In der Formel 1 dreht sich das Fahrerkarussell so früh wie noch nie. Wenn Max Verstappen das Red-Bull-Team trotz seiner Treue-Bekundungen doch noch verlassen sollte, könnte der Kampf um die Top-Jobs richtig Fahrt aufnehmen – und sogar Sebastian Vettel wieder eine Rolle spielen.
Ruhe hat der Formel 1 noch nie gutgetan, mit dem Fahrerlager verhält es sich wie mit einer guten Uhr: sie braucht die Unruhe als Antrieb. Der Große Preis von Japan am Sonntag (7 Uhr deutscher Zeit) macht da keine Ausnahme. Statt lange über den ersten Ferrari-Sieg in dieser Saison und den ersten Ausfall von Max Verstappen seit zwei Jahren zu reden, gelten Blick und Gespräche allein dem Optionsscheinhandel für die Zukunft. So verrückt wie in diesem Jahr, zumal zu einem so frühen Zeitpunkt, war der Transfermarkt schon seit Jahrzehnten nicht mehr, vielleicht sogar noch nie. Aus Spekulationen werden rasend schnell Sensationen.
Verstappen ist die Königsfigur
Zum Auftakt sagt Max Verstappen, die Königsfigur in der Schachpartie um die Top-Cockpits, und immer noch sichtlich genervt von den internen Stierkämpfen bei Red Bull, über seine Zukunftsperspektive: „Das hängt davon ab, ob ich auch nächstes Jahr noch fahren will oder nicht.“ Nur um nach einer Kunstpause anzufügen: „Ich von meiner Seite aus bin sehr glücklich, wo ich jetzt bin. Und ja, wir wollen, dass das so bleibt.“ Als wüssten nicht alle, dass Mercedes und Aston Martin bereits öffentlich um seine Dienste buhlen. Der Niederländer besitzt zwar einen Vertrag bis 2028, aber offenbar mit einer Ausstiegsklausel, sollten sich die Verhältnisse im Management des Getränke-Rennstalls ändern – was als wahrscheinlich gilt. Unklar ist nur, ob in die eine oder andere Richtung. Die Verstimmungen zwischen dem Verstappen-Clan und Teamchef Christian Horner haben sich längst zu einer schwelenden Dauerkrise ausgewachsen.
So kommt es, dass plötzlich der dreifache Champion aus den Niederlanden mit dem zweifachen Weltmeister Fernando Alonso konkurriert. Denn auch der Alterspräsident der Formel 1 ist dort im Gespräch, wo es Verstappen hinziehen könnte. Und, wenn der 26-Jährige tatsächlich den derzeit besten Rennstall verlassen sollte, natürlich auch ein Mann für Red Bull Racing. Das würde dem 42-Jährigen im hohen Alter noch einmal die Chance eröffnen, zum dritten Mal Weltmeister zu werden – sein Lebenstraum, sein Lebenstrauma.
Geschickt relativiert er die Mutmaßungen, gleichwohl sein Manager Flavio Briatore bereits nach allen Seiten Interesse bekundet hat. Alonso gibt zum Auftakt in Suzuka vermeintlich Entwarnung: „Wenn Max Red Bull verlässt, dann könnte das schon Auswirkungen haben. Aber ich sehe null Chancen, dass er das Ende des Jahres tun wird. Deshalb denke ich gar nicht darüber nach.“ Bis zum Sommer, sagt der zweifache Weltmeister, will er seine Entscheidung getroffen haben, ganz seinem Ego entsprechend: „Ich werde nicht dem folgen, was andere tun, und sie diktieren nicht mein Schicksal.“ Der Instinkt dürfte Alonso aber sagen, dass sich bis dahin noch einiges ändern wird – in einer Formel-1-Saison, in der alles passieren kann. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass Red Bulls Designguru Adrian Newey von Aston Martin umworben wird. Das könnte Alonso zum Bleiben oder Verstappen zum Wechsel veranlassen, oder eben umgekehrt.
Und plötzlich ist auch Alonsos Landsmann Carlos Sainz, bislang eher als Beifahrer bei Ferrari gehandelt und entsprechend düpiert durch die Verpflichtung von Lewis Hamilton fürs kommende Jahr, wieder ein Trumpf im Vertragspoker. Der 29 Jahre alte Madrilene gibt einen Einblick in seine Bewerbungsgespräche: „Wir reden so ziemlich mit allen Rennställen. Jetzt geht es ums Detail, und darum, welche Optionen realistisch sind. Es wird Zeit, auf dem Transfermarkt Gas zu geben und die Dinge auf die Reihe zu bekommen.“ Allerdings scheint er der Einzige, der richtig aufs Gaspedal drückt. Alle anderen warten darauf, wer den ersten Zug macht, um sich dann eine bessere Position zu verschaffen – ganz wie beim Positionskampf auf der Rennstrecke.
Wolff führt wichtige Gespräche
Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der sich telegen mit Rennfahrervater Jos Verstappen und Flavio Briatore in Gesprächen zeigte, wägt seinerseits die richtigen Optionen für die Leerstelle von Hamilton ab. Zumindest nach außen hin spielt der Österreicher auf Zeit, andererseits darf er den richtigen Zeitpunkt (oder wie schon einmal Max Verstappen) nicht verpassen. Wolff schwankt zwischen Talent und Routine. Das könnten der 17 Jahre alte Italiener Andrea Kimi Antonelli sein und der Routinier Sebastian Vettel.
Der Heppenheimer, inzwischen 36, hat gerade Testfahrten im Sport-Prototypen von Porsche abgespult, und er kokettiert in Interviews gern mit Gedankenspielen zur Formel 1. Andererseits hat sich der vierfache Weltmeister stark in Richtung Familie und Umwelt-Aktivismus orientiert, weshalb für ihn bislang der Punkt zu einem Comeback nicht erreicht sei. Seine Aussagen bleiben kryptisch wie die von Verstappen – wohlwissend, dass jedes Wort interpretiert wird und seinen Marktwert nur steigern kann. Mercedes-Pilot George Russell bescheinigte, dass Vettel der Formel 1 fehle, sein alter Kumpel Lewis Hamilton findet: „Es wäre einfach fantastisch, wenn er zurückkommt. Er würde super in das Team passen.“ Und schon hat das PS-Schach eine weitere potenzielle Königsfigur hinzugewonnen.