Die Virunga-Berge im Nordosten der Republik Kongo bergen Öl- und Gasvorkommen. Foto: imago//Christophe Courteau

Im Kongo sollen in großem Stil Gas und Öl gefördert werden – unmittelbar vor der UN-Klimakonferenz stößt das auf Entsetzen.

Zumindest kann man Tosi Mpanu Mpanu nicht vorwerfen, mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten. „Unsere Priorität ist nicht, die Welt zu retten“, erklärt der Klimabeauftragte der Regierung der Demokratischen Republik Kongo: „Für uns ist das Wirtschaftswachstum wichtiger.“ Der Berater des kongolesischen „Ministers für Kohlenwasserstoffe“ unterstützt deshalb vorbehaltlos seinen Auftraggeber, der die sagenhaften Erdöl- und Erdgasvorkommen des Riesenstaats im Zentrum Afrikas ausbeuten will – selbst wenn diese unter der Welt zweitgrößtem Regenwald, unter den Habitaten der letzten Berggorillas und unter dem größten Klimagasspeicher der Erde verborgen sind. In der bis zu acht Meter dicken Torfschicht des Kongobeckens sollen rund 30 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gebunden sein: so viel, wie sämtliche Fahrzeuge, Heizungen und Industrieanlagen der Welt in drei Jahren in die Atmosphäre blasen.

Die Mineralölkonzerne winken ab

Trotz weltweiten Protests schrieb die Regierung in Kongos Hauptstadt Kinshasa Ende Juli insgesamt 30 Aufträge für die Erdöl- und Erdgasgewinnung aus: auf einem Gebiet, das elf der 160 Millionen Hektar des Regenwalds sowie eine Million Hektar Torfland abdeckt. Dort sollen rund 16 Milliarden Barrel Rohöl im Boden schlummern, die derzeit gut 650 Milliarden Euro wert sind – zwölfmal mehr als die jährliche Wirtschaftskraft des Kongo. „Können Sie sich vorstellen, was dieses Erdöl für uns tun kann?“, fragt Mpanu Mpanus Chef, Minister Didier Budimbu: „Es wird unserer Entwicklung einen einzigartigen Schub verschaffen.“

Mineralölmultis haben bis Februar Zeit, ihre Angebote einzubringen. Immerhin drei – Total, Eni und Shell – winkten bereits ab: Ihnen ist die Erdölgewinnung in einer der verwundbarsten Landschaften der Welt zu heikel. Straßen müssten in den Urwald geschlagen, Pipelines verlegt und Schneisen gerodet werden. Das Kongobecken sei „der schlechteste Ort der Welt, um Erdöl zu fördern“, urteilt Simon Lewis, Professor für Klimawandel am University College in London.

Wie die Gewinnung fossiler Brennstoffe das Sozialgefüge eines Landes zerstört, ist in fast jedem afrikanischen Rohstoffstaat abzulesen. Im Sudan hat sie zu mehreren Kriegen geführt, in Nigeria zum kriminellen Bandenwesen, in Angola zur endemischen Korruption, und in Mosambik sollen sich Kämpfer des Islamischen Staats (IS) mit den Gegner der dortigen Erdgasgewinnung verbündet haben. Im Osten des Kongos tummeln sich zahllose Kämpfer ostkongolesischer Rebellentruppen. Auch der weltberühmte Virunga-Park, vor dem die staatlichen Erdölprospektoren nicht haltmachten, dient mit seinen Berggorillas und Okapis Milizen als Versteck und Lieferant von Nahrungsmitteln. Werden in das Gemisch auch noch Erdölarbeiter, Holzfäller, Lastwagenfahrer und kommerzielle Wilderer geworfen, droht der Kollaps des Weltnaturerbes.

Rohstoffe als Auslöser von Gewalt

„Wir sorgen uns mehr um Menschen als um Gorillas“: So versucht Kongos Informationsminister Patrick Muyaya beim Wahlvolk zu punkten. Ob das fruchtet, muss allerdings bezweifelt werden. Trotz des Exports von Kupfer, Kohle, Coltan oder Uran blieb der Kongo einer der ärmsten Staaten der Welt. Statt zum Wohlstand haben die Gold-, Kobalt- und Zinnminen im Osten des Landes zu endlosen Bürgerkriegen geführt. Das Land ist eines der erschütterndsten Beispiele für den „Fluch der Ressourcen“.

