Eine Felsformation in Arizona, USA, die aussieht wie eine Vulva. Foto: Dumont/Flavio Giorgis

Felsspalten, Feuchttücher, Früchte: Sie sehen so aus wie das weibliche Geschlecht. Der Bildband „I see Vulvas everywhere“ soll zur Gleichberechtigung beitragen.

Die Wahrheit ist: Der Mensch sieht nur, was er sehen will. Er erkennt Muster, ordnet ein, blendet aus. Deshalb sieht für den, der Hunger hat, alles wie ein Steak oder eine Falafel aus. Deshalb schauen schlumpfige Gesichter aus Astlöchern im Holz. Deshalb sieht der Kriminalbeamte in jeder Rohrzange ein Einbruchswerkzeug. In der Psychologie heißt das selektive Wahrnehmung.

Und die ist der Grund dafür, warum wir gleich an einen Penis denken, wenn wir ein Objekt in phallischer Form sehen. Da braucht es noch nicht mal ein besonderes Faible für das männliche Geschlecht, die Form ist einfach und seit Kindertagen bekannt. „Bei Vulven hingegen könnte man fast glauben, sie seien erst vor Kurzem erfunden worden“, schreibt die Berliner Comedienne und Autorin Lisa Frischemeier.

Sie erkennt plötzlich in allem, was sie sieht, Vulven

Seit einigen Jahren sieht man auch das weibliche Geschlecht überall. Frauen fertigen in Workshops Gipsabdrücke ihrer Vulva an. In sozialen Medien sind Sammlungen von Vulven-Porträts veröffentlicht und bei Internethändlern findet man Kerzen, Seifen, Taschen in Vulven-Form. Deshalb erkennt die Berliner Autorin Frischemeier plötzlich auch in allem, was sie sonst sieht, eine Vulva und hat darüber einen Bildband veröffentlicht („I see Vulvas everywhere“, Dumont, 112 Seiten, 18 Euro). Sandwiches, ein geplatzter Luftballon, eine Decke auf der Wäscheleine, ein Treppenhaus von oben, eine Muschel auf dem Flohmarkt in Bologna, ein Vorhang, in den der Wind fährt, ein offener Hosenladen, Eiscreme, Felsspalten, die Kehllappen eines Huhnes, die gefalteten Hände einer Marienfigur, italienisches Gebäck, ein gefüllter Donut – alles Vulven! „Was kommt als nächstes?“, fragt Frischemeier, und antwortet: „Die Normalisierung!“ Normal ist nicht die „Untenrum-Monotonie“ im Porno, die das weibliche Geschlecht häufig mit operierten Vulvalippen zeigt. Und normal ist nicht, dass die Klitoris in Schulbüchern bislang falsch abgebildet war. Auch nicht normal ist es, die Frau als körperliche Mangelversion des Mannes zu beschreiben, wie Sigmund Freud es tat. Lisa Frischemeier meint: „Nur wer sich und die eigene Lust kennt, kann im Bett oder auf dem Küchentisch, im Aufzug, an der Raststätte auf der A40 nicht nur ,bitte lass das’, sondern auch ekstatisch ,bitte mach das’ sagen.“