Linken-Stadtrat Tobias Hardt will die Vonovia-Mieter in der Cannstatter Straße vor Verdrängung schützen. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Der Esslinger Gemeinderat lehnt den Milieuschutz für die Cannstatter Straße ab. Damit wollten die Linken Vonovia-Mieter vor Modernisierungen und Mieterhöhungen schützen.

EsslingenDie Linke will Vonovia-Mieter in Esslingen vor „fragwürdigen Modernisierungen“ und „drastischen Mieterhöhungen“ schützen. Darum hat die Partei im Gemeinderat beantragt, die Vonovia-Wohnblocks in der Cannstatter Straße unter Milieuschutz zu stellen. Dabei handelt es sich um sechs Gebäude mit ungefähr 50 Wohnungen im Stadtteil Mettingen. Vergangene Woche lehnte der Gemeinderat den Antrag ab.

Vonovia ist mit mehr als 400 000 Wohnungen Deutschlands größter privater Vermieter. In Esslingen unterhält der Konzern laut Linken-Stadtrat Tobias Hardt circa 450 Wohnungen. Während das Unternehmen angibt, dass es sich bei den Modernisierungen um notwendige Maßnahmen handele und die Kosten nach geltendem Recht auf die Mieten umgelegt würden, wirft der Mieterbund dem Unternehmen vor, „billiges Geld zu leihen, mit diesem Geld bundesweit Wohnungen zu modernisieren und anschließend mit stark erhöhten Mieten Gewinne zu machen“.

Wohnen als Wahlkampfthema

Modernisieren ließ Vonovia in Esslingen in der zweiten Jahreshälfte 2018 insgesamt 100 Wohnungen in der Schorndorfer und Eisenbahnstraße. Dort beklagten einige Mieter im Anschluss, sich ihre Unterkünfte wegen der Mieterhöhungen nicht mehr leisten zu können. Auch in diesem Fall brachten die Linken im Sommer einen Antrag auf Milieuschutz nach Paragraf 172 Baugesetzbuch in den Gemeinderat ein. Dieser Antrag wurde ebenfalls abgelehnt – unter anderem mit der Begründung, dass „die Modernisierungsmaßnahmen bereits durchgeführt werden und die Aufstellung einer Satzung daher für diese Gebiete zu spät kommt“. In der vergangenen Woche wollten die Linken nun rechtzeitig handeln und den Milieuschutz für die Cannstatter Straße präventiv erlassen, bevor Vonovia Modernisierungen ankündigt.

Unterstützung für ihre Forderung erhält die Partei vom Deutschen Mieterbund und vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Während Udo Casper, Mieterbund-Vorsitzender für das Gebiet Esslingen-Göppingen, betont, dass sein Verein „keine Partnerschaft“ mit der Linken eingegangen sei, sondern nur eine themenbezogene Kooperation, will Gerhard Frank, Vorsitzender des DGB-Kreisverbands Esslingen-Göppingen, „bezahlbaren Wohnraum zu einem zentralen Thema im Kommunalwahlkampf machen“ und „jede Partei unterstützen, die unsere Forderung teilt“.

Im Gemeinderat jedoch wurde der Antrag auf Milieuschutz mit den Stimmen von SPD, CDU und Freien Wählern abgelehnt. Die Linken stimmten für die Satzung und die Grünen enthielten sich. Damit folgten die Stadträte mehrheitlich der Beschlussvorlage des Stadtplanungsamts. Laut Franz Schneider, Leiter der Abteilung Städtebauliche Planung, sei bezahlbarer Wohnraum – sowohl die Bewahrung von bereits vorhandenem als auch die Schaffung von neuem – zwar Aufgabe der Stadt. Aber von Rechts wegen könne die Satzung in der Cannstatter Straße nicht angewendet werden. „Denn die Milieuschutzsatzung ist ein städtebauliches Instrument des Verdrängungsschutzes. Kommunen wenden sie auf Bestandswohnungen an, um die soziale Umstrukturierung eines ganzen Viertels zu verhindern“, erklärt Schneider. „Nicht eingesetzt werden kann die Satzung, um einzelne Bewohner vor Mieterhöhungen zu schützen.“

