Feier fürs Sondertrikot (von links): VfB-Aufsichtsrat Tobias Röschl, Künstler Tim Bengel, der vhy!-Chef und frühere VfB-Torwart Timo Hildebrand sowie der frühere VfB-Profis Christian Gentner. Foto: Lichtgut/Rettig

Nach sechs Stunden gibt es kein einziges Kraut-Kunst-Trikot mehr. Am Abend feiert der VfB Stuttgart mit Künstler Tim Bengel – und äußert sich zur Fan-Kritik.

Schon als Kind gingen ihm die Stadionbesuche bei Spielen des VfB Stuttgart unter die Haut. Tim Bengel, der international gefeierte Künstler aus Esslingen, fühlt sich „wahnsinnig geehrt“, dass er ein Sondertrikot für seinen Herzensverein entwerfen durfte. Am Dienstag kam der große Moment für ihn. Um Punkt 12 Uhr schaltete der VfB den Online-Shop mit dem heiß begehrten Sportdress frei.

Zeitweise harrten bis zu 100.000 Fans in der virtuellen Warteschlange aus, mussten bis zu zwei Stunden im Netz warten, um sich, sofern sie durchkamen, nur ein Exemplar für einen stolzen Preis kaufen zu dürfen. Bereits am Dienstag um 18 Uhr hieß es: Nix geht mehr. Alles ausverkauft.

Das Sondertrikot StuttgART war auf 1893 Exemplare limitiert und kostete exakt 189,30 Euro – denn 1893 ist der Verein gegründet worden. Als am Abend im veganen Restaurant vhy!, das Bengel gemeinsam mit dem früheren VfB-Torwart Timo Hildenbrand im Stuttgarter Westen betreibt, die Premiere der heiß begehrten Sammlerstücke mit geladenen Gästen (der VfB-Präsident und der VfB-Vorstandsvorsitzende sind nicht gekommen) gefeiert wird, sind die schwarzen Schätze schon nicht mehr regulär im Handel erhältlich.

Für bis zu 600 Euro wird mittlerweile ein einzelnes Exemplar bei Ebay oder auf anderen Portalen angeboten. VfB-Aufsichtsrat Tobias Röschl, Vertreter des Sponsors Jako, findet das nicht sehr lustig. Wer damit Kasse machen wolle, habe „unsere Idee, Fußball und Kunst zusammenzuführen“, nicht verstanden, sagt er im vhy!

Doch will in Wahrheit nicht auch der VfB mit dem teuersten Trikot in seiner Vereinsgeschichte selbst Kasse machen? Von den 189,30 Euro bekommt die VfB-Stiftung 20 Euro. Die Summe, die an Tim Bengel geht, wird zwar nicht verraten, sie soll aber nicht sehr hoch sein, sagen sowohl der Künstler als auch der Verein. Produziert wurde das Stück Stoff nicht in Deutschland, sondern in der Türkei, wo die Arbeitslöhne wesentlich geringer sind. Der größte Teil der Einnahmen geht also an den Verein, worüber sich viele Fans im Netz aufregen.

„Was für Drogen nehmt ihr?“

„Sorry, VfB, aber was für Drogen nehmt ihr, dass ein Trikot 189,30 Euro kosten muss?“, ist in den sozialen Medien zu lesen. Oder: „Ihr habt jeden Sinn für Realität verloren! Wollt ihr echte oder nur exclusive Fans in den VIP- Logen?“ Tim Bengel sagt, den Preis habe er nicht festgelegt, in dieser Frage habe man ihn nicht mitentscheiden lassen. Das schwarz-weiße Muster seines Entwurfs entspricht dem Querschnitt eines Filderkrautkopfes, für den der Künstler als Superfood wirbt. VfB-Aufsichtsrat Tobias Röschl verweist auf die Kunst, die man mit dem Trikot erwerbe – das habe seinen Preis.

Winamax verzichtet auf sein Logo

Für dieses Kunstwerk auf Jersey verzichtet Winamax sogar auf sein Logo auf dem Brustring. Wenn der VfB am 2. Dezember damit gegen Bremen aufläuft, wird stattdessen StuttgART zu lesen sein – Betonung auf ART wie Kunst. „Würde Winamax drauf stehen, hätte ich mir das Sondertrikot nicht gekauft“, sagt einer der Bengel-Kunst-Träger bei der Feier im vhy!

Die hitzige Debatte, die das Sondertrikot ausgelöst hat, begrüßt VfB-Aufsichtsrat Tobias Röschl. Wie lange der Shitstorm anhalte, werde sich zeigen. Dass in nur sechs Stunden alle 1893 Exemplare ausverkauft waren, zeige aber, dass sehr viele die Aktion gut fänden und nicht alle sie ablehnen würden.

Nach dem Talk wird Kraut serviert

Tim Bengel hat am Dienstag unzählige Anrufe und WhatsApp-Nachrichten bekommen. „Etwa 500 wollten, dass ich ihnen ein Trikot besorge“, sagt er, „und am besten zehn davon.“ Aber das könne er nicht. Sowohl Kritik als auch Lob habe er gehört. „Die einen sagten, ein VfB-Trikot müsse rot sein, nicht schwarz“, berichtet der 32-Jährige, „andere sagten, das sei das schönste Trikot in der Vereinsgeschichte.“ Immer wieder ist der Spott zu lesen, das Trikot habe was von einem Zebramuster. Christian Gentner, der frühere VfB-Star und heutige Leiter der VfB-Lizenzabteilung, sagt bei der Trikot-Feier im Talk mit Timo Hildebrand, die momentan „tolle Phase“ des Vereins fühle sich „stabil“ an, dennoch müsse man „demütig“ bleiben.

Nach dem Talk wird Kraut serviert. Für diese nachhaltige Kost wirbt Tim Bengel unermüdlich, etwa mit einem Krautfestival im Stadtpalais. Auch beim VfB-Spiel gegen Bremen, so hofft er, solle es „möglichst viel Kraut“ im Stadion gehe. Das schmecke nicht nur gut, sondern sei regional erhältlich. Wann wohl löst der Krautwickel die Stadionwurst ab?

Über die Zusammenarbeit freut sich der junge Künstler aus Esslingen sehr. „Das bringt die Kunst auf den Rasen und verbindet damit zwei fantastische Disziplinen“, schwärmt er und fährt fort: „Ich freue mich unglaublich auf den Spieltag und hoffe, dass wir mit dem Design viele VfB-Fans begeistern und darüber hinaus Aufmerksamkeit für Kunst, Kultur und unser regionales Superfood Kraut schaffen.“

Superfoods sind Lebensmittel, die mehr können als andere, die mehr Wirk- und Vitalstoffe liefern als die üblichen Nahrungsmittel. Kraut ist vitamin- und ballaststoffreich, ist obendrein regional und muss nicht hergeflogen werden. Vielleicht zuckt am 2. Dezember zumindest das Team von Bremen zusammen, wenn der VfB mit den Kraut-Trikots aufläuft.