Dragica Kling hat den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und berät nun andere beim Karrierewechsel. Foto: Roberto Bulgrin

Ein Leben lang im gleichen Job – das wird angesichts der großen Transformationen in der Arbeitswelt immer unwahrscheinlicher. Doch was muss man beachten, wenn man sich umorientieren will – oder muss?

Kreis Esslingen - Ihre berufliche „Initialzündung“ erlebte Dragica Kling (siehe Foto) 2007: Damals begann die Sozialpädagogin bei der Industrie- und Handelskammer Ludwigsburg im Projekt Matching, Jugendliche in Ausbildungsplätze bei Unternehmen zu vermitteln. „Ich habe festgestellt: Das gefällt mir und es ist etwas, was mir liegt.“ Als das Projekt nach fünf Jahren auslief, träumte Kling davon, sich damit selbstständig zu machen. Stattdessen nahm die Tochter kroatischer Eltern aber eine Stelle in der Bildungsplanung der Stadt Esslingen an. Weitere vier Jahre später kündigte sie schließlich doch, begann eine einjährige Ausbildung für sogenanntes lösungsorientiertes Kurzcoaching und jobbte nebenbei bei einem Optiker. Was war ausschlaggebend für den Karrierewechsel zu diesem Zeitpunkt, was war anders? Sie hatte sich ein finanzielles Polster erspart. Sie erfuhr von einer kompakteren Ausbildung – bis dato dauerten solche Schulungen in aller Regel zwei Jahre. Und sie war Anfang 40. „Ich dachte mir: Entweder du machst das jetzt – oder du kannst es lassen.“ Es sei der richtige Zeitpunkt gewesen, ihre Vision umzusetzen.

Heute berät Dragica Kling, mittlerweile 44, in ihrer vor Kurzem eröffneten „Coaching-Werkstatt Kling“ neben Jüngeren auch Leute in den 40ern oder 50ern, die sich wie sie einst die Frage stellen: „Ändere ich noch etwas? Soll ich, kann ich, darf ich kündigen?“ Viele ihrer Kunden hätten einen gemeinsamen Nenner: „Sie sagen: Ich mache das 20 Jahre – und sehe keinen Sinn mehr darin. Die Suche nach etwas Sinnstiftendem, das zu ihnen passt beschäftigt aber auch viele Jünger. Und das war auch für mich wichtig.“ Oft seien es Kreativmenschen, die das nicht auslebten. Es könne aber auch etwas anderes sein, was über einen Richtungswechsel nachdenken lasse: der Konflikt mit dem Chef oder den Kollegen, zu wenig Zeit für die Familie, ein konkretes Jobangebot mit Aufstiegschancen. Was sie ihnen rät? Gar nichts, winkt Kling ab, die Menschen müssten von selbst ihre Lösungen finden. Viele hätten gerne von ihr die Erlaubnis, eine neue Richtung einzuschlagen. Doch die könne sie nicht geben.

Unterstützung ist wichtig beim Karrierewechsel

Nicht für alle sei ein solcher Schritt richtig. „Es hängt davon ab, in welcher Lebenssituation die Leute sich befinden.“ Etwa, wenn eine Familie dranhänge und Sicherheit eine noch viel größere Rolle spiele. Manchmal fehlte aber ohnehin auch nur wenig zum Glück, gibt Kling zu bedenken. Dann sei vielleicht schon ein Ehrenamt eine gute Ergänzung. Ein berufsbegleitendes Studium, oder eine Teilzeitausbildung könne eine Möglichkeit sein – „aber auch eine richtige Belastung“, sagt die Beraterin. „Für einen Karrierewechsel braucht man ein Ziel, eine Vision, eine Idee – ohne das funktioniert es nicht“, so Kling. Aber auch Mut, kreatives Denken, Zielorientierung und einen guten Fahrplan. „Und: Ich brauche immer ein Unterstützersystem, ein Netzwerk.“ Ihre eigene Entscheidung hat die Laufbahn-Beraterin nie bereut, betont sie. Langsam komme sie an den Punkt, an dem sich ihr Geschäft trage. Es gebe definitiv viel Beratungsbedarf, stellt Kling fest.

Das können auch die Berater der Bundesagentur für Arbeit (BA) bestätigen. Ihre Kunden haben allerdings oft keine andere Wahl, als etwas zu ändern, selbst wenn sie das nicht wollen. Wegen gesundheitlicher Probleme, Umzug, Trennung, weil die Belastung zu hoch werde, in der Schockstarre nach der Kündigung – „das sind oft Dinge, die den klassischen Lebenslauf verändern und unterbrechen“, sagt Thomas Kieckhäfer, Teamleiter der Integrations- und Weiterbildungsberatung der Agentur in Esslingen. Es gebe zwar auch einige, die in einem Arbeitsverhältnis stehen und sich umorientieren möchten. „Die meisten Kunden sind aber arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht.“

