Die Linke vs. „Bündnis Sahra Wagenknecht“: Beide gehen neuerdings getrennte Wege. Doch sitzen sie im Bundestag immer noch gemeinsam in der Linksfraktion. Lange wird es nicht mehr gehen.
Die Scheidung ist durch, aber der gemeinsame Hausrat noch nicht aufgeteilt und man sorgt sich um die Kinder - so ähnlich hört sich das derzeit bei der Linken an. Nach endlosem Streit ist die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht zusammen mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten aus der Partei ausgetreten, um ein Konkurrenzprojekt zu gründen. Trotzdem blieben die sogenannten Abtrünnigen vorerst in der Linksfraktion im Bundestag. Die beriet am Dienstag, wie lange das noch so weitergehen soll.
Die Antwort ist etwas verworren: Die Fraktion will sich auflösen - aber offiziell beschlossen wird das erst nächste Woche. „Wir haben entschieden, dass wir in der nächsten Woche die Liquidation einleiten werden“, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch am frühen Abend. Dann werde auch festgelegt, „zu welchem Datum diese Liquidation beginnt“. Diesen Zeitpunkt könne er noch nicht nennen: „Am nächsten Dienstag kann ich Ihnen sagen, zu welchem Datum das passiert.“
Dass die Linksfraktion „politisch am Ende ist“, hatte Bartsch schon vor der Fraktionssitzung gesagt. „Es wird so sein, dass wir in absehbarer Zeit keine Fraktion mehr im Deutschen Bundestag sein werden.“ Zugleich betonte er: „Ich werbe dafür, dass wir das möglichst in Ruhe, möglichst in Würde, möglichst zielorientiert tun.“
Nicht genügend Mandate für eine Fraktion
Schon die Ausgangslage war ziemlich unübersichtlich. Ohne Wagenknecht und ihre Mitstreiter hat die Linke im Bundestag nicht genügend Mandate für eine Fraktion. Stattdessen könnte es künftig verschiedene parlamentarische Gruppen geben - Wagenknecht und ihre Leute einerseits und die in der Linken verbliebenen 28 Abgeordneten andererseits.
Solche Gruppen haben weniger parlamentarische Rechte als eine Fraktion, und sie bekommen weniger finanzielle Unterstützung. Als Fraktion erhielt die Linke 2022 rund 11,5 Millionen Euro staatlicher Zuwendungen, wie aus einer Unterrichtung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vom September hervorgeht. Allein 9,3 Millionen Euro gab die Linksfraktion für Personal aus. Sie hat über 100 Beschäftigte.
Es geht um Kündigungen
Wird die Fraktion liquidiert, muss allen zunächst gekündigt werden - mit der ungewissen Aussicht auf einen neuen Job in den künftigen Gruppen. Will man das ausgerechnet kurz vor Weihnachten, in einer als sozial und gerecht firmierenden Partei? Oder kann man Kündigungsfristen so zielgerichtet „verpassen“, dass die Menschen zumindest noch einige Monate länger bis ins Frühjahr Gehalt bekommen? Wagenknecht und ihre Unterstützer wollten jedenfalls nicht den Schwarzen Peter und beantragten, vorerst in der Fraktion zu bleiben und damit deren Ende hinauszuzögern.
Bartsch hatte den Wagenknecht-Leuten öffentlich geraten, lieber nicht zur Fraktionssitzung zu kommen. Doch pünktlich kurz vor 14.00 Uhr schritten trotzdem vier der sogenannten Abtrünnigen feierlich in den Fraktionssaal im Reichstagsgebäude. Dort unterbreiteten sie ein „Angebot“, wie Wagenknechts langjähriger Mitstreiter Christian Leye anschließend sagte. Man wolle über die geordnete Abwicklung sprechen, auch mit Rücksicht auf die Fraktionsmitarbeiter. „Wir haben von Anfang an gesagt: Wir trennen uns, aber wir trennen uns wie Erwachsene - kein Rosenkrieg“, sagte Leye.
Wie soll es weitergehen?
Um im Scheidungsbild zu bleiben: Die zerstrittenen Eheleute sollen also aus praktischen Erwägungen noch ein bisschen unter einem Dach wohnen. Viele in der Linken finden das bitter, nicht nur der ehemalige Parteivorsitzende Bernd Riexinger. Auch die amtierende Co-Vorsitzende Janine Wissler meinte vorab: „Für mich ist vollkommen klar, dass dies natürlich kein haltbarer Zustand ist.“ Man müsse „den Übergang jetzt so schnell wie möglich hinkriegen.“ Spätestens zu Beginn des Linken-Parteitags in Augsburg am 17. November will die Parteispitze das Thema Wagenknecht abgeräumt haben.
Denn beide Seiten sind nun politische Widersacher. Der Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ will Anfang 2024 eine eigene Partei werden. Diese hätte laut Umfragen großes Wählerpotenzial. Ob sie es ausschöpft, ist schwer abzuschätzen, zumal Programm und Personal offen sind. Die Linke muss jedenfalls um ihre politische Zukunft kämpfen. Sie lag zuletzt in Umfragen nur bei etwa 4 Prozent.
Sie hofft auf ein Comeback, wenn der Dauerstreit mit Wagenknecht endlich vorbei ist. Wenn nächste Woche der Liquidationsbeschluss der Fraktion fällt, hätte man zumindest so etwas wie Handlungsfähigkeit bewiesen - auch wenn der Zeitpunkt später liegen sollte. „Ich möchte, und das sehe ich mit ein bisschen Optimismus, dass die Linke wieder auf die Erfolgsspur kommt“, sagte Bartsch. „Und da gab es große Einigkeit heute, dass wir das versuchen wollen.“