Patienten mit fortgeschrittenem Krebs sehen häufig stark ausgezehrt aus. Der Gewichtsverlust beeinträchtigt die Lebensqualität und den Behandlungserfolg. Forscher haben nun eine mögliche Ursache entdeckt, der mit der Milchsäure im Körper zu tun.
Warum kommt es im Zuge fortgeschrittener Krebserkrankungen zu einem starken Gewichtsverlust bei Tumorpatienten? Ein chinesisches Forschungsteam hat für die sogenannte Kachexie jetzt eine Ursache ausfindig gemacht.
Erhöhte Laktat-Werte könnten der Grund sein, berichtet die Gruppe um Xinli Hu und Rui-Ping Xiao von der Universität Peking im Fachjournal „Nature Metabolism“. Möglicherweise biete diese Erkenntnis künftig Ansatzpunkte für eine Krebs-Therapie.
Was sind Laktat und Kachexie?
- Energieträger: Laktat ist ein wichtiger Energieträger im Stoffwechsel. Als Stoffwechselprodukt entsteht es beim Abbau von Traubenzucker (Glukose) unter anaeroben Bedingungen (Sauerstoffmangel).
- Milchsäure: Laktat wird häufig auch Milchsäure genannt. Es handelt es sich um das Salz der Milchsäure, das der Körper konstant produziert. Im Ruhemodus und vermehrt bei körperlicher Anstrengung benötigt der Körper Energie. Dafür verstoffwechselt er mithilfe von Sauerstoff Kohlenhydrate. Als Nebenprodukt entsteht Laktat.
- Kachexie: Bei der Kachexie kommt es zu einem pathologischen Gewichtsverlust, dass heißt zu einem erheblichen Verlust von Körperfett und Muskelmasse. Den meist stark ausgeprägten Gewichtsverlust im Rahmen fortgeschrittener Tumorerkrankungen nennt man Tumorkachexie. Sie betrifft etwa 50 bis 80 Prozent der Krebspatienten. Verbunden ist das Syndrom mit einer Verschlechterung der Lebensqualität und einer schlechteren Verträglichkeit von Krebstherapien.
- Krebstodesfälle: Kachexie sei für 20 Prozent der Krebstodesfälle verantwortlich, erläutert das Forschungsteam. Wie und aus welchen Gründen sie im Detail entsteht und wie sie behandelt werden könnte, sei bisher unklar.
Wie aktivieren Botenstoffe Abwehrzellen im Blut?
Bekannt ist den Autoren zufolge unter anderem, dass von Krebszellen produzierte Zytokine wie der Tumornekrose-Faktor (TNF) und Interleukin (IL)-6 den Fett- und Muskelumbau stimulieren.
Klinische Studien wiesen allerdings darauf hin, dass eine gezielte Behandlung der entzündlichen Zytokine nicht ausreicht, um eine Krebs-Kachexie zu heilen. Zum Verschwinden gebracht wird das Syndrom bisher nur, wenn es gelingt, den Tumor zu kontrollieren oder zu heilen.
- Zytokine: Das sind kleine, lösliche Proteine und dienen dem Immunsystem als lösliche Signalstoffe. Als Botenstoffe werden sie bei einer Reaktion des Immunsystems im Blut gebildet. Durch Zytokine können bestimmte Abwehrzellen aktiviert werden. Zytokine haben Effekte auf Entzündungsprozesse, Bakterienvermehrung und die Entstehung von Krebs.
- Tumornekrose-Faktor: Es handelt sich um ein Signalstoff des Immunsystems – also Zytokin –, der an Entzündungsprozessen beteiligt ist.
- Interleukine: Damit bezeichnet man diejenigen Zytokine, die von den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) unseres Körpers ausgeschüttet werden oder auf sie wirken. Um die verschiedenen Interleukine unterscheiden zu können, werden sie durchnummeriert (IL-1, IL-2, IL-3 etc.).
Warum lösen erhöhte Laktat-Werte Fettabbau aus?
Das Forschungsteam analysierte nun Stoffwechselwerte im Blut von Lungenkrebs-Patienten und Mäusen mit krebsbedingter Kachexie und stellte erhöhte Laktat-Werte abhängig vom Grad verlorenen Körpergewichts fest.
Bei Mäusen mit menschlichen Krebszellen fanden die Forscher dann heraus, dass erhöhte Laktat-Werte über den GPR81-Rezeptor im weißen Fettgewebe eine umfassende Umwandlung des Fettgewebes auslösen können, einschließlich eines Fettabbaus.
Was hat Laktat mit dem Immunsystem zu tun?
Laktat binde an diesen Rezeptor und aktiviere Signale innerhalb der Zellen. In der Folge werde die Stoffwechselaktivität im Fettgewebe erhöht, heißt es in der Studie. Das wiederum führe zum Verlust von Fett- und Muskelmasse und schließlich von Körpergewicht. Bei tumorfreien Mäusen lasse sich eine Kachexie allein mit einer Laktat-Infusion auslösen.
Die Versuche an Mäusen seien überzeugend, die Publikation spannend, erklärt Marina Kreutz vom Universitätsklinikum Regensburg. „Gerade in den letzten Jahren haben viele Arbeiten gezeigt, dass Laktat-Werte im Tumor von Tumorpatienten mit einer schlechten Prognose korrelieren.“ Das hänge unter anderem mit der Suppression (Unterdrückung) des Immunsystems zusammen.
Wie verändert Krebs den Glukose-Stoffwechsel?
Inwiefern sich die neuen Ergebnisse komplett auf den Menschen übertragen lassen, sei offen, sagt Marina Kreutz. Tumor-Kachexie trete häufig im Endstadium einer Tumorerkrankung auf, insbesondere bei hoher Tumorlast.
Auch die Laktat-Werte im Blut hingen sehr stark von der Tumorlast ab. „Inwiefern es sich also um eine Korrelation (wechselseitige Beziehung) oder tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt, muss in weiteren Studien mit verschiedenen Tumoren und größeren Patientenzahlen geklärt werden.“
Laktat kann bei Krebs verstärkt entstehen, Ursache ist der sogenannte Warburg-Effekt: Bei vielen Krebszellen kommt es zu einer Veränderung des Glukose-Stoffwechsels. Die Zellen gewinnen ihre Energie hauptsächlich durch sogenannte aerobe Glykolyse (Sauerstoffmangel) mit anschließender Ausscheidung von Laktat. Dadurch steigen die Laktat-Spiegel im Tumorgewebe und im Blut.
Ist die Ausschaltung des Laktat-Rezeptors eine mögliche Therapie?
Womöglich könne die Ausschaltung des Laktat-Rezeptors eine therapeutische Strategie für die Behandlung von Krebs-Kachexie sein, schließt das Forschungsteam aus seinen Ergebnissen. Zudem schränke bei Mäusen eine Hemmung des Rezeptors GPR81 auch das Tumorwachstum ein.
Zur Info: Als Rezptor bezeichnet man das Ende einer Nervenfaser oder spezialisierten Zelle, die Reize aufnehmen und in Erregungen umwandeln kann.
Die Stimulation von GPR81 durch Laktat spiele offenbar eine Rolle beim Tumorwachstum. Eine Blockierung von GPR81 könnte also einen doppelten therapeutischen Nutzen haben, mutmaßen die Forschenden: bei der Behandlung der Kachexie ebenso wie gegen Krebs an sich.