städte und Gemeinden fühlen sich von der Regierung in der Asyl- und Flüchtlingspolitik alleingelassen.
Die Rutesheimer Bürgermeisterin Susannen Widmaier ist eine der mehr als 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion veranstalteten Kommunalgipfels zur Asyl- und Flüchtlingspolitik gewesen – gemeinsam mit zahlreichen Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern aus ganz Deutschland. Auf Einladung des Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Böblingen, Marc Biadacz, war Susanne Widmaier vor Ort im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages, um sich mit Vertretern der Bundespolitik auszutauschen und die Anliegen der Kommunen vorzutragen.
Frau Widmaier, weshalb haben Sie an dem Treffen teilgenommen?
Ich bin der Meinung, es genügt nicht, sich vor Ort zu ärgern und das Gefühl zu haben, überhaupt nichts unternehmen zu können. Wenn man die Möglichkeit bekommt, den Missstand nach Berlin zu tragen, sollte man dies nutzen. Nicht übereinander sprechen, sondern miteinander.
Wie ist die Lage in Rutesheim, kann die Stadt den Anforderungen noch nachkommen?
Rutesheim hat – wie alle anderen Städte auch – große Probleme, geeigneten Wohnraum zu finden. Die Geflüchteten, die 2015/2016 kamen, sind immer noch in unseren Unterkünften. Hier findet wenig Wechsel statt, weil sie bei der angespannten Lage auf dem Immobilienmarkt hier keine Wohnungen finden. Vor dem gleichen Problem steht im Übrigen auch die einheimische Bevölkerung, weshalb sich manche Rutesheimerinnen und Rutesheimer schlechter behandelt und benachteiligt fühlen.
Hilft es Ihnen, dass Sie finanziell so gut aufgestellt sind?
Natürlich ist die Schaffung von Wohnraum mit Containern, wie aktuell bei der Bühlhalle, oder in Gebäuden sehr teuer. Die Förderungen machen dabei bisher nur einen Bruchteil der Gesamtkosten aus. Auch in unseren Kindergärten und Schulen wird es eng, weil hier die Plätze sehr begrenzt sind. Und egal wo Sie eine Unterkunft bauen möchten, sind die Nachbarn nur wenig begeistert.
Welche Probleme kamen bei dem Treffen zur Sprache?
Es war eine Möglichkeit für alle Kommunen, Städte und Landkreise, ihre Probleme zu skizzieren. Die Hauptprobleme aller waren der Wohnraum, die Finanzen, Kindergarten- und Schulplätze und die mangelnde Rückführung von Menschen, die hier keine Asylanerkennung erhalten. Es wurde der Wunsch laut, die Geflüchteten auf alle Länder der EU gleichmäßig zu verteilen, die Außengrenzen zu sichern und hierzulande keine finanziellen Anreize zu setzen. Tatsächlich erscheint es so, als ob in Deutschland die finanziellen Unterstützungen und auch andere Regelungen – zum Beispiel beim Urlaub – am großzügigsten geregelt sind und die Verfahren am längsten dauern.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Aus Sicht der Kommunen wäre es gut, wenn zunächst der Bund überprüfen würde, ob ein Asylgrund vorliegt und nur anerkannte Geflüchtete in die Landkreise und Städte umziehen würden. Dann hätten wir sehr gute Chancen, diese Menschen vor Ort zu integrieren. Unsere Bürgerinnen und Bürger und unsere Ehrenamtlichen würden uns – wie bisher dankenswerterweise auch – dabei sicher hervorragend unterstützen, denn es wären sehr viel weniger Menschen.
Ist der Frust in den Kommunen landauf und landab groß?
Ja. Unsere kommunalen Spitzenverbände haben schon vor Monaten und immer wieder erklärt, dass die Städte an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen sind. Das haben die kommunalen Landesverbände in Baden-Württemberg in ihrem 12-Punkte-Plan „Stuttgarter Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik“ zur Bewältigung der legalen Migration und der seit 2015 andauernden hohen illegalen Migration nach Deutschland ganz deutlich gemacht.
Ist dieser Hilferuf angekommen?