Zweckentfremdung der Satzung

Soll die Cannstatter Straße trotzdem unter Milieuschutz gestellt werden, muss die Satzung zweckentfremdet und verbogen werden – mit erheblichen Kosten. Um überhaupt von einem Milieu im Sinne einer sozioökomischen oder soziokulturellen Einheit der Wohnbevölkerung sprechen zu können, müsste Schneider zufolge das Gebiet rund um die Cannstatter Straße herum weiter gezogen werden. Damit sei eine gewisse „Rechtsunsicherheit“ und ein „hoher bürokratischer Aufwand“ verbunden. Denn zur Festlegung des Erhaltungsgebiets müsse vorab die Bevölkerungsstruktur untersucht werden. Im Anschluss müsse die Stadtverwaltung innerhalb des geschützten Gebiets den Bauantrag jedes Vermieters prüfen, der sein bestehendes Gebäude abreißen, modernisieren oder gewerblich nutzen will. Denn der Milieuschutz lässt durchaus Spielraum für Modernisierungen, um den Wohnkomfort oder die Energieeffizienz zu verbessern. In diesem Rahmen sind auch Mieterhöhungen zulässig. Allerdings verbietet die Satzung Luxussanierungen.

Stadtplaner Schneider erteilt nicht nur dem Milieuschutz eine Absage, sondern schlägt gleichzeitig alternative Lösungen für die Esslinger Wohnungsnot vor. Dazu gehört zum einen die Entlastung von Bestandswohnungen durch den Bau neuer Wohnungen qua Nachverdichtung, Ausweisung neuer Baugebiete und Wohnraumversorgungskonzept, das Wohnungen für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen vorsieht. Zum anderen beruft sich Schneider auf das Mietrechtanpassungsgesetz, demzufolge Vermieter statt wie bisher elf Prozent seit Jahresbeginn bundesweit nur noch acht Prozent der Modernisierungskosten auf Mieter umlegen dürfen. Zusätzlich wurde eine absolute Kappungsgrenze von drei Euro pro Quadratmeter für die Dauer von sechs Jahren eingeführt.

Diese Maßnahmen hält Udo Casper vom Mieterbund für „Augenwischerei“: „Nachverdichtung und Neubaugebiete lösen das akute Wohnraumproblem nicht, sondern greifen erst in einigen Jahren“, erklärt der Mietrechts-Experte. Die Ablehnung des Milieuschutzes erwecke den Eindruck, „der Stadtverwaltung geht es darum, sich Arbeit vom Hals zu halten“. Dass der Gemeinderat den Antrag der Linken pauschal abgelehnt habe, bedauert Casper. „Stattdessen müsste die Stadt prüfen, ob sich ein größeres Schutzgebiet um die Cannstatter Straße herum abgrenzen lässt.“

Vonovia – Deutschlands größter privater Vermieter

Mit mehr als 400 000 Einheiten ist Vonovia Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen. Der Konzern mit Sitz in Bochum ist 2001 gegründet worden und beschäftigt inzwischen knapp 10 000 Mitarbeiter. 2013 ging er an die Börse, seit 2015 ist er im DAX notiert. Um Gewinne und Dividenden für Aktionäre zu maximieren, kauft Vonovia zunächst bestehende Wohnungsgesellschaften auf, modernisiert sie anschließend und legt die Kosten teils auf die Mieter um.

Preiswerte Wohnungen kauft Vonovia gezielt auf, zum Beispiel Eisenbahnerwohnungsgesellschaften im Jahr 2001, 2005 dann Werkswohnungen von RWE und 2015 die Süddeutsche Wohnen GmbH. Inzwischen breitet sich der Konzern über Deutschland hinaus aus: Nach zwei Übernahmen in Österreich und einer Partnerschaft in Frankreich hat Vonovia im vergangenen Jahr die Aktienmehrheit an einem schwedischen Wohnungsunternehmen erworben.

Der Wachstumskurs rentiert sich für das Unternehmen. Der operative Gewinn soll 2019 auf 1,14 bis 1,19 Milliarden Euro steigen, wie das Unternehmen vergangenen Herbst mitteilte. Die Dividende für 2018 liegt bei 1,44 Euro je Aktie. Doch seit einiger Zeit kommt es in mehreren Städten – unter anderem in Stuttgart, Konstanz und Bochum – zu Mieterprotesten. Die Bewohner werfen Vonovia unnötige Modernisierungen und überhöhte Mietsteigerungen vor.mst

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