Selbst die Fachwerkhäuser am Marktplatz standen ganz im Zeichen des Estivals: Die Tübinger Lichtkünstler Nina und Daniel Liewald haben farbige Akzente gesetzt. Foto: Horst Rudel

Angenehme Temperaturen und ein Publikum, das nach der Coronapause ausgehungert ist nach der Leichtigkeit des Seins: Das kulinarische Estival hat am Wochenende seinen Vorgänger, das Zwiebelfest, fast vergessen gemacht. Wenn nur der Name nicht wäre.

Wenn sich Menschen in Rudeln von der Bahnhofstraße auf den Marktplatz schieben – dann ist in Esslingen entweder Weihnachtsmarkt oder Zwiebelfest. Auf beides hat das Publikum die vergangenen Jahre verzichten müssen. Wenngleich das Ende der traditionellen Esslinger Sommerhocketse nicht Corona, sondern einem Gewitter der Stadtoberen geschuldet war, das sich 2018 nach zahlreichen Turbulenzen über den privatwirtschaftlich organisierten Zwiebelfest-Wirten entladen hatte. Und von dem man sich eine reinigende Wirkung versprach. Die Pandemie hat Michael Metzler, in Personalunion sowohl Geschäftsführer der Esslinger Stadtmarketing- und Tourismusgesellschaft (EST) als auch der Esslingen Markt- und Eventgesellschaft (EME), aber noch ein weiteres Jahr Aufschub gegeben, mit seinem Team die Sommersause unter städtischer Regie auf neue Beine zu stellen. Seit Freitagabend bespielen nunmehr sieben Festwirte in 19 städtischen Lauben das neue Estival – mit regionaler, aber auch internationaler Küche.

Neue Gastro-Landschaft auf dem Marktplatz

Und offenbar haben Metzler und sein Team alles richtig gemacht: Am Samstag waren jedenfalls schon wieder deutliche Ansätze von Rudelbildung auf der Agnesbrücke erkennbar. Bei Traumwetter suchten sich die Menschen ihr Plätzchen in der neu konzipierten Gastrolandschaft auf dem Marktplatz. Vielen ging es ähnlich wie Ilse und Germann Wieda aus Esslingen, die sich zur Mittagszeit mit ihren Gästen aus Brasilien über einen Tisch vor Annette Currles Laube freuten. Denn der wurde nicht nur von einem Schirm, sondern auch von den Bäumen rund um den Marktplatz beschattet. „Wir hatten einen fulminanten Start und haben sehr viel Lob bekommen, dass wir die Lauben in die Mitte des Platzes gesetzt und das Estival damit nach außen geöffnet haben“, so Metzler bei einer ersten Bilanz des Eröffnungswochenendes.

Ein kleiner Nachteil hat das Konzept allerdings auch: „Auf dem Zwiebelfest hat man immer gleich gesehen, wer da war. Spätestens dann, wenn er mal aufgestanden ist“, trauerten Frizzi Straub (26) und ihre Freundinnen doch noch etwas der gewohnten Wagenburg nach. „Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Es ist so schön, wieder einmal rauszugehen“, brachte das Quartett die gefühlte Stimmungslage aller Gäste auf den Punkt. Zumal man auf der neuen Flaniermeile entlang der Stadtkirche bis zum Teamwerk-Domizil auch einen ganz guten Blick hat, wer so alles unterwegs ist. Die Stehtischchen und die roten Liegestühle auf den frisch gezimmerten Baumpodesten waren jedenfalls dicht belagert. Mit den Ständen dort wollen die Veranstalter auch einem etwas jüngeren Publikum die Gelegenheit geben, satt zu werden – ohne mehr als zehn Euro dafür ausgeben zu müssen. So ein Angebot brauche es auch, meinen Suse Clemenz und Inge Albrecht, die an einem Lauben-Tisch auf dem Marktplatz sitzen: „Maultaschen für 15, 16 Euro müssen sich die Jungen erst einmal leisten können.“ Wer bei einem der sieben Festwirte diniert, kann auch 20 bis 30 Euro für einen Hauptgang loswerden.

Wirte unter Druck

Nicht nur die steigenden Lebensmittelpreise, auch der Personalmangel ist ein Riesenproblem in der coronagebeutelten Branche. Festwirtin Currle arbeitet schon seit Jahren mit den gleichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Rumänien – und hat mit ihren Kontakten auch ihren Kollegen etwas weiterhelfen können. „Vor allem für die Wirte, die nebenher noch einen stationären Betrieb haben, ist die Lage sehr schwierig“, weiß Seline Hellmonds, die mit ihrem „Finni’s“ ausschließlich auf Außenveranstaltungen setzt. „Wir haben während des Estivals zugemacht“, bestätigt Bruno Eiwen von der Weinstube Eißele. Umso mehr hat er sich gefreut, dass schon der Eröffnungsabend am Freitag „bombastisch“ eingeschlagen habe. Die Lauben haben die Wirte angemietet, die Innenausstattung war aber ihr Bier. Damit kam noch einmal eine ordentliche Summe auf sie zu. Hellmonds: „Aber die Miete ist absolut gerechtfertigt.“ Dafür habe man ja die Zusage, drei Jahre dabei sein zu dürfen. So lange sponsert die Stadt das Estival mit jährlich 50 000 Euro. Dann soll es sich selbst tragen.

Highlight im nächtlichen Sommerhimmel: Die Installationen, die die Tübinger Nina und Daniel Liewald am Freitag und Samstag auf die Fachwerkhäuser am Marktplatz geworfen haben. Ob als Blütendschungel, Tempellandschaft oder sommerlich-leichtes Estival-Plakat: Das Kielmeyerhaus samt Nachbarschaft dürfte auf so ziemlich allen Smartphones verewigt sein. Und es geht weiter so: Montag und Dienstag sorgen nationale und internationale Straßenkünstler von 14.30 bis 21.30 Uhr für Unterhaltung beim Essen.

Zwiebelfest? Was war das noch gleich? Ganz so weit ist es (noch) nicht. Auch wenn Suse Clemenz und Inge Albrecht bei ihrer Estival-Premiere mit Speis, Trank und Service zufrieden waren, fällt der neue Name bei ihnen durch. „Estival ist unmöglich. Wir wollen unser Zwiebelfest wieder haben.“

Informationen zum Fest

Öffnungszeiten
 Das Estival auf dem Esslinger Marktplatz hat bis einschließlich 10. August unter der Woche von 11.30 bis 23 Uhr geöffnet, freitags und samstags bis 24 Uhr. Montags bis freitags gibt es von 11.30 bis 14.30 Uhr einen Mittagstisch.

Programm
 Im Rahmen des Begleitprogramms kommen am 1. und 2. August nationale und internationale Straßenkünstler auf den Marktplatz, in die Lauben und in die Flaniermeile. Geboten wird Jonglage, Zauberei, Musik und mehr. Tägliche Führungen in der mittelalterlichen Altstadt, in den Weinbergen und bei Kessler Sekt runden das Begleitprogramm ab, da sich durch das gesamte Estival zieht.