Immer wieder lösen Jugendliche ihre Konflikte mit den Fäusten. Foto: Jacques - Jacques

Immer mehr Mädchen setzen bei der Lösung von Konflikten auf Gewalt. Das hat Jürgen Domhöver von der Jugendgerichtshilfe des Landratsamts Esslingen beobachtet.

Kreis EsslingenDass Jugendliche Grenzen übertreten, ist normal. Das gehört zum Erwachsenwerden. Provozieren, rebellieren, abgrenzen – das machten bereits viele Eltern. Schwierig wird es, wenn die Spielregeln des Miteinander verletzt werden und andere physisch und psychisch leiden. Jugendgewalt ist zwar kein neues Phänomen, aber es verändert sich. Gewalt unter jungen Menschen ist längst kein Thema mehr, das nur Jungen betrifft.

Jürgen Domhöver von der Jugendgerichtshilfe des Landratsamts Esslingen beobachtet, dass die von Mädchen ausgeübte Gewalt zugenommen hat - das erzählt er auch in seinem Interview. Obwohl der Anteil der von Jungen verübten Delikte deutlich höher ausfällt, kann laut Domhöver keineswegs von weiblichen Einzelfällen die Rede sein. Diese Erfahrung macht auch Heidi Kaufmann vom Kreisjugendring Esslingen.

Subtilere Gewalt bei Mädchen

Mädchen wenden in aller Regel indirekte, subtile Gewaltformen wie Mobbing an, sagt die Anti-Gewalt-Trainerin. Die Mediatorin hat an einer Schule im Raum Kirchheim aber auch schon erlebt, dass eine Schülerin ihre Klassenkameraden derart um den Finger wickelte, dass die auf ihr Geheiß andere verprügelt haben. Trotzdem ist Jugendgewalt weiterhin hauptsächlich ein männliches Phänomen.

Da Jugendgewalt überwiegend im öffentlichen Raum stattfindet, wird sie von der Gesellschaft stärker wahrgenommen. „Das heißt nicht, dass die Zahl der zur Anzeige gebrachten Zwischenfälle steigt“, sagt Domhöver. „Trotz Zuwanderung haben die Straftaten in diesem Bereich kaum zugenommen.“ Ob Schule, Freibad oder Stadtfest – Konflikte können überall entstehen. Wichtig ist, dass sie nicht eskalieren. Neben Alkohol und Drogen, können auch Perspektivlosigkeit, Langeweile oder ein schwieriges soziales Umfeld ebenso Auslöser für Konflikte sein, wie die Suche nach Respekt und Anerkennung, erläutert Heidi Kaufmann .

Körpersprache wichtig für Deeskalation

Doch was tun, wenn es hart auf hart kommt? Viele Eltern, mit denen Kaufmann im Kreis Esslingen spricht, finden, dass sich Kinder wehren, aber nicht provozieren sollten. Doch damit steigt nicht nur das Risiko, im schlimmsten Fall im Krankenhaus zu landen. „Wer unterliegt, läuft zudem Gefahr, als leichtes Opfer erneut zur Zielscheibe zu werden.“ Um angespannte Situationen zu entschärfen, sollten Jugendliche deutlich machen, dass sie keinen Stress wollen. „Körpersprache und verbale Aussage müssen dabei übereinstimmen“, erklärt Kaufmann. „Wer sagt, dass er seine Ruhe will, muss sich vom Streitsuchenden wegbewegen und darf nicht auf ihn zugehen.“ Wenn der Konflikt aber eskaliert, bleibt dem Opfer meist nichts anderes übrig, als sich mit aller Kraft zu wehren. Um Ärger gleich zu vermeiden, lässt sich auch ein anderer Weg einschlagen, wenn man auf Gruppen stößt, die in ihrem Verhalten schwer einzuschätzen sind.

Wer Opfern in einer Auseinandersetzung helfen will, sollten sich nie zwischen die Streitenden stellen und versuchen, sie auseinanderzurücken. „Personen, die dazwischen gehen, werden eher als Hindernis wahrgenommen, das aus dem Weg geräumt werden muss“, sagt Kaufmann. „Stattdessen sollte man sich dem Opfer seitlich nähern, es wegziehen und dabei auffordern, mitzukommen.“ Solche Situationen sind heikel. Jürgen Domhöver hat zwei Jugendliche als Jugendgerichtshelfer betreut, die in Kirchheim alkoholisiert erst auf Autos einschlugen und dann auf einen Fremden, der sie bat, damit aufzuhören. Der Fachmann empfiehlt, in solchen Fällen nicht den Helden zu spielen, sondern den Notruf 110 zu wählen oder Passanten um Mithilfe zu bitten. Domhöver betont aber: Die Mehrzahl der Jugendlichen verhält sich völlig unauffällig.

Jugendgewalt überwiegend männliches Problem

Jugendgewalt ist nach Einschätzung der Bundeszentrale für politische Bildung ein überwiegend männliches Phänomen, denn über 70 Prozent der Täter sind Jungen. Auch die Opfer sind meist männliche Jugendliche. Ähnlich sieht es im Kreisgebiet aus. Bei circa 20 bis 25 Prozent der Fälle, die bei der Jugendgerichtshilfe landen, sind die Täter weiblich.

Im vergangenen Jahr zählte das Landratsamt Esslingen 1577 Fälle, in denen 926 Personen im Alter zwischen 14 und 20 Jahren mit der Jugendgerichtshilfe zu tun hatten. 2016 waren es 1580 Vergehen und 995 Personen, gegen die ermittelt wurde. Der größte Teil der Menschen, die wegen Gewalttaten und sonstigen Übergriffen zur Jugendgerichtshilfe kommen, werden kein zweites Mal straffällig.