Das darf liegen bleiben, da kümmert sich die Natur selbst drum: Auch die Förster im Landkreis setzen seit vielen Jahren stellenweise ein Alt- und Totholz-Konzept um. Foto: Gottfried / Stoppel

Forst BW hat sich zum Ziel gesetzt, in den Staatswäldern spezielle Lebensräume zu schaffen und zu erhalten. Was der Tier- und Pflanzenwelt gut tut, freut aber nicht alle.

Die Försterin Nora Walbrun steht vor stattlichen Buchen und zeigt in Richtung Wipfel. „Da oben sieht man die dunklen Stellen, das sind Bruthöhlen des Schwarzspechts.“ Sehen lässt sich der mit Abstand größte Specht Europas mit seinem schwarzen Federkleid und prägnantem roten Scheitel an diesem Mittag zwar nicht, aber die Löcher, die er mit seinem Schnabel in die Stämme gehauen hat, sind unverkennbar. Und nie bleibt es bei nur einer Behausung: Ein Schwarzspechtpärchen baut mehrere Höhlen, die in die teilweise faulen Stämme gezimmert werden. Männchen und Weibchen schlafen getrennt, gebrütet wird in einer dritten Höhle.

100 Hektar Bannwald im Wieslauftal

Der Hausbau freut nicht nur Familie Specht. Ist sie später ausgezogen, können es sich dort potenzielle Nachmieter gemütlich machen: Etwa Siebenschläfer, Hohltauben, Fledermäuse, Hornissen oder mehrere Dutzend anderer Tierarten, die in Frage kommen. Das finden wiederum die Förster gut, denn es schützt Arten und erhöht die Biodiversität im Wald. Darum bleiben die Buchen stehen, bis sie zerfallen. Damit sie nicht versehentlich gefällt werden, sind diese sogenannten Habitatbäume mit einem wellenförmigen Farbring aus der Sprühdose gekennzeichnet: „Fällen verboten!“.

Die Buchen stehen im Bannwald Wieslauftal zwischen Welzheim und Rudersberg. Die Schutzzone wurde bereits 1970 ausgewiesen, damals 30 Hektar groß. Nach zwei Erweiterungen in den Jahren 1974 und 2016 misst er nun gut 100 Hektar, erklärt Simon Weise, stellvertretender Forstbezirksleiter bei Forst BW. „In Bannwäldern wie diesem wird dauerhaft auf sämtliche Holzernte- und Pflegemaßnahmen verzichtet“, erklärt Weise. Sollten aus Sicherheitsgründen doch mal Baumfällungen nötig sein, verbleiben die gefällten Bäume an Ort und Stelle.

Artenvielfalt profitiert

Durch den Nutzungsverzicht im Bannwald Wieslauftal findet sich dort im Vergleich zu bewirtschafteten Wäldern deutlich mehr Alt- und Totholz, ergänzt Weises Chef Martin Röhrs. Davon profitieren eine Vielzahl von Pflanzen, Pilzen, Vögeln und Insekten, die in ihrem Lebenszyklus auf alte oder abgestorbene Bäume angewiesen sind. Der Bannwald dient diesen Arten als wertvoller Rückzugsort.

Von diesen Arten ist ein Großteil auf das Vorhandensein von Totholz angewiesen, als Unterschlupf, Brutplatz oder Nahrungsquelle. „Totholz ist ein entscheidender Faktor für die Sicherung der biologischen Vielfalt im Ökosystem Wald.“ Um auch außerhalb von Bannwäldern geeignete Lebensräume für alt- und totholzbewohnende Arten zu schaffen, wurde bei Forst BW im Jahr 2010 das Alt- und Totholzkonzept eingeführt.

„Teil dieses Konzepts ist die flächendeckende Schaffung von Habitatbaumgruppen in allen bewirtschafteten Wäldern“, sagt Weise. Bei Habitatbaumgruppen handelt es sich um ausgewählte, rund 750 Quadratmeter große Flächen, deren Bäume bis zu ihrem vollständigen Zerfall ihrer natürlichen Entwicklung überlassen werden. „Wir machen nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich“, erklärt Weise. „Wir erhalten zum Beispiel neue Erkenntnisse darüber, welche Arten sich auf natürlichem Wege ansamen.“ Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels sei das eine spannende Frage.

2800 Habitatbaumgruppen als Ziel

Bis 2050 werde der Forstbezirk Schwäbisch-Fränkischer Wald mehr als 2800 solcher Habitatbaumgruppen ausweisen, um flächendeckend entsprechende Lebensräume zu schaffen und einen Beitrag zum landesweiten Ziel von zehn Prozent stillgelegter Wälder im Staatswald zu leisten. Weise: „Aktuell haben wir knapp Tausend dieser Schutzbereiche geschaffen.“ Auch größere solcher Einheiten gibt es; sie werden als Waldrefugien bezeichnet und umfassen etwa ein bis drei Hektar Waldfläche.

Durch die Umsetzung des Konzepts verzichte das Land auf bares Geld. „Zehn Prozent Fläche entsprechen in unserem Forstbezirk etwa 12 000 Festmetern Holz“, sagt Martin Röhrs. „Damit verzichtet das Land auf rund 600 000 Euro Gewinn.“

Tiefe Fahrrinnen für die Unken

Ganz unkritisch wird das alles gleichwohl nicht gesehen. Zum einen erhöht sich durch die herumliegenden Äste und Stämme die Brandlast im Wald. Außerdem erschwert das schwere Gehölz die Zufahrt. Auch sind nicht alle Arten so beliebt wie der Schwarzspecht. Denn unter Umständen breiten sich in Schutzbereichen auch Borkenkäfer oder andere Schädlinge über Gebühr aus. „Entsprechend achtet man bei der Auswahl der Schonbereiche, dass sie möglichst nicht an Privatwälder grenzen“, sagt Röhrs.

Artenschutz geschieht nicht nur durch die Ausweisung von Bannwäldern und Habitatbaumgruppen. Auch eine tiefe Fahrrinne beim Holzrücken kann einen Beitrag leisten. Vorausgesetzt, sie ist tief genug, damit sich das Wasser dort sammelt und über Wochen stehen bleibt. „Das gefällt vielen Waldbesuchern zwar nicht, aber dort laicht bevorzugt die Gelbbauchunke – die Tiere sind konkurrenzschwach und suchen sich jedes Jahr neue Tümpel, damit der Laich nicht aufgefressen wird.“ Knapp 40 solcher Laichgelegenheiten würden pro Jahr geschaffen. „Das sind vier je Revier“, erklärt Forstbezirksleiter Martin Röhrs. Und bei insgesamt rund 160 000 Hektar Staatswald sei diese Anzahl auch gegenüber Kritikern durchaus zu vertreten.