Hände hoch für „YMCA“, für einen Hit der queeren Community, bei Gaydelight am Donnerstagabend im Zelt des Wasenwirt. Foto: /Andreas Rosar Fotoagentur-Stuttg

Heiß, heißer, Gaydelight: Die Party im Zeichen des Regenbogens, einst angefeindet, zählt heute zu den Höhepunkten auf dem Wasen. Zum 25. Geburtstag ist alles noch viel wilder. Frl. Wommy Wonder präsentiert den Motto-Song des CSD: „Jetzt erst recht!“

Gibt es immer noch Leute, die meinen, früher sei alles besser gewesen? Das trifft auf den Cannstatter Wasen bestimmt nicht zu! Als Theo Pagliarucci, ein Schausteller in der siebten Generation mit italienischen Vorfahren, vor 25 Jahren die Partyreihe Gaydelight erfunden hat, verbot man ihm die Werbung dafür. Draußen am Zelt musste auf dem Plakat das Wort „Travestiekünstler“ durch „Verwandlungskünstler“ ersetzt werden.

Travestie-Lady Frl. Wommy Wonder, die im Herbst ihr 40-Jahr-Bühnenjubliäum feiert, weiß, was sich früher von heute unterscheidet: „Früher bestand die Gefahr, verprügelt zu werden, wenn man Gaydelight besuchte – heute prügelt man sich um die Karten.“

Bei der Feier zum 25. Geburtstag im Wasenwirt-Zelt ist’s proppenvoll, zwischen den Tischreihen muss man sich durchkämpfen, um nicht steckenzubleiben. Für wilde Mucke sorgen die Bands Grafenberger und Soundwich mit Sängerin Lisa Lu, die beim Gesangswettbewerb Goldkehlen auf dem Wasen gewonnen hat. Und was dem Fräulein-Wonder-Wunder besonders gefällt: „Heute sind so viele Junge da, die waren noch gar nicht auf der Welt, als es mit dieser Wahnsinnsparty losging.“ Wenn der Nachwuchs strömt, ist eine Tradition gerettet.

Der Wommy geht’s eigentlich gar nicht gut. Vor einigen Tagen ist sie bei einem Auftritt gestürzt, erlitt ein Platzwunde am Kopfe, musste genäht werden. Am nächsten Morgen nach Gaydelight wird sie in die Röhre geschoben, weil die Ärzte wissen wollen, was der Unfall mit ihrem Hirn gemacht hat. Doch bei der Party beim Wasenwirt will sie nicht fehlen, um auf der Bühne „Jetzt erst recht“ zu singen, den Motto-Song zum Stuttgarter CSD 2024.

Bei ihrem umjubelten Auftritt zeigt sich: Das Hirn funktioniert noch bestens! Kaum ist das Fräulein fertig am Mikro, fährt es nach Hause, um sich zu schonen.

Aus Köln ist der ARD-Sitzungspräsident Marcus Gottschalk angereist

Wasen-Wahnsinn im Zeichen der Diversität: So viele begeisterte Gesichter sieht man in dieser heißen Nacht! „Ist echt stark hier“, jubelt Alexander „Sandy“ Franke, der Moderator, der zum ersten Mal durch den Abend bei Gaydelight führt. „In Stuttgart kann man wirklich feiern“, lobt Marcus Gottschalk, der Sitzungspräsident der ARD-Sendung vom Kölner Karneval. Mit einer Gruppe von Kölner Jungs ist der frühere Faschingsprinz nach Cannstatt gereist. Prompt stehen alle auf den Bänken, singen pausenlos mit.

Mag’s beim Karneval in Köln viel wilder zugehen – beim Frühlingsfest ist Stuttgart Spitze, was sich bis ins Rheinland herumgesprochen hat, weshalb Gottschalk („Mit Thomas bin ich nicht verwandt“) zum zweiten Mal zum Feiern in der Krachledernen an den Neckar gekommen ist.

