Zwei Wochen nach seinem Ausfall beim Formel-1-Rennen in Australien siegt der Weltmeister in Japan. Die Konkurrenz schreibt den Titel bereits ab.
Sie bleibt ein Paradoxon, diese Formel-1-Saison. Da gewinnt Max Verstappen den Großen Preis von Japan zum dritten Mal hintereinander, mit 12,535 Sekunden Vorsprung auf seinen Red-Bull-Teamkollegen Sergio Perez und deren 20,866 auf den Ferrari von Carlos Sainz junior, und trotzdem ist diese Weltmeisterschaft nach dem ersten Sechstel tatsächlich spannender geworden. Vorausgesetzt, man teilt sie in eine A- und B-Gruppe, wie es Mercedes-Teamchef Toto Wolff tut, dessen bester Fahrer George Russell auf Platz sieben dem Klassenbesten sogar 46 Sekunden hinterherhinkte: „Niemand wird Max in diesem Jahr mehr einholen. Sein Auto ist spektakulär gut und er fährt spektakulär gut. Es geht nur noch darum, wer der Beste vom Rest wird.“
Trotz Verstappens Dominanz unterhaltsam
Die Resterampe ist eröffnet. Sowohl Mercedes als auch Ferrari rechnen sich die Welt nicht so einfach schön, sie ziehen als Vergleich das Rennen an gleicher Stelle vor einem halben Jahr heran. Dem gegenüber hat sich der Rückstand tatsächlich halbiert, ganz allgemein holen fast alle im Feld auf Red Bull auf.
Was die 53 Runden von Suzuka über diesen internen Vergleich hinaus so vergnüglich für die mehr als 100 000 Zuschauer gemacht hat, war die unterschiedliche Temperaturfühligkeit der hochkomplizierten Rennwagen, bei denen sich schon eine Wolke am Himmel drastisch auf die Rundenzeit auswirken kann (außer man sitzt in Red Bull, selbstverständlich) – und natürlich die Reifenlotterie.
So hat sich Mercedes am Anfang mit den Gummis verzockt, und bei Ferrari ging die Einstopp-Variante von Charles Leclerc nicht auf. Das sind die kleinen Details mit der großen Auswirkung, die aber nicht von der eigentlichen Red-Bull-Überlegenheit ablenken können. „Das Auto wurde immer besser während des Rennens“, erzählte Verstappen lächelnd, „ich konnte immer schneller fahren, wenn ich musste. So kann es von mir aus weitergehen.“ Auf dem Wagen mit der Nummer eins stehend spannte er den Bizeps an, eine Geste, die keine Fehlinterpretation zulässt. Denn zur herausragenden Technik hinzu kommt die Tatsache, dass der 26-Jährige einfach keine Fehler zu machen scheint. So holte er sich saisonübergreifend die fünfte Pole-Position in Folge, und so machte er es auch mit seinem 56. Karrieresieg. Als hätte es den Rückschlag mit dem Ausfall in Australien gar nicht gegeben.
Die Verfolger nehmen sich gegenseitig die Punkte weg
Dementsprechend sieht auch die WM-Gesamtwertung aus: Der Niederländer führt nach dem dritten Red-Bull-Doppelerfolg im vierten Rennen des Jahres mit 77 Zählern vor Perez (64), Leclerc (59) und Sainz (55). Das ist rein rechnerisch enger, als es sich auf der Piste darstellt. Angesichts der anhaltenden Mercedes-Schwäche positioniert sich zwar Ferrari als neue Nummer zwei, aber im Rennen können auch McLaren und Aston Martin mithalten. Worauf das hinausläuft, ist auch klar: Wenn die Verfolger sich gegenseitig die Punkte wegnehmen, könnte Max Verstappen noch früher als im Vorjahr Champion werden. Vergangenen Herbst machte er den Hattrick beim sechstletzten Rennen perfekt.
Hamilton chancensloser Neunter
Dennoch teilen nicht alle den Wolff’schen Zweckpessimismus. Carlos Sainz wird mehr und mehr zum Mann der Stunde in der Formel 1. Der sich weiter auf Jobsuche für 2025 befindliche Spanier macht einen großen Unterschied zum Vorjahr aus: „Es macht Spaß, dass ich nicht immer in den Rückspiegel gucken muss, sondern mich nach vorn orientieren kann.“ Sein Noch-Vorgesetzter Fred Vasseur sprach daher von einem „guten Sonntag“; verpasst habe die Scuderia ihre Chance – wie so oft – im Qualifying am Samstag: „Im Rennen haben meine Fahrer den perfekten Job gemacht.“
Das ist bei den Mercedes-Piloten noch ganz anders, Rekordweltmeister Lewis Hamilton als mehr oder weniger chancenloser Neunter könnte ein Klagelied davon singen – macht er aber nicht. Der Brite hat zum ersten Mal in dieser Saison wieder Vertrauen in die Silberpfeil-Neukonstruktion fassen können, auch das muss Außenstehenden angesichts der Resultate paradox erscheinen. Vielleicht ist das Auto nicht so schlecht, nur einfach zu komplex. Genügend Abtrieb kann die Aerodynamik inzwischen erzeugen, aber trotzdem wirkt sich das nicht so positiv auf die Rundenzeiten aus, wie es die Simulationen und Hochrechnungen es prophezeien.
Trotzdem will Toto Wolff den Traum von der Siegfähigkeit nicht aufgeben: „Wir müssen uns einfach noch mehr anstrengen, um eine bessere Show zu bieten.“ Der erste Schritt ist ein kleinerer: „Im Moment können wir noch nicht gegen Ferrari kämpfen, aber dahin werden wir wieder kommen. Aufgeben werden wir sicher nicht.“ Auch wenn es zeitweise so klang an diesem Wochenende, als Hamilton über Boxenfunk immer wieder fragte: „Mensch, wo lassen wir bloß die Zeit liegen!?“ Dauer-Sieger Verstappen hingegen hatte bei seiner Alleinfahrt sogar Gelegenheit, sich um die pittoresken Randerscheinungen einer seiner Lieblingsstrecken zu widmen: „Es sieht einfach noch schöner aus, wenn die Kirschbäume blühen . . .“ So rosig sieht es nicht für alle aus.