Viele werden den Strukturwandel zu spüren bekommen

Den sich anbahnenden Strukturwandel und die Konjunkturflaute bekommen die Berater zu spüren, in den vergangenen Wochen seien vermehrt Menschen aus Automobilbranche, Maschinenbau und Metallverarbeitung da, erzählt Tobias Krause, Geschäftsstellenleiter der Agentur für Arbeit in Kirchheim. Problem sei: „Viele haben die Tragweite des Strukturwandels noch nicht erkannt.“ Das seien teilweise Menschen in Helfertätigkeiten mit vergleichsweise hohem Stundenlohn, ergänzt Kieckhäfer – für die es schwierig wird, in einem neuen Job dieses Niveau wieder zu erreichen. Als mögliche Lösungen beschreiben die Berater Anpassungsqualifizierungen, damit der Industriemechaniker zum Experten wird. Oder den Berufsabschluss, den der Helfer dringend noch erwerben sollte. Doch auch wenn in der Zeit der Qualifizierung die Kosten für Lehrgang und Lebensunterhalt bezahlt werden: Für viele ist der finanzielle Einschnitt zu groß, besonders wenn eine Familie dranhängt. Deswegen seien berufsbegleitende Qualifizierungen so wichtig.

Oft erwarteten Leute, dass man ihnen sage, wohin es gehe und was sie tun sollen, erzählt Kieckhäfer. „Aber das geht nicht.“ Den Input, den der Berater geben könne sei: Was geht mit Bezug auf die gegebenen Rahmenbedingungen der Person alles? Wie kommt sie dahin und was für Fördermöglichkeiten gibt es? Dabei muss es nicht immer eine Weiterbildung oder Umschulung sein. Manchmal helfe auch die Suche in verwandten Berufsfeldern. So könne eine Konditorin, die die Arbeitszeiten nicht mehr mit der Familie vereinbaren kann, dank ihres Wissens über Hygiene und Lebensmittel auch in Lebensmittel verarbeitenden Betrieben arbeiten. Nicht jede Klientenidee für einen Berufswechsel wird von der Behörde gefördert. Etwa, wenn es dafür keinen Arbeitsmarkt gibt oder wenn die Person in ihrem alten Job gute Perspektiven hat. Im Gegenzug könne man die Menschen nicht verbiegen, sagt Kieckhäfer, „nach dem Motto: Ich habe hier die Schleckerfrau und dort Bedarf in der Pflege“.

Lebensbegleitende Berufsberatung

Wichtig ist Kieckhäfer, dass sich die Leute an ihm selbst kein Beispiel nehmen: „So einen Lebenslauf wie meinen wird es immer weniger geben: 43 Jahre bei der Agentur für Arbeit.“ Deswegen habe die lebensbegleitende Berufsberatung einen immer höheren Stellenwert. Das macht auch seine Vorgesetzte, Thekla Schlör, Leiterin der Agentur für Arbeit in Göppingen, deutlich: „Ich will arbeiten, ich will lernen, ich will mich weiterentwickeln – das muss jeder mitbringen im Berufsleben.“

Nicht beraten Kieckhäfer, Krause und ihre Kollegen bei der BA dagegen, wenn sich jemand selbstständig machen will. Dann verweisen sie beispielsweise auf die Angebote zur Existenzgründungs- und Unternehmensnachfolgeberatung bei Industrie- und Handelskammer (IHK) oder Handwerkskammer. Es gebe vielfältige Naturen unter den Gründern, sagt Michael Kuschmann, stellvertretender Leiter der IHK Esslingen-Nürtingen. Aber es seien alles Menschen, die eine gewisse Motivation an den Tag legten und das Unternehmertum verinnerlicht hätten. „Man braucht den Willen, das zu machen“, sagt der Experte. Gerade in der Startphase werde der Unterschied zum Angestelltendasein deutlich. Mit einem unsicheren Auftragseingang und möglichen finanziellen Risiken sollte man klarkommen. Allerdings sei der reine Wunsch, möglichst schnell viel Geld zu verdienen, bei den wenigsten das zentrale Motiv.

Idee als Motivation für Sprung in die Selbstständigkeit

Wichtiger sei vielen, ihre Idee an den Markt zu bringen. Was ein Firmenchef oder Existenzgründer braucht? „Neben solidem Fachwissen beziehungsweise einem nachgefragten Produkt sind Vertriebsstärke und eine gute Portion Optimismus von Vorteil. Auch die kaufmännischen Kenntnisse sollten zumindest so ausgeprägt sein, dass man sauber kalkulierte Angebote macht und die vom Steuerberater gefertigten Unterlagen versteht. Werden Mitarbeiter beschäftigt, sollten auch Führungsqualitäten vorhanden sein“, sagt Kuschmann. Auch eine fachliche Expertise sei entscheidend, denn in kleineren Betrieben müsse der Chef oft selbst mit anpacken.