Die Habseligkeiten von einem Obdachlosen liegen am Ufer der Isar unter einer Brücke. Nach Ansicht des Europarats muss Deutschland bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungsnot und Ausgrenzung behinderter Menschen deutlich mehr tun. Foto: Sven Hoppe/dpa

Der Europarat hat Deutschland besucht - und stellt der Bundesrepublik bei der Sozialpolitik kein gutes Zeugnis aus. Vor allem für drei bestimmte Gruppen muss demnach mehr getan werden.

Straßburg - Deutschland muss nach Ansicht des Europarats bei der Bekämpfung von Armut, Wohnungsnot und Ausgrenzung behinderter Menschen deutlich mehr tun. Das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung in Deutschland stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, heißt es in einem Bericht des Europarats, der nun in Straßburg veröffentlicht wird.

Auch wenn Berlin begrüßenswerte Schritte für ein zugängliches Sozialsystem unternommen habe, brauche es weitere Anstrengungen gegen die wachsende Ungleichheit. Denn soziale Rechte würden in Deutschland nicht immer als rechtsverbindliche Verpflichtung betrachtet, sondern seien abhängig von den Ressourcen.

Hohe Armutsquote bei Seniorinnen und Senioren

Armut sei vor allem für Kinder, Senioren und Menschen mit Behinderungen ein großes Problem. Es brauche entschlossene Schritte, um den Kreislauf der Kinderarmut zu durchbrechen, heißt es in dem Bericht. Auch müssten die Kinderrechte gestärkt und etwa mit einer zentralen Behörde koordiniert werden, weil sonst die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bei politischen Entscheidungen übersehen würden - wie beispielsweise während der Corona-Pandemie, so der Europarat. Außerdem müsse gegen die hohe Armutsquote bei Seniorinnen und Senioren vorgegangen werden.

Bei den Rechten behinderter Menschen wurden den Angaben zufolge insgesamt nur begrenzte Fortschritte erzielt: Inklusion und Teilhabe seien in vielen Bereichen nicht möglich. Der Europarat begründet das mit mangelndem politischem Engagement und zwar gut finanzierten, aber ausgrenzenden Strukturen wie Behindertenwerkstätten, Förderschulen oder Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen. Damit könnte ein unabhängiges Leben nur schwer verwirklicht werden. Stattdessen brauche es integrative Strukturen.

Zunehmende Obdachlosigkeit in Deutschland

Beim fehlenden Wohnraum begrüßte der Europarat zwar das Engagement der Regierung, die Krise zu bekämpfen. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, zeigte sich allerdings besorgt über die zunehmende Obdachlosigkeit in Deutschland. Das Recht auf Wohnen als Menschenrecht für alle werde leider nur begrenzt anerkannt. Deutschland müsse alle zur Verfügung stehenden Mittel ergreifen, einschließlich Eingriffen in den Wohnungsmarkt und Änderungen des Mietrechts.

Auch müsse das Gleichstellungsgesetz deutlich verbessert werden, um die Diskriminierung in verschiedenen Bereichen einzuschränken. Besondere Aufmerksamkeit sollte demnach dem wachsenden Rassismus gewidmet werden, der das Potenzial habe, den sozialen Zusammenhalt zu untergraben und demokratische Institutionen zu destabilisieren, heißt es in dem Bericht.

Der Europarat wurde 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat in Europa gegründet. Er ist von der Europäischen Union unabhängig. Ihm gehören 46 europäische Staaten an. Die Experten besuchten Deutschland im November vergangenen Jahres.