EVG-Chef Martin Burkert verkündet das Ergebnis der Urabstimmung. Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Die Bahngewerkschaft legt den Tarifkonflikt endgültig bei. Doch haben sich lediglich 52 Prozent der Mitglieder für die Empfehlung der Schlichter ausgesprochen. Das magere Ergebnis setzt die Führung unter massiven Druck.

Gerade noch mal gut gegangen für die Führung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG – der Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn ist beendet. In der einmonatigen Urabstimmung haben die 110 000 bei der DB AG beschäftigten Mitglieder den Schlichterspruch abgesegnet.

Obwohl es sich im Gesamtvolumen um das höchste Tarifergebnis in der Gewerkschaftsgeschichte handelt, fiel das Votum mit einer Mehrheit von 52,3 Prozent eher schwach aus. Die formale Hürde für die Annahme hatte bei 25 Prozent gelegen – umgekehrt wäre für einen unbefristeten Streik eine Zustimmung von 75 Prozent nötig gewesen. Der ist nunmehr ausgeschlossen.

„Damit haben wir einen solidarischen Tarifabschluss, der vor allem kleineren und mittleren Einkommen ein deutliches Plus von zum Teil über 50 Prozent bringt – vor allem in Ostdeutschland“, betonte am Montagnachmittag der EVG-Chef Martin Burkert, der von einer „klaren Zustimmung“ und einem „stabilen Ergebnis“ bei einer „hohen Wahlbeteiligung“ sprach. Teilgenommen hatten rund zwei Drittel aller Mitglieder (65,3 Prozent).

Stärkere Verbesserungen in Schlüsselfunktionen

Im Schnitt erhalten die gut 180 000 Beschäftigten bei der Bahn laut EVG einen Einkommenszuwachs von 14,2 Prozent. Konkret gibt es eine zweistufige Entgelterhöhung in Form eines Festbetrags von 410 Euro: 200 Euro zum Dezember 2023 und weitere 210 Euro zum August 2024. Bereits im Oktober wird eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2850 Euro ausgezahlt. Hinzu kommen strukturelle Verbesserungen für fast 70 000 Beschäftigte in Funktionsgruppen wie den Fahrdienstleitern, Zugbegleitern, Werkstattmitarbeitern, Instandhaltern, Stellwerkern oder Servicekräften. Dort gibt es durchschnittlich weitere 100 Euro im Monat oben drauf.

Es war ein harter Kampf für die EVG, um die Mehrheit hinter sich zu bringen. Schon im Bundesvorstand hatte sich Ende Juli ein Graben aufgetan. Dort sollen gut 41 Haupt- und Ehrenamtliche dafür, aber auch 16 dagegen gestimmt haben. So konnte die Gewerkschaftsführung ahnen, was da über die Sommerwochen auf sie einprasseln sollte. Betriebsgruppenvorstände wie etwa in Frankfurt legten sich schon Anfang August fest, allen Mitgliedern die Ablehnung zu empfehlen, weil mehrere Punkte – wie es hieß – gegen den Grundsatz „Wir leben Gemeinschaft“ verstoßen würden.

Die Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken füllten sich rasant mit ablehnenden Kommentaren: „Sorry EVG, aber das was ihr hier so voller Stolz als Erfolg proklamiert, ist ein Schlag ins Gesicht von so vielen“, hieß es bei Facebook. „Ich würde profitieren, aber alleine aus Solidarität gegenüber denjenigen, die leer ausgehen würden, gibt es nur eine einzige Option. Und das heißt ganz klar Nein!“ Ein anderer Nutzer schrieb: „Keine Spaltung, keine ,faulen’ Kompromisse! Von mir ein klares ‚Nein’, damit ich in Zukunft allen Kollegen weiter ohne schlechtes Gewissen in die Augen schauen kann.“

Die lange Laufzeit verärgert viele Mitglieder

Auch die 25-monatige Laufzeit des Tarifvertrags bis Ende März 2025 kommt teils schlecht an, zumal die EVG-Führung das Erreichen einer zwölfmonatigen Laufzeit in dem Konflikt besonders hoch gehängt hatte. Viele Nullmonate ohne echte Lohnerhöhung von März bis Dezember 2023, ein Ergebnis unterhalb der Forderung – „im Ergebnis also Reallohnsenkungen“, wird von kritischen Teilen der Basis geklagt. Selbst Austrittsankündigungen soll es dort gegeben haben. Zudem greift das Misstrauen gegen die Führung um sich, weil man sich von dieser über weitere Details des 140-seitigen Schlichtungsabkommens während der Urabstimmung schlecht informiert sah und zusätzliche Benachteiligungen darin wähnte. Die EVG-Führung musste sich in der Pressekonferenz sogar des Verdachts erwehren, dass die Urabstimmung nicht korrekt abgelaufen sei. Es sei „alles mit rechten Dingen zugegangen“, stellte Burkert fest.

„Haben keine falschen Erwartungen geweckt“

Dass an der Basis falsche Erwartungen geweckt worden seien, glaubt die Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay nicht. Vielmehr gebe es dort eine breite Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen und eine schwierige „Gesamtgemengelage“ mit einem Arbeitgeber, der sich mit den Forderungen der EVG wie zum Mindestlohn sehr schwer getan hätte. Dass etwa Triebfahrzeugführer benachteiligt wurden, soll in der nächsten Tarifrunde ausgebügelt werden: Der Bundesvorstand hat schon das Ziel formuliert, bei den Verhandlungen in 19 Monaten weitere Funktionsgruppen anzuheben.

GDL-Chef Weselsky kann im Herbst kontern

Konkurrenz
 Der Gewerkschaft EVG droht bald neuer Ärger: Der Konkurrent, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), könnte bald mit einem besseren Tarifabschluss auftrumpfen. Zwischen der GDL und der DB gilt noch bis Ende Oktober Friedenspflicht, dann wird ein neuer Tarifvertrag ausgehandelt.

Forderungen
GDL-Chef Claus Weselsky will für seine Leute 555 Euro mehr pro Monat erreichen sowie eine Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden. Auch die Inflationsausgleichsprämie gehört zu seinen Forderungen, der Tarifvertrag soll demnach zwölf Monate laufen.

Abgänge
Dass EVG-Mitglieder danach die Gewerkschaft wechseln, hängt von mehr Faktoren ab. Die EVG hat in den allermeisten DB-Betrieben eine Mehrheit – entsprechend wird dort ihr Tarifwerk angewendet. Nach dem EVG-Tarifvertrag werden derzeit 180 000 DB-Beschäftigte bezahlt, nach GDL-Tarif nur gut 8000.