Die deutsche Mannschaft um Sebastian Heymann (re, gegen Karl Olivier Konan ) tat sich schwer gegen Frankreich. Foto: dpa/Andreas Gora

Die deutschen Handballer stoßen beim 30:33 gegen abgezockte Franzosen an ihre Grenzen. Die Chancen aufs Halbfinale sind vor dem Duell mit Island gesunken. Was spricht jetzt noch für, was gegen das Team von Bundestrainer Alfred Gislason?

Alfred Gislason saß nach dem 30:33 im dritten EM-Vorrundenspiel gegen Frankreich enttäuscht auf dem Podium. Er beantwortete bereitwillig alle Fragen, blickte mit starrem Blick dabei auch immer wieder auf den vor ihm liegenden Spielberichtsbogen. Als die Sprache auf Island kommt, huscht dann aber sogar ein Lächeln über sein Gesicht: „Mein Vater wird da sein, meine Brüder, mein Onkel. Ich bin sehr gespannt, welches Trikot sie tragen werden“, sagte der deutsche Handball-Bundestrainer. Familie hin, Heimat her. „Ich werde alles dafür tun, meinen Beitrag zu leisten, dieses Spiel zu gewinnen. Das kann ich garantieren“, versprach der Bundestrainer der deutschen Handballer vor dem Hauptrunden-Auftakt am Donnerstag (20.30 Uhr/ZDF) in Köln: „Ich bin zwar Isländer, aber ich arbeite mit dieser Mannschaft. Und ich liebe diese Mannschaft.“

Diese Mannschaft bekam nach den klaren Siegen gegen die Schweiz (27:14) und Nordmazedonien (34:25) ihre Grenzen aufgezeigt. Im ersten echten Härtetest bei dieser Heim-EM, bei der Reifeprüfung, bei der Standortbestimmung. Weshalb es nun in der Hauptrunde heißt: Verlieren verboten! Nicht nur gegen Island, sondern auch gegen Österreich (Samstag), Ungarn (Montag) und Kroatien (Mittwoch, 24. Januar/alle Spiele 20.30 Uhr). „Jedes dieser Spiele ist ein Endspiel“, sagte der Kapitän Johannes Golla. Und Torwart Andreas Wolff ergänzte: „Wir werden die Gegner nicht unterschätzen, aber wir haben die Chance, alle vier Spiele zu gewinnen.“

Fehlende Breite

Die deutschen Hoffnungen ruhen dabei vor allem auf einem Aspekt: Dass die kommenden Kontrahenten nicht die Klasse der abgezockten Franzosen haben. Denn es fehlte gegen den Rekord-Weltmeister und Olympiasieger nicht allzu viel, um zu punkten. Doch die Weltauswahl um Superstar Nikola Karabatic brachte deutlich mehr Erfahrung mit, leistete sich weniger Fehler, verfügte über mehr Wurfkraft aus dem Rückraum und über eine bessere Breite im Kader. Frankreichs Trainer Guillaume Gille konnte durchwechseln, ohne einen großartigen Leistungsabfall zu riskieren, Kollege Gislason hatte dies gegen die Schweiz und Nordmazedonien auch getan – gegen das Schwergewicht Frankreich traute er sich das nicht.

Kapitän Johannes Golla rammte vorne und hinten seinen Köper rein, rackerte für zwei und war am Ende ziemlich k.o. „Vielleicht hätte ich ihm zwei, drei Minuten Pause geben können. Aber dann wäre das Spiel vielleicht weg gewesen. Hinterher ist man immer schlauer“, sagte Gislason. Das galt auch für die Personalie Kai Häfner. Nach seiner Vaterschaft war der Linkshänder vom TVB Stuttgart erst am Spieltag zur Mannschaft gestoßen, er gab alles, doch gegen Ende gingen ihm die Körner aus. Auch in diesem Fall hätte eine Wiedereinwechslung von Renars Uscins Impulse bringen können – hinterher ist man immer schlauer . . .

Trümpfe müssen stechen

„Dänemark und eben Frankreich stehen über allen anderen im Welthandball, da wollen wir hin“, sagte Axel Kromer, der Vorstand Sport des DHB. Zunächst aber gilt es mit einem Sieg gegen Island, die Halbfinal-Chancen intakt zu halten. Dabei setzt das Team auf seine Trümpfe, die nun in der Hauptrunde stechen müssen:

Heimvorteil Noch nie haben die DHB-Männer ein Turnierspiel in der Kölner Arena verloren. In keiner anderen Halle in Deutschland ist die Stimmung besser als im Handball-Tempel auf der rechten Rhein-Seite. Der Heimvorteil ist in jeder Sportart wichtig – im Handball aber ganz besonders. Der deutsche Titelgewinn bei der Heim-WM 2007 ist ein leuchtendes Beispiel. Auch Schweden (1954), Frankreich (2001, 2017), Schweden (2002) Spanien (2013), Dänemark (2019/Endspiel in Herning) triumphierten als Gastgeber bei großen Turnieren. Selbst Katar holte 2015 bei der WM in Doha Silber.

Defensive Kommt Andreas Wolff wie gegen Frankreich sofort auf Betriebstemperatur, dann zaubert er reihenweise Paraden aufs Parkett und ist der beste Keeper der Welt. Ein Torhüter funktioniert aber dauerhaft nur, wenn er starke Abwehrkräfte vor sich hat. Dem Innenblock kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Kapitän Johannes Golla und Julian Köster räumen in der Deckung aufopferungsvoll und kompromisslos auf, verschieben mit ihrer Beweglichkeit sehr gut. Doch auch sie bekamen gegen „Les Bleus“ ihre Grenzen aufgezeigt, sie setzten ihren Weltklasse-Kreisläufer Ludovic Fabregas überragend ein. Es wäre ein Überraschung, wenn die kommenden Hauptrundengegner dies auch in dieser beeindruckenden Form hinbekommen würden.

Leader Sein schwächerer Tag gegen Frankreich ändert wenig: Juri Knorr ist der Mann für die Wow-Effekte, der Dreh- und Angelpunkt im deutschen Spiel. Es gab schon lange keinen solch kompletten Spielmacher mehr in der DHB-Auswahl. Seinen Vater Thomas, selbst ein herausragender Handballer, deutscher Meister und Nationalspieler, hat der 23-Jährige im Hinblick auf Spielintelligenz und Gewitztheit bereits überholt. Der Ober-Löwe aus Mannheim strahlt ungemein viel Torgefahr aus, verwandelt nervenstark die allermeisten Siebenmeter, kann die Nebenleute kreativ und gewinnbringend in Szene setzen, treibt die Mannschaft mit ungemein viel Tempo im Umschaltspiel nach vorne und hat ein gutes Zusammenspiel mit dem Kreisläufer. Die Franzosen machten ihm aber das Leben extrem schwer, sie provozierten bei ihm einige Fehlwürfe.

Zusammenhalt Die Story der Bad Boys ist auserzählt, doch der Geist vom EM-Titel 2016 schwebt über dem aktuellen Team. Die Mannschaft ist eine verschworene Gemeinschaft und alles andere als eine Ansammlung von Ich-AGs im gleichen Trikot. Das zeigt auch die Körpersprache. Es wird abgeklatscht, aufgemuntert, mitgerissen. Auf dem Spielfeld und auf der Bank. Das war auch nach der bitteren Niederlage gegen Frankreich nicht anders.

Doch jetzt gilt es gegen Island zu liefern. In diesem nicht nur für den Bundestrainer so extrem wichtigen ersten Hauptrundenspiel.