Eine große Familie feiert

Beim Wasenwirt freut sich das Personal, weil es bei keiner anderen Veranstaltung so viel Trinkgeld gibt wie von den Gästen der Rainbow-Gemeinde, so hört man. Auch die Security sei happy, weil alles immer so friedlich verläuft. Und die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart will keine Diskriminierungen zulassen, sondern alle Menschen einladen, gemeinsam zu feiern – Toleranz und Diversität werden auf dem Wasen gelebt.

Eine große Familie feiert – das kommt auch bei Heterosexuellen immer besser an. „Etwa 20 Prozent sind Heteros, der Rest ist queer“, schätzt eine Besucherin, die sich ganz genau umschaut. Die Empore ist komplett vom Bärenclub reserviert – also von Männern mit Gewicht. Der „Bär“ ist sozusagen das Ur-Tier der Schwulenszene – die erste gängige Beschreibung eines Stereotyps in der Community. Wo es früher in Kontaktanzeigen immer hieß „Bitte kein BBB “ (Bauch, Bart, Brille), wird heute in den Internetportalen explizit nach Bären gesucht.

Unten im Zelt sieht man „Daddys“, „Twinks“, Dragqueens, Girls, die Girls küssen, den Enzo, der seit Jahren zum Gaydelight mit ganz wenig Stoff kommt, seinen Allerwertesten also blank zeigt und seinen Beruf mit „Lebenskünstler“ angibt – sowie den Stuttgarter-Hofbräu Chef Martin Alber, der übers ganze Gesicht strahlt. Für seine Brauerei sei das Frühlingsfest trotz der anfänglichen Probleme (Norovirus, schlechtes Wetter, ein Mann mit Machete) „ein absoluter Erfolg“, wie er sagt. Das Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr sei zweistellig.

Auf der Bühne ergreift wie immer Szene-Wirtin Laura Halding-Hoppenheit das Wort, lobt vor allem Theo Pagliarucci für seinen 25-jährigen Kampf für Diversität und sagt, dass es trotz aller Fortschritte für ihre „Kinder“, wie sie die Community nennt, noch viel zu tun gebe. Was viele überrascht: Zwar ist die früher Linke mit Andreas Winter, dem früheren Chef der grünen Gemeinderatsfraktion, gekommen, mit dem sie nun nach Querelen mit ihren Parteien mit einer eigenen Stuttgarter Liste bei der Kommunalwahl antritt – doch auf der Bühne verzichtet sie auf einen Wahlaufruf.

Was Detlef Raasch, den Sprecher des CSD Stuttgart freut, der ebenfalls auf der Bühne spricht: Ein Berliner Gast sagt, er würde lieber in Stuttgart beim CSD auf einem Truck mitfahren als in der Hauptstadt: „Bei euch ist es viel familiärer, viel schöner, die Stimmung besser.“

In Wahljahren kürt der CSD keine Politikerin oder keinen Politiker für den „Ehrenvorsitz“. 2024 sollen drei Schirmpersonen mit einem multireligiösen Bündnis aus Stuttgart ein Zeichen setzen im Kampf für Menschenrechte. Schon bei der Pride-Demo im Sommer 2023 (die Veranstalter sagen lieber Demonstration als Parade) setzte die Jury bei den Formationen das Miteinander von Juden und Muslimen auf Platz eins. Gerade mit Blick auf den Krieg in Nahost und die von Rechtsextremen geforderte Ausreise von Migranten erscheint es den Veranstaltern wichtig, einem multireligiösen Bündnis für queere Vielfalt in Stuttgart den „Ehrenvorsitz“ zu übertragen.

Motto: Vielfalt leben – jetzt erst recht

„Wir dürfen uns nicht auf den Zugeständnissen ausruhen, die wir uns als queere Menschen in den letzten Jahren und Jahrzehnten hart erkämpft haben“, sagt Detlef Raasch. Das CSD-Motto lautet deshalb für 2024: „Vielfalt leben – jetzt erst recht.“ Beim Gaydelight wird die Vielfalt gelebt – und die macht allen viel Spaß.

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