Innenminister Thomas Strobl: seit Jahren Schlusslicht bei der Polizei Foto: Simon Granville/Simon Granville

In seiner Antwort auf eine Anfrage aus dem Parlament zur Polizeistärke in Stuttgart rechnet das Innenministerium die Zahlen schön – indem es auch auf Kranke, Schwangere und junge Eltern zurückgreift.

Um die personelle Stärke der Polizei Baden-Württembergs zu erfassen, scheint das Innenministerium des Landes auf völlig neue Parameter zu setzen. In der Antwort auf eine kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Friedrich Haag zur Polizeipräsenz in der Landeshauptstadt Stuttgart führt Staatssekretär Thomas Blenke (CDU) dafür den Begriff der „Personalstärke Ist ‚brutto‘“ ein. Quasi im Kleingedruckten seiner Antwort erklärt der beiläufig, dass unter diesem Begriff alle Polizeibeamtinnen und -beamten erfasst werden, die „den Organisationseinheiten zum jeweiligen Stichtag fest zugeordnet waren. Allerdings stehen aus vielfältigen Gründen (beispielsweise wegen Teilzeitbeschäftigung, Mutterschutz, Elternzeit, längeren Erkrankungen, Abordnungen, internen Umbesetzungen) in der Regel nicht alle zugeordneten Personen tatsächlich zur Dienstleistung zur Verfügung“.

Auf den ersten Blick erweckt Blenke in dem ministeriellen Antwortschreiben auf die Landtagsanfrage den Eindruck, als würden in den acht Polizeirevieren Stuttgarts mehr Polizisten verfügbar sein, als im Haushaltsplan des Parlaments vorgesehen. Dieser sieht, so listet der Staatssekretär in einer Tabelle auf, 1427,5 Stellen vor. Nach der neuen Blenke‘schen Rechnung „Ist ‚Brutto’“ sind es jedoch 61,5 Stellen mehr: 1489.

Dieser Trick hilft dabei, die von Innenminister Thomas Strobl (CDU) inzwischen seit Jahren gepriesene „größte Einstellungsoffensive bei der Polizei“ in Baden-Württemberg in ein günstiges Licht zu rücken. Mit dieser Initiative würden aber, so kritisieren die Polizeigewerkschaften im Land, mehr schlecht als recht lediglich die Stellen wieder aufgefüllt, die frei werden, wenn Polizisten in den Ruhestand gehen. Auf der Straße, so die einhellige Meinung der Interessenvertreter, komme damit nicht ein einziger Polizist mehr.

Alleine in Stuttgart fehlen 100 Besatzungen von Streifenwagen

Im Gegenteil: Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), rechnet vor, dass allein in Stuttgart aktuell etwa 200 Polizisten fehlten. Das entspreche der Besatzung von 100 Streifenwagen. „Hinzu kommt, dass auch die Einstellungsoffensive selbst stockt“, sagt Kusterer. So begrüßte Minister Strobl zwar erst vor Kurzem öffentlichkeitswirksam 600 Kommissaranwärter zum Studium. Eingestellt waren die aber bereits im Juli 2022 in einer Stärke von 672. Mehr als 10 Prozent waren also inzwischen wieder abgesprungen.

„Wer in den vergangenen Wochen die Berichterstattung zur Begrüßung von Polizeistudenten oder Vereidigungen beachtete, gewinnt den Eindruck, als würde die Polizei verstärkt. Mich erinnert das an die alte Kriegslist, bei der dieselben Truppen immer wieder um die Häuserblöcke fahren, um den Eindruck zu erwecken, es seien ganze Divisionen“, so Kusterer. Tatsache sei, dass die Überlastung in der Polizei seit Jahren zu hoch sei, die Beschäftigten krank mache und bisher keine Verbesserungen, sondern eher Verschlechterungen zu verzeichnen seien. Die DPolG geht davon aus, dass im Land zwischen 1800 und 2000 Polizeibeamte fehlen – fast die Besatzung von 1000 Streifenwagen. „Jeder kann selbst ausrechnen, was das für seine eigene Sicherheit bedeutet. Zur Wahrheit gehört, dass sich die Berechnungen der Polizeidichte an den Haushaltsstellen und nicht an ‚Ist Brutto‘ oder ‚Ist Netto‘ orientiert“, so Kusterer.

Seit Jahren bundesweit die rote Laterne in der Polizeidichte

Die sogenannte Polizeidichte gibt an, wie viele Polizisten auf 100 000 Einwohner kommen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet Politikern seit Jahren vor, dass Baden-Württemberg bei der Polizeidichte den letzten Platz belegt. Diese Einschätzung wird durch die Zahlen des statistischen Bundesamtes auch belegt.

„Der Polizei fehlen aktuell mindestens 6000 Vollzugsstellen, um das Gefühl von Innerer Sicherheit auch auf die Straße zu tragen“, sagt der GdP-Landesvorsitzende Gundram Lottmann. Das versprochene Personal zur Entlastung des operativen Dienstes käme nicht an der Basis an, die werde weiterhin „auf Verschleiß gefahren. Selbst Kernaufgaben der polizeilichen Arbeit leiden inzwischen unter dem herrschenden Personalmangel“.

In diesem September schlossen 230 Polizisten ihre Ausbildung erfolgreich ab, nur 70 Prozent der Eingestellten. Gestartet waren 330 Beamte. Statt der für 2023 vorgesehenen 1340 Auszubildenden traten nur 1188 in den Polizeischulen an. Bleibt es bei einer Quote von etwa 30 Prozent, kämen zwischen 2026 und 2027 etwa 356 Polizisten weniger in den Präsidien und in der Bereitschaftspolizei an.