In den USA trifft VW auf andere Bedingungen als in Europa. Foto: dpa/Friso Gentsch

Es geht um Löhne, Arbeitszeiten und Sozialleistungen: Zweimal bereits ist eine Gewerkschaftsgründung am Standort Chattanooga gescheitert – dieses Mal jedoch könnte das Vorhaben erfolgreich sein.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass der US-Präsident einem deutschen Autokonzern gratuliert. Doch die freundlichen Worte, mit denen Joe Biden vor wenigen Tagen die amerikanische Volkswagen-Tochter bedachte, richteten sich nicht an das Management, sondern an die Beschäftigten. Deren Vertreter hatten zuvor offiziell die Abstimmung über eine Gewerkschaftsgründung angemeldet. „Viele Volkswagen-Werke rund um die Welt haben Arbeitnehmervertretungen“, schrieb Biden: „Als gewerkschaftsfreundlichster Präsident in der amerikanischen Geschichte bin ich überzeugt, dass amerikanische Arbeiter auch eine Stimme haben sollten.“

Im Süden der USA sind die Löhne schwach

Die Unternehmensleitung am Standort Chattanooga, wo 5500 Frauen und Männer das Elektromodell ID.4 und den SUV Atlas bauen, dürfte nicht ganz so begeistert sein, auch wenn sich VW offiziell neutral gibt. Regionale Wirtschaftsvertreter und republikanische Politiker im stramm konservativen Bundesstaat Tennessee haben in der Vergangenheit die Gründung einer Gewerkschaft offensiv bekämpft. Volkswagen hat wie die deutschen Konkurrenten BMW und Mercedes sein Werk 2011 bewusst im Süden der USA eröffnet, weil hier die Löhne niedriger und die Gewerkschaften schwach sind.

Das soll sich nach dem Willen der Autogewerkschaft UAW jetzt ändern. Zweimal schon – 2014 und 2019 – haben deren Vertreter versucht, das VW-Werk in Chattanooga zu organisieren. Beide Male scheiterten sie knapp. Vor fünf Jahren stimmten 48 Prozent der Arbeiter für die Gewerkschaftsgründung. Es fehlten 57 Stimmen. Nun haben laut UAW-Angaben rund zwei Drittel den erneuten formalen Antrag auf eine Abstimmung unterzeichnet. Erfahrungsgemäß bröckelt die Unterstützung noch bis zur geheimen Wahl. Trotzdem spricht die UAW von einem „Meilenstein“ und ist überzeugt, dass der Anlauf dieses Mal erfolgreich sein wird.

„Die Kollegen engagieren sich wie nie zuvor“, sagt Steve Cochran, der Chef der UAW-Ortsgruppe Local 42: „Es gibt jetzt eine Menge junger Arbeiter in der Fabrik, und die wollen sich die schlechte Behandlung durch das Management nicht gefallen lassen.“ In einem Videospot der Gewerkschaft kritisiert Cochran neben den Löhnen vor allem die Arbeitszeiten im Schichtbetrieb und die geringen Sozialleistungen. „Warum bekommen VW-Arbeiter rund um die Welt bessere Bedingungen als wir in Tennessee?“, fragt sich Cochran.

Mit dem Arbeitskräftemangel hat sich das gesellschaftliche Klima geändert

Nicht nur die Unterstützung durch den US-Präsidenten speist den Optimismus der UAW-Leute, dass ihr dritter Anlauf bei VW erfolgreich sein wird. Mit dem Arbeitskräftemangel hat sich das gesellschaftliche Klima insgesamt zugunsten der Beschäftigten verändert. Vor allem aber setzte die UAW mit einem sechswöchigen Streik im vergangenen Herbst bei den drei US-Autobauern General Motors, Ford und Stellantis kräftige Lohnsteigerungen, einen Inflationsausgleich und höhere Sozialleistungen durch. Seither ist die Kluft zwischen den organisierten „Big Three“ im Mittleren Westen und den gewerkschaftsfreien ausländischen Autobauern im Süden – neben den deutschen Konzernen sind hier Honda, Hyundai, Mazda, Nissan, Subaru, Toyota und Volvo ansässig – noch vergrößert.

Laut einer Aufstellung der UAW verdient ein einfacher Arbeiter bei VW derzeit 23,40 Dollar und bei Ford 25,12 Dollar pro Stunde. Bis 2028 würde sich der Abstand massiv vergrößern: Dann bekäme der VW-Beschäftigte einen Stundenlohn von 32,40 Dollar und sein Kollege bei Ford 42,49 Dollar. Noch gravierender sind die Unterschiede bei den Sozialleistungen: Nach einer Kündigung ist ein VW-Arbeiter auf die staatliche Arbeitslosenversicherung in Tennessee angewiesen, aus der er maximal ein halbes Jahr lang 275 Dollar pro Woche erhält. Ford hingegen stockt die staatliche Leistung für zwei Jahre auf 95 Prozent des letzten Nettolohns auf.

Die Genehmigung gilt als Formsache

In den USA muss die Gründung einer Gewerkschaft angemeldet werden. Die entsprechenden Unterlagen für Volkswagen liegen seit Anfang der Woche bei der zuständigen Behörde National Labor Relations Board. Die Genehmigung gilt als Formsache. Noch in diesem Frühjahr könnte die endgültige Abstimmung stattfinden.

In der Vergangenheit hatte sich die Gewerkschaft beklagt, dass die Unternehmensleitung bei Versammlungen während der Arbeitszeit Stimmung gegen die Gründung der Arbeitnehmervertretung mache. Doch das VW-Management versichert, es werde die Wahl „voll unterstützen“. Volkswagen, so Firmen-Sprecher Michael Lowder, sei stolz darauf, einige der „bestbezahlten Jobs in der Region“ zu bieten. Bei einem erfolgreichen Ausgang der Abstimmung käme ein weniger begehrtes Prädikat dazu: VW wäre der erste gewerkschaftlich organisierte ausländische Autobauer in den Vereinigten Staaten.