Im Kreis fehlen Plätze für Frauen, die unter Gewaltleiden Foto: mauritius images /Westend61/Eloisa Ramos

Das Haus ist da. Frauen, die Gewalt ausgeliefert sind, könnten schon längst einziehen. Doch der Bund ist nicht imstande, das Fördergeld zu bewilligen – und das seit rund einem Jahr. Die Frauen fühlen sich allein gelassen. Die Hinhaltetaktik der verantwortlichen Bundespolitik lässt die Initiatorinnen in Ludwigsburg verzweifeln.

Der Frust sitzt tief beim Verein Frauen für Frauen, der ein zweites Frauenhaus für den Landkreis Ludwigsburg plant, weil die Plätze vorne und hinten nicht reichen. Vor einem Jahr hatte sich der Verein um Geld aus dem Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ beworben. Ein geeignetes Gebäude, das für den Zweck umgebaut werden könnte, gibt es: Der Eigentümer hält es seitdem frei. Doch nachdem der Bund sich fast ein Jahr lang nicht gerührt hatte, bremst er jetzt – und empfiehlt durch die Blume, das Vorhaben aufzugeben. „Wir sind zutiefst verärgert und ratlos“, sagt Arezoo Shoaleh vom Leitungsteam des Vereins. „Wer uns rät, die Pläne ruhen zu lassen, rät uns, misshandelte, geschlagene Frauen und Kinder im Stich zu lassen.“

In den jüngsten Monaten hatte der Verein – auch mit Unterstützung der Bundestagsabgeordneten aus dem Kreis – immer wieder nachgebohrt, ob er mit dem Fördergeld rechnen kann. Drei Millionen Euro würde der Umbau des Hauses kosten, hatten die Kalkulationen ergeben – mittlerweile rechnet der Eigentümer wegen gestiegener Baukosten mit 20 bis 25 Prozent mehr. Das Land Baden-Württemberg befürwortet das Projekt, hat ihm erste Priorität zuerkannt und zugesagt, seinerseits Geld beizusteuern. Den Löwenanteil bräuchte der Verein aber aus dem Förderprogramm, in dem der Bund von 2019 bis 2024 insgesamt 171 Millionen Euro bereitstellen wollte, um Hilfseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen und für den Kauf geeigneter Immobilien für innovative Wohnprojekte voranzutreiben. Doch die Reservierungszeit für das Haus, das Frauen für Frauen in Aussicht hat, ist Ende März abgelaufen.

Eine desillusionierende Mail

Weil vom Bund kein Signal kam, erklärte sich der Eigentümer zwar bereit, nochmals zu warten – „er ist den Weg mit uns so lange gegangen, dass er sagt, er geht ihn auch noch ein Stück weiter“, sagt Shoaleh. Aber nach einer Videokonferenz mit Vertreterinnen der Bundesservicestelle und des Landes vergangene Woche und vor allem nach einer Mail, die der Verein am Dienstag zum weiteren Prozedere erhielt, ist die Hoffnung auf das Geld und den Umbau rapide gesunken.

Statt Wege aufzuzeigen, wie es einer schnellen Förderzusage vielleicht doch noch klappen könnte, damit die Immobilie nicht anderweitig in die Vermarktung geht, listet die Bundesservicestelle Faktoren auf, deretwegen sich Frauen für Frauen das Vorhaben de facto abschminken kann. Ohne die Einhaltung „zwingender zuwendungsrechtlicher Verfahrensschritte“ gehe es nicht, so der Verweis. Das Ludwigsburger Projekt sei im sogenannten „Anfragestatus“. Liege aus dem entsprechenden Bundesland eine befürwortende Stellungnahme vor – was der Fall ist – , müsse die Bundesservicestelle eine Aufforderung zur Antragstellung an den Träger aussprechen, heißt es in der Mail.

