Die Eigenanteile für Heimbewohner liegen heute schon bundesweit im Schnitt bei rund 2200 Euro. Foto: dpa/Sebastian Willnow

In der Pflegebranche müssen nun Tariflöhne zahlen. Das ist gut so, aber nun drohen drastisch steigende Eigenanteile.

In der Pflege muss ab September bundesweit nach Tarif bezahlt werden. Das ist eine gute Nachricht. Für Beschäftigte in Pflegeheimen oder bei ambulanten Pflegediensten bedeutet das mitunter einen deutlichen Einkommenssprung. Das Bundesgesundheitsministerium rechnet mit einem Lohnanstieg, der je nach Bundesland zwischen zehn und dreißig Prozent liegen kann. Das ist einerseits ein Grund zur Freude, zeigt allerdings auch, wie beschämend niedrig vielerorts die Bezahlung bislang war.

Immerhin verstetigt sich mit der neuen Verpflichtung ein Trend, der schon früher eingesetzt hat. Schon zwischen 2017 und 2021 hatte es in der Altenpflege einen Lohnzuwachs von knapp über 20 Prozent gegeben. Das liegt klar über den Steigerungsraten im Schnitt aller Branchen. Das ist sehr begrüßenswert, denn damit wird der Missstand schrittweise ausgeglichen, dass unsere Gesellschaft es bislang nicht geschafft hat, sehr systemrelevante Berufe, die hohe Belastungen mit sich bringen und gleichzeitig viel Sozialkompetenz erfordern, angemessen zu entlohnen. Das höhere Lohnniveau ist zudem eine zwingende, wenn auch längst nicht hinreichende Voraussetzung, um den weiter wachsenden Bedarf an qualifizierten Kräften in der Pflege einigermaßen zu decken. Alles gut also? Leider nicht.

Diese Medaille hat nicht nur eine glänzende Vorder-, sondern auch eine ziemlich rostige Rückseite. Einer muss für die steigenden Kosten der Heime aufkommen. Das Gesundheitsministerium weist darauf hin, dass die Pflegekassen verpflichtet seien, die steigenden Lohnaufwendungen bei den Verhandlungen der Vergütung der Pflegeleistungen zu berücksichtigen und damit die Refinanzierung der Tarifbindung zu gewährleisten.

Die Medaille hat eine rostige Rückseite

Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Pflegebeitrag für über 23-jährige Kinderlose bereits von 3,3 auf 3,4 Prozent erhöht. Zudem zahlt der Bund nun jährlich eine Milliarde Euro als Pauschalzuschuss an die Pflegeversicherung. Wahr ist auch, dass Heimbewohner seit Jahresbeginn einen Zuschlag erhalten, der mit der Dauer des Heimaufenthalts steigt.

Eigenanteile heute schon im Schnitt bei rund 2200 Euro

Und dennoch wird das alles nicht reichen: Schon ohne Einbeziehung der nun deutlich höheren Lohnkosten steigen die Eigenanteile der Heimbewohner immer weiter. Bei vollstationärer Pflege liegen sie heute schon im bundesweiten Schnitt bei rund 2200 Euro. Und den Pflegekassen, die mit den Heimen die Vergütungen aushandeln müssen, steht das Wasser ohnehin bis zum Hals. Das aus den Reserven ausgeglichene Defizit des vergangenen Jahres belief sich auf 1,35 Milliarden Euro.

Alle Ad-hoc-Reparaturen können die Pflegeversicherung nicht dauerhaft stabilisieren. Die pflegerische Versorgung einer demografisch vollkommen aus dem Gleichgewicht geratenen, immer älter werdenden Gesellschaft ist keine Aufgabe, die allein auf die Schultern der immer kleiner werdenden Gruppe der abhängig Beschäftigten und ihrer Arbeitgeber gelegt werden kann. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Es ist daher zwangsläufig, dass die wachsenden Kosten immer stärker aus dem Steuertopf finanziert werden müssen.

Die Alten haben keine quicke und mediengewandte Lobby

Um dessen Gelder kämpfen viele tatsächlich und scheinbar Bedürftige. Die Alten haben aber keine mächtige und gut vernetzte Lobby wie Energie- oder Automobilwirtschaft und auch keine quicken und mediengewandten Aktivisten wie die selbst ernannten Klimakämpfer. Der Kampf um die Belange älterer Menschen ist mühsam. Gerade deshalb trägt der Staat hier eine ganz besondere Verantwortung. Es wäre jedenfalls unerträglich, wenn am Ende die Heimbewohner über absurd hohe Eigenanteile die Folgen der Lohnanpassungen zu tragen hätten.