Mehrere Justizbeamte waren dafür zuständig, dass nicht zu viele Zuschauer ins Gerichtsgebäude strömten. Foto: Roberto Bulgrin

Bei einer Veranstaltung anlässlich des internationalen Frauentages im vergangenen Jahr war ein Esslinger mit den Teilnehmern aneinandergeraten. Nun musste er sich vor dem Amtsgericht in Esslingen verantworten.

Esslingen - Nur so reingeraten war der 48-jährige Angeklagte nach eigenen Angaben in eine Auseinandersetzung am Rande einer Veranstaltung zum internationalen Frauentag auf dem Bahnhofsvorplatz im vergangenen Jahr. Dieser „Zufall“ brachte ihm vier Strafbefehle ein. Am Donnerstag musste sich der Esslinger nun vor dem Amtsgericht verantworten. Der Fall hatte das offenbar einiges an Interesse geweckt. Rund 20 Menschen hatten sich schon vor Beginn der Verhandlung vor dem Amtsgericht versammelt, wo sie zunächst von fünf Justizbeamten aufgehalten wurden. Da der vorgesehene Saal aufgrund der Corona-Bestimmungen aktuell nur fünf Zuschauer fasst, wurde die Verhandlung kurzerhand in den größten Saal verlegt. So konnte ein Großteil der Interessierten teilnehmen.

Was war an jenem Samstag, 9. März, passiert? Da unterscheiden sich die Geschichten des Angeklagten, der Geschädigten und des Nebenklägers gewaltig. Der Angeklagte gab an, er sei gegen Mittag mit dem Bus in die Stadt gefahren und auf dem Weg zum Einkaufen an einer Demonstration auf dem Bahnhofsvorplatz vorbeigekommen. Beim Näherkommen habe er gehört, wie eine Frau mit einem Mikrofon auf Türkisch Beleidigungen gegen die Türkei und Staatschef Recep Tayyip Erdoğan von sich gegeben habe. Der Angeklagte habe dann ein Flugblatt in die Hand gedrückt bekommen, auf dem ebenfalls seiner Meinung nach unwahre Aussagen über die Türkei gestanden hätten. Von Flaggen der verbotenen Arbeiterpartei PKK und Bannern mit dem Bild des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan war die Rede. Die Angeklagte habe den Zettel zerknüllt und weggeworfen. Es sei ein Streit darüber entbrannt, ob die Veranstaltung angemeldet gewesen sei. Der Angeklagte habe im Verlauf um sein Leben gefürchtet, als er von immer mehr Teilnehmern umringt worden sei. Er habe mehrfach den Notruf gewählt und über den Oberbürgermeister schließlich erreicht, dass diese schnell gekommen sei.

Beleidigungen und ein Schlag

In der Version der Geschädigten und der Nebenklage war von PKK-Flaggen nichts zu hören. Es sei ihnen lediglich darum gegangen, auf Frauenrechte und auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen, sagten zwei Zeuginnen und der Nebenkläger einheitlich aus. Der Angeklagte sei dazugekommen, habe ein Flugblatt entgegengenommen und es zerknüllt in das Gesicht einer Teilnehmerin geworfen. Daraufhin habe er begonnen, die Anwesenden als „Huren“ und „Schlampen“ zu beschimpfen. Als der Nebenkläger, der als Ordner bei der Veranstaltung eingesetzt war, ihm einen Platzverweis erteilen wollte, habe der Angeklagte ihm gegen den Solarplexus geschlagen, um wieder auf den Bahnhofsvorplatz zu gelangen.

Die drei Anklagepunkte lauteten auf Beleidigung, Beleidigung in mehreren tateinheitlichen Fällen und Körperverletzung. Nachdem zwei der fünf geladenen Zeugen gehört worden waren, einigten sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Nebenkläger darauf, den Vorwurf der Körperverletzung fallen zu lassen. Der Schlag habe keine schwerwiegenden Folgen gehabt und sei eventuell auch nur dazu gedacht gewesen, den Ordner aus dem Weg zu schieben. Die Vorwürfe der Beleidigung wurden aufgrund der kurzen zeitlichen Abfolge zusammengefasst. Die restlichen Zeugen wurden nicht mehr vernommen.

Anschließende Kundgebung

Der Angeklagte machte keine Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen, gab aber an, seiner Frau und seinen drei Kindern unterhaltspflichtig zu sein. Zudem habe ihn die Corona-Krise finanziell gebeutelt. Die Höhe der Tagessätze wurde auf 40 Euro festgelegt. 1600 Euro Strafe muss der Esslinger zahlen. Zudem trägt er die Kosten des Verfahrens und muss für die Auslagen der Nebenklägers aufkommen. Die Beteiligten haben bereits angekündigt, dass sie auf weitere Rechtsmittel wie eine Berufung oder Revision verzichten.

Die Zuschauer des Verfahrens – überwiegend Frauen – hatten im Anschluss an die Verhandlung noch eine Kundgebung am Postmichelbrunnen organisiert, bei dem sie Gewalt gegen Frauen verurteilten. Dabei nannten sie auch den Namen des Angeklagten öffentlich und informierten über den Ausgang des Verfahrens.