Gegenüber Journalisten der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ ließ Minister Budimbu jüngst durchblicken, dass die Gas- und Ölfelder gar nicht gefördert, sondern als Einlage auf dem Emissionsmarkt genutzt werden könnten. Der Wert könnte als Carbon-Kredit an emissionsreiche Industrien verkauft werden. Allerdings ist ein solcher Versuch in Ecuador zuletzt gescheitert. Dass der Kongo bei einem Verzicht auf die Ausbeutung die 650 Milliarden Euro, die seine Erdöl- und Erdgasblocks wert sein sollen, als Entschädigung bekommen wird, ist ebenso unwahrscheinlich. Beim letztjährigen Klimagipfel in Glasgow wurde dem Land für den Schutz des Urwalds 500 Millionen Euro in fünf Jahren versprochen. Das wäre nicht einmal ein Tausendstel der Summe, mit der er bei einer Ausbeutung seiner fossilen Brennstoffe rechnen könnte.

In Somalia ist der Klimawandel bittere Realität

Auch anderswo stößt die Klimapolitik des Westens auf Kritik. In Somalia kämpfen Ärzte verzweifelt um die Leben unterernährter Kinder. „Der Tod eines Kindes, der so einfach hätte verhindert werden können, ist kaum zu ertragen“, klagt Ali Shueb, der Chef des Bezirkskrankenhauses im südwestsomalischen Städtchen Dollow, gegenüber einem Reporter der BBC.

Solche Dramen spielen sich in Somalia fast täglich ab. Durchschnittlich wird hier jede Minute ein unterernährtes Kind in eine von ausländischen Hilfswerken eingerichtete Notstation gebracht, Tausende starben in dem von einer beispiellosen Dürre heimgesuchten Land bereits den Hungertod. „Sie sind nicht Opfer ihres eigenen, sondern unseres Fehlverhaltens geworden“, schimpft UN-Nothilfekoordinator Martin Griffith. „Und trotzdem bringen wir es nicht einmal fertig, ihnen die schon längst versprochenen Mittel zukommen zu lassen.“ Damit spielt der Brite auf den „Grünen Klima-Fonds“ an, den die Industriestaaten als Verursacher des Klimawandels schon vor 13 Jahren eingerichtet hatten und mit jährlich 100 Milliarden Euro ausstatten wollten. In Wahrheit fließt jedoch höchstens ein Viertel der versprochenen Mittel, will das britische Hilfswerk Oxfam herausgefunden haben: Und selbst davon lande nur ein Fünftel in den Ländern des Globalen Südens. „Wo sind denn die Gelder aus dem Klimafonds?“, will Griffith wissen.

Die Afrikaner sind empört über den Westen

Die Frage gilt den Staatschefs, die sich ab dem kommenden Montag im ägyptischen Scharm-el-Scheich zur 27. UN-Klimakonferenz treffen. „Afrikas COP“, wird das Treffen auch genannt. Es ist nicht der erste Klimagipfel auf afrikanischem Boden. Doch erstmals soll der Kontinent dieses Mal auch inhaltlich im Mittelpunkt stehen. Als jener Erdteil, auf dem mehr als 16 Prozent der Menschen leben; der jedoch für weniger als drei Prozent der Klimagase verantwortlich gemacht wird und in dem sich die Erwärmung der Erdatmosphäre so katastrophal auswirkt. Nigeria ist überschwemmt, Somalia verhungert, die südafrikanische Provinz KwaZulu/Natal wird von „Regenbomben“ heimgesucht, und über Madagaskar fegt ein Zyklon nach dem anderen hinweg.

Doch „Afrikas COP“ findet zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt statt. Erst trieb die Covid-Pandemie mehr als 50 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner zusätzlich in die Armut, dann kam der Ukraine-Krieg. In dieser Situation Bodenschätze im Boden zu lassen, halten Afrikas Erdölminister für eine Zumutung. „Wenn China seine Bodenschätze und die USA ihre ausbeuten, hat keiner etwas auszusetzen“, schimpfte Äquatorialguineas Ölminister Obiang Lima zuletzt. „Nur wenn Afrika dasselbe tut, soll es plötzlich falsch sein.“ „Diese Ressourcen hat uns Gott gegeben“, erklärte sein ghanaischer Amtskollege Matthew Opoku Prempeh.

Selten sind auf dem Kontinent Stimmen wie die von Mark New zu hören, dem Direktor der Afrikanischen Klima- und Entwicklungsinitiative an der Universität von Kapstadt. Das Pochen afrikanischer Regierungen auf der Ausbeutung ihrer Bodenschätze sei zwar verständlich – doch unter der Klimaerwärmung hätte vor allem die Bevölkerung des Kontinents zu leiden. „Es wäre“, meint Klimaexperte Mark New, „wie wenn die Gänse für Weihnachten stimmten.“