„Protest muss stören dürfen“, finden die Aktivisten der Letzten Generation. Bei ihrer Kundgebung vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe bleiben sie am Dienstag aber auf dem Gehweg. Foto: dpa/Uli Deck

Wegen einer Blockadeaktion sind viele Autofahrer in Freiburg im Stau gestanden. Das Amtsgericht fand die Aktion wegen des guten Zwecks in Ordnung. Jetzt muss es neu nachdenken.

Der überraschende Freispruch für einen Klimaaktivisten der Letzten Generation nach mehreren Straßenblockaden in Freiburg ist vorerst vom Tisch. Das Oberlandesgericht (OLG) in Karlsruhe hat am Dienstag ein entsprechendes Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom November 2022 kassiert. Ob sich der 32-jährige Angeklagte der Nötigung schuldig gemacht habe, wollte das OLG aber nicht entscheiden. Dazu seien die Feststellungen des Freiburger Richters insbesondere zu den Auswirkungen der Klebeaktion auf Autofahrer zu lückenhaft.

Juristisch war der Weg von Freiburg nach Karlsruhe ein kurzer. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte eine so genannte Sprungrevision eingelegt, um unter Auslassung des Landgerichts eine höchstrichterliche Entscheidung herbeizuführen. Für den Angeklagten und seine Rechtsanwältin war die Anfahrt an diesem Morgen hingegen beschwerlich. Sie mussten vom Bahnhof zum Gerichtsgebäude laufen. Verdi hatte zum Streik der Straßenbahnfahrer aufgerufen.

Verwerflich heißt nicht unmoralisch

Dass Protestaktionen Auswirkungen auf Unbeteiligte hätten, sei also nichts Ungewöhnliches, schloss die Anwältin daraus. Dies habe sich auch bei den Bauerndemonstrationen gezeigt, bei denen ganze Innenstädte lahmgelegt worden seien. „Wir haben keine Traktoren, nur unsere Körper“, sagte der Angeklagte, der bei einem Lobbyverein für Klimaschutz arbeitet und nebenberuflich Balkonkraftwerke installiert.

Das Freiburger Amtsgericht hatte vor allem die Verwerflichkeit der Blockadeaktionen nicht erkennen können. Schließlich handele es sich beim Klimaschutz um eine Aufgabe mit Verfassungsrang, was zuletzt auch vom Bundesverfassungsgericht unterstrichen worden sei. Die Vorsitzende Richterin des OLG-Senats stellte nun aber klar, dass es sich beim Begriff der Verwerflichkeit eben nicht um eine moralische Norm handele. Es gehe um die Sanktionierung sozialwidrigen Verhaltens. „Eine inhaltliche Bewertung des Protests dürfen die Gerichte gar nicht vornehmen“, betonte die Richterin.

Trifft der Protest die Richtigen?

Eine andere Kammer des Freiburger Amtsgericht muss nun über den Fall teilweise neu entscheiden und dabei insbesondere erheben, welche Behinderungen für Autofahrer entstanden sind und ob ihnen Ausweichrouten zur Verfügung standen. Das hohe Gut der Versammlungsfreiheit müsse gegen das gegenläufige Recht auf freie Fortbewegung der betroffenen Autofahrer abgewogen werden. Dabei spiele auch eine Rolle, ob ein Sachbezug zwischen der gewählten Protestform und dem Autoverkehr bestehe.

Der Senat schloss das nicht aus. Allerdings habe sich die Klebeaktion vor allem mit der Vernichtung und Verschwendung von Lebensmitteln und nicht so sehr mit den Klimaschäden durch den Verkehr beschäftigt. „Es ging in erster Linie um die Erzielung von Aufmerksamkeit“, sagte die Richterin.

Hoffnung auf mildere Strafen

Trotz der sich verschärfenden Klimakrise stünde den Aktivisten auch kein Recht auf Notwehr zu. „Es gibt keinen rechtswidrigen Angriff, der abgewehrt werden muss. Autofahren ist trotz der klimaschädlichen Folgen erlaubt“, sagte die Richterin. Dass die gewählte Protestform wenig geeignet sei, um die Durchsetzung einer wirksameren Klimapolitik zu erreichen, sei inzwischen auch der Letzten Generation klar geworden, stellte die Richterin fest. Vor Gericht erklärte der Angeklagte, wie die gesamte Organisation keine Klebeaktionen mehr zu planen. Immerhin: Die gesunkene Rückfallgefahr könnte ihm bei einem Schuldspruch ein mildes Urteil bescheren. (Az 2 ORs 35 Ss 120/23)