Beim Bund scheint diese Aussage einfach nicht anzukommen. Es ändert sich leider nichts, und die Gespräche werden so terminiert, dass Monate dazwischen liegen. Sehr verärgert waren die Vertreter der Kommunen, dass sie zu den Flüchtlingsgipfeln gar nicht eingeladen werden, obwohl vor Ort die meiste Arbeit geleistet wird und die größten Probleme entstehen. Auch wurde nun bei dem Treffen kritisiert, dass die Innenministerin Nancy Faeser und nicht der Bundeskanzler Olaf Scholz zum Gipfel eingeladen hatte. Dies muss Chefsache sein, denn nur er kann zu allen Ressorts Stellung beziehen – zum Beispiel zu den Finanzen, zu den Nachbarländern, zu Abschiebungen und so weiter. Viele Anschreiben und Briefe der Kommunen wurden nicht einmal beantwortet. Das ist für uns mangelnde Wertschätzung und nicht in Ordnung.
Fühlen die sich alleingelassen mit der großen Bürde?
Vom Bund ja. Und ich ärgere mich sehr, wenn Ministerin Faeser erklärt, wenn wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit Fingerspitzengefühl unseren Bürgerinnen und Bürgern erklären würden, dass immer mehr Menschen kämen, wäre die Hilfsbereitschaft immer noch sehr groß. Es läge also an unserem Fehlverhalten, wenn es vor Ort Schwierigkeiten gibt. Dabei erhalte ich gerade jetzt viele sehr unschöne E-Mails, und es hat sich eine Initiative gegen ein neues Gebäude als Flüchtlingsunterkunft gebildet. Bei der Unterbringung von Geflüchteten gilt ganz stark das Sankt-Florians-Prinzip: Unterbringung ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür.
War es mehr als nur ein schöner Ausflug nach Berlin?
Es war ziemlich anstrengend – in aller Frühe los und zahlreiche Gespräche bis in den späten Abend. Interessant war, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit mir zurückgeflogen ist. Gerade ein Grüner, der ja das Fliegen im Inland verbieten möchte. Ich selbst lehne es ab, Wasser zu predigen und Wein zu trinken.
Mit welchen Eindrücken kommen Sie von dem Treffen?
Es war gut zu sehen, dass auch andere Kolleginnen und Kollegen die gleichen Probleme haben, und zu besprechen, wie sie damit umgehen. Ich hatte sehr gute Gespräche und werde einige E-Mails schreiben. So hat sich die baden-württembergische Ministerin für Justiz und Migration, Marion Gentges, viel Zeit genommen, meine Sorgen und Probleme anzuhören. Sie hat mich gebeten, dies in einer E-Mail zusammenzufassen. Auch in Sachen Photovoltaik auf dem Autobahnwall, was uns sehr am Herzen liegt, hatte ich gute Gespräche und stelle fest, bei manchen Themen hilft einfach nur der persönliche Kontakt und steter Tropfen höhlt den Stein.
Welche Hoffnungen und Erwartungen verbinden Sie damit?
Natürlich ist es schade, dass die Opposition zum Kommunalgipfel eingeladen hatte und nicht die Bundesregierung. Ich hoffe aber, dass diese Veranstaltung zumindest ein Zeichen setzt und sich die Bundesregierung überlegt, wie sie die Kommunen – die so offensichtlich unzufrieden sind – künftig mehr einbinden kann. Mit unseren kommunalen Spitzenverbänden – für uns Gemeinde- und Städtetag – wäre dies leicht möglich.
Zur Person
Schule und Studium
Susanne Widmaier wurde am 14. Mai 1966 in Mainz geboren und ist in Aalen aufgewachsen. Nach dem Umzug 1979 nach Leonberg hat sie 1985 am Johannes-Kepler-Gymnasium das Abitur absolviert. Das duale Studium in Leonberg und Ludwigsburg hat sie als Diplom-Verwaltungswirtin abgeschlossen.
Beruflicher Werdegang
In Leonberg war sie von 1990 bis 1993 in der Sanierungsberatung tätig. Nach einer Kinderpause arbeitete sie als Assistentin der Frauenbeauftragten, Beauftragte für die Lokale Agenda, Pressesprecherin und persönliche Referentin von Oberbürgermeister Bernhard Schuler. Während des berufsbegleitenden Studiums Master Public Management wurde Widmaier von November 2013 bis März 2018 Erste Beigeordnete in Weil der Stadt. Seit 1. April 2018 ist sie Bürgermeisterin in Rutesheim.