Südwestdeutsche Delegierte der Dehoga erwarten nach der Mehrwertsteuererhöhung weitere Insolvenzen und Preiserhöhungen.
Begründete Hoffnung hat am Montag niemand im Konferenzsaal des Ulmer Maritim-Hotels geäußert, wo sich turnusgemäß die Delegierten des baden-württembergischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga trafen. Der Schlag vom Freitag, als die Ampel-Koalition beschloss, die seit 1. Juli 2020 geltende 7-Prozent-Mehrwertsteuerregel für Speisen in der Gastronomie auslaufen zu lassen, sitzt immer noch tief. Auch der Dehoga-Landesvorsitzende Fritz Engelhardt glaubt nicht, dass Bundestag oder Bundesrat die Steuerrückführung auf 19 Prozent noch kippen werden. Sein bitterer Kommentar: „Man zieht uns sprichwörtlich das Fell über die Ohren.“ Der Landesverband zählt gut 12 000 Mitglieder, das ist knapp die Hälfte aller Betriebe.
In gereizter Atmosphäre stellten sich die tourismuspolitischen Sprecher von Grünen, CDU, SPD und FDP Moderatorenfragen. Immerhin konnten sie allesamt nachweisen, innerhalb ihrer Parteien für die Beibehaltung der 7-Prozent-Regel votiert zu haben. Knackpunkt der misslungenen Dehoga-Kampagne war nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Hans-Peter Storz die ungelöste Frage der Gegenfinanzierung von geschätzten 3,4 Milliarden Euro im Fall eines weiteren Steuernachlasses. Eine Erhöhung der Kerosinsteuer im Flugverkehr sowie eine Senkung des Bürgergeldes seien dafür in Frage gekommen. „Aber dann sagte der Finanzminister, nein, das machen wir nicht.“
Andere Lobbykräfte wirkten im Hintergrund
Der FDP-Sprecher Erik Schweickert glaubt, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse von vergangener Woche, in dessen Folge ein Loch von 60 Milliarden Euro im Haushalt klafft, habe einen Kompromiss zugunsten der Gastronomie vollends unmöglich gemacht. Er glaubt auch, „Widerstand von anderen Bundesländern“ gespürt zu haben, „die nicht so touristisch geprägt sind wie Baden-Württemberg“.
Dass noch andere Lobbykräfte beigetragen haben, die Gastronomie zur Verliererin der entscheiden Haushaltssitzung zu machen, glaubt die Grüne Theresia Bauer. „Wir wussten alle: Ohne die Komponente Gegenfinanzierung wird es keine Lösung geben“, sagte sie in Ulm. „Hinter vorgehaltener Hand haben uns die Branchen links und rechts gesagt: Warum eigentlich nur die?“ Letztlich sei die Verstetigung der sieben Prozent gescheitert, weil es dafür „zu wenig Durchschlagskraft in der breiten Gesellschaft“ gegeben habe.
Das Schnitzel wird bald teurer werden
Die Gesellschaft wird nach Ansicht von Landeschef Engelhardt noch eine böse Überraschung erleben, wenn ab Januar die Kosten hoch gingen, aber nicht nur in Restaurants, sondern auch bei den Essensbeiträgen in Schulen oder Kitas. Dieser „Ampel-Zuschlag“ aber, das müsse jeder erfahren, sei „allein vom Staat verursacht“.
Die Branche selbst wird nach Verbandsansicht weitere Insolvenzen hinnehmen müssen, Mutmaßungen gehen von bis zu 2000 weiteren Schließungen aus, nachdem während der Coronajahre bereits mehr als 5000 Unternehmen aufgaben. Oftmals war Personalmangel der Grund, doch davon erholt sich die südwestdeutsche Branche gerade allmählich. Rund 130 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftige zählte der Verband Ende 2022 – ein Plus zum Vorjahr von immerhin knapp acht Prozent. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten stiegt sogar um 17 Prozent auf knapp 150 000.
Sind Arbeitserleichterungen für Flüchtlinge eine Lösung?
Womöglich, hieß es am Montag, könnten Arbeitserleichterungen für Flüchtlinge den Betrieben ersatzweise helfen. Dagegen meldete die CDU-Sprecherin Katrin Schindele Bedenken an. Die solide Fachkräfteausbildung in Baden-Württemberg dürfe nicht verwässert werden. Konzepte zur Stärkung der Branche bleiben damit dringend gesucht.