Viele Eltern-Kind-Initiativen sind Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband im Land. Foto: Archiv/Hemminger

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg wird 75. So richtig ist den Verantwortlichen aber nicht zum Feiern zumute. Die bedrohlichen Folgen der Inflation für viele der mehr als 900 Initiativen und Organisationen und die Sparpläne der Bundesregierung verderben ihnen die Feierlaune.

Kurz nach dem Krieg lag das Land in Trümmern, die Not war groß. „Der Staat brauchte zusätzliche Unterstützung“, sagt Uta-Micaela Dürig. Die leisteten gemeinnützige Organisationen, damals vor allem im Bereich Gesundheit, Erziehung und Wirtschaftsfürsorge, weiß die Vorständin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Baden-Württemberg. Diese Vereine und Organisationen brauchten ihrerseits Unterstützung – und ein gemeinsames Sprachrohr. So kam es 1948 zur Gründung des Verbands im Land. Der feiert am Mittwoch sein 75-jähriges Bestehen.

1954, nur wenige Jahre nach seiner Gründung, zählte der Verband gerade mal 80 Mitgliedsorganisationen, 63 in Württemberg und 17 in Baden, erzählt Uta-Micaela Dürig. Inzwischen seien es „deutlich über 900“. Tendenz weiter steigend. „Eine Erfolgsgeschichte“, sagt Dürig. Die Mitglieder des Verbands bieten insgesamt rund 2000 soziale Dienste und Einrichtungen im Land, rund 50 000 Menschen seien dort freiwillig engagiert, rund 80 000 hauptamtlich tätig. Der Zuwachs des Verbands hat sich aber merklich abgeschwächt. Die Hauptwachstumsphase erlebte der Paritätische in den 1960er, 1970er und auch noch in den 1980er Jahren. „Man wollte individuelle Lösungen finden“, beschreibt Dürig den damaligen und bis heute wirksamen gesellschaftlichen Trend.

Schon in den 1960er Jahren kamen etwa Elternvereine der Lebenshilfe, Einrichtungen der Vorschulpädagogik, Eltern-Kind-Initiativen, Jugendfarmvereine und Aktivitäten in der Suchtkrankenhilfe dazu. In den 1970er Jahren wuchs die Zahl der Selbsthilfegruppen und Initiativen, Frauenhäuser entstanden. In den 1980er Jahren wurden dann verstärkt Frauen- und Mädchenprojekte ins Leben gerufen, aber auch Arbeitslosenhilfen und Beschäftigungsinitiativen für Langzeitarbeitslose. In den folgenden Jahren hat sich dieser Prozess weiter differenziert. Heute nehme man vor allem Eltern-Kind-Vereine etwa zur Kinderbetreuung neu in den Verband auf, aber auch Obdachloseninitiativen oder Flüchtlingsvereine. Nach wie vor bilden sich gesellschaftliche Themen im Verbandsgeschehen ab.

Die Rolle des Paritätische Wohlfahrtsverbands besteht dabei bis heute darin, die teils kleinen Initiativen und Organisationen etwa in rechtlichen Dingen, aber auch in Entgeltfragen zu beraten. „Wir sprechen zum Beispiel mit den Kommunen über die Leistungsvergütung“, erklärt Uta-Micaela Dürig. „Das wird stark angenommen.“ Neben Weiterbildungsangeboten für die Mitglieder werden diese heute auch mit Beratungen zu Nachhaltigkeitsstrategien unterstützt. Und nicht zuletzt übernimmt der Paritätische die Lobbyarbeit in der Politik für seine Mitgliedsorganisationen, dass diese dort auch „Gehör finden“, sagt die Verbandsvorständin.

„Daseinsvorsorge nicht kaputtsparen“

Zurzeit sind die Stellungnahmen des Paritätischen wieder besonders eindringlich. Die Sparpläne der Bundesregierung etwa in der Migrantenberatung und bei den Freiwilligendiensten hält Uta-Micaela Dürig für „katastrophal und politisch verantwortungslos“. Auch dass viele Mitglieder die durch die Inflation stark gestiegenen Ausgaben von den Kostenträgern nicht oder nur teilweise ersetz bekämen, sei fatal. Einzelne Mitgliedsorganisationen, insbesondere kleinere Vereine müssten ihre Angebote deshalb „auf 64 Prozent oder sogar auf 55 Prozent reduzieren“, sagt sie. Dürig warnt: „Die soziale Daseinsvorsorge darf nicht kaputtgespart werden.“ Vor allem in einer Zeit, in der „das gesellschaftliche Engagement unter Druck geraten ist“, betont die Verbandsvorständin. Die nachfolgende Generation müsse noch stärker für das soziale Engagement gewonnen werden.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband feiert Jubiläum

Jubiläum
Am Mittwoch, 20. September, 15 Uhr, feiert der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg im Neuen Schloss (Weißer Saal) sein 75. Jubiläum mit einem Festakt.

Preis
Zum ersten Mal wird an diesem Tag der neue Engagement-Preis #PariEngage vergeben, und zwar in den Kategorien „Jugend“, „Neue Ansätze zur Unterstützung von Menschen in besonderen Lagen“ und „Medien“. Insgesamt 30 Beiträge wurden eingereicht.

Fest
Parallel zum Festakt im Weißen Saal findet von 16 bis 18 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz ein Bürgerfest statt. Unter dem Motto „Der Paritätische für das Leben. Weil alle zählen“ präsentieren sich dort viele soziale Organisationen aus dem Landesverband mit Infoständen und Aktionen, begleitet von einem bunten Bühnenprogramm. ury