Das Verfahren dauert so lange, dass der Förderzeitraum dann zu Ende ist

Die Servicestelle wäre also seit fast einem Dreivierteljahr selbst am Zuge gewesen. Um die Aufforderung zur Antragstellung auszusprechen, führt sie weiter aus, bedürfe es aber einer aktualisierten Kostenaufstellung. „Sollten Sie uns diese bis Ende dieser Woche zukommen lassen, kann bis Mitte Mai mit einer Aufforderung zur Antragstellung gerechnet werden.“ Dann könne ein Koordinierungsgespräch vereinbart werden, in dem über ausstehende Unterlagen und weitere nötige Schritte gesprochen werde. „Im besten Fall haben Sie bis Ende Mai den Antrag gestellt“, schreibt die Bundesservicestelle. Dann müsse mittels eines Vergabeverfahrens ein Sachverständiger gewählt werden, was zwischen einem Vierteljahr und einem Jahr dauern könne, der dann eine „vollständige prüffähige Bauunterlage erstelle, was ebenfalls drei bis sechs Monate dauern könne. Diese werde an die Bauverwaltung Baden-Württemberg übersandt. Bearbeitungszeit: bis zu drei Monate. „Sobald die baufachliche Stellungnahme bei uns eingeht, kann mit einem Zeitraum von zwei Monaten bis zur endgültigen Bewilligung gerechnet werden.“ Was aber nicht heißt, dass eine Bewilligung sicher wäre. Fazit: „Es ist wahrscheinlich, dass eine Bewilligung nicht mehr 2023 erfolgen wird. Selbst bei optimistischerer Betrachtung kann frühestens mit einer Bewilligung zwischen Mai und August 2024 gerechnet werden“, so die Info an den Verein. Weil das Programm 2024 ausläuft, würden aber alle Arbeiten, die bis Ende 2024 nicht abgerechnet würden, auch nicht mehr bezahlt.

Frauen für Frauen verschlug diese Mail fast die Sprache. „Wir sind ein kleiner Verein. Seit über Jahr investieren wir Kraft und Zeit in das zweite Frauenhaus“, sagt Arezoo Shoaleh. Die Ansprechpartnerin aus der Bundesservicestelle legt dem Verein indes nahe, nicht mehr Zeit und Energie hineinzustecken. „Ich möchte Ihnen die Möglichkeit des Ruhenlassens nahelegen“, schreibt sie. „Wenn im Dezember feststeht, ob das Programm verlängert wird, könnte Ihr Projekt bei einer Verlängerung von drei Jahren in zeitlicher Hinsicht unproblematisch realisiert werden. Das Risiko liegt jedoch auf der Hand, da auch eine Verlängerung von lediglich einem oder zwei Jahren möglich ist. Und sämtliche Schritte, die Sie während der Phase des Ruhens gehen, würden Sie auf eigenes Risiko gehen. Ein Risiko ist auch, dass das Objekt dann nicht mehr verfügbar ist.“

„Das ist ein Schlag ins Gesicht und eine schwer zu ertragende Hinhaltetaktik. Offenbar will der Bund das Geld gar nicht ausbezahlen“, sagt Arezoo Shoaleh. Das Programm verdiene den Namen „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ nicht. „Wir haben auch nicht den Eindruck, dass der Bund und wir dasselbe Ziel haben: Frauen und Kinder zu schützen.“ Wie es nun weitergehe, müsse der Verein in den nächsten Tagen beraten.

Es gibt viel zu tun

Mehr Hilfen
 Deutschland hat 2017 die Istanbul-Konvention ratifiziert – ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Mit dem Inkrafttreten am 1. Februar 2018 ist die Konvention geltendes Recht in Deutschland, vor dessen Hintergrund die deutschen Gesetze ausgelegt werden müssen. Zu den Maßnahmen, die innerhalb der Istanbul-Konvention umgesetzt werden müssen, gehört der flächendeckende und bedarfsgerechte Ausbau des Hilfesystems für alle von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder.

Schwierige Finanzierung
 Wenn Frauen, die in ein Frauenhaus flüchten, keinen Leistungsanspruch auf die Übernahme der Finanzierung des Aufenthalts beim Jobcenter oder Sozialamt haben, wird es oft schwierig, den Platz zu bezahlen. Der Landtag von Baden-Württemberg lehnte im Frühjahr 2023 einen Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur besseren Finanzierung von Frauenhäusern ab. Zuständig sei der Bund, argumentierten die Regierungsfraktionen.