Fast zehn Minuten spricht Habeck in seinem Video, das in sozialen Netzwerken vielfach geteilt wurde. (Archivbild) Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Fast zehn Minuten redet der Wirtschaftsminister in einem Video über Antisemitismus – und das Internet feiert Robert Habeck dafür. Was steckt hinter dem Erfolg des Clips?

Ein Politiker spricht fast zehn Minuten in eine Kamera: Das ist ein Format, mit dem man normalerweise auf keinen viralen Erfolg im Internet hoffen darf. Doch genau das ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit dem Video passiert, das er am Mittwoch in den sozialen Netzwerken Instagram und X (ehemals Twitter) teilte. In neun Minuten und 40 Sekunden äußert sich Habeck zur aktuellen Debatte und Antisemitismus. Und wird dafür gefeiert.

Seit Mittwochabend ist das Video millionenfach angezeigt und ausgespielt worden, Zehntausende Likes hat es bekommen. Das ist auch deshalb ungewöhnlich, weil es hier nicht um einen Shitstorm geht. Im Gegenteil: Viele Menschen, die das Video kommentieren oder teilen, überhäufen Habeck mit Zuspruch.

Lob von unerwarteter Seite

Nicht nur Parteifreundinnen und -freunde oder Grünen-Fans loben Habecks Statement, sondern auch CDU-Politiker wie Armin Laschet, Karin Prien und Roderich Kiesewetter. Sogar der umstrittene ehemalige „Bild“-Chef Julian Reichelt schrieb auf X: „Was Robert Habeck hier sagt, ist an moralischer Klarheit, rhetorischer Brillanz und vor allem tief berührender, aufrichtiger Empathie kaum zu überbieten.“ Wieso kommt das Video bei vielen so gut an? Und warum äußert sich gerade der Wirtschaftsminister auf diese Art?

In dem Video spricht Habeck über den Angriff auf Israel und seine Folgen. Er erinnert an die historische Verantwortung, die Deutschland gegenüber Israel trägt, und zeigt sich besorgt, dass Jüdinnen und Juden sich hier nicht mehr sicher fühlen. Er fordert von sämtlichen muslimischen Verbänden ein, sich klar von der Hamas zu distanzieren. Er verurteilt aber auch den verfestigen Antisemitismus in Deutschland – den der Rechtsextremen, aber auch in Teilen der politischen Linken.

Wie ein Pastor – und das funktioniert

Habeck spricht offenbar aus, was viele denken – und er spricht dabei auf eine Weise, die ihn glaubwürdig wirken lässt. Dass Habeck manchmal wie ein Pastor redet, wird ihm nicht selten zum Vorwurf gemacht. Aber genau das funktioniert hier: Man nimmt Habeck ab, dass ihn das Thema berührt. Nur deshalb bewegt diese Rede.

Und noch etwas gelingt Habeck: die feine Balance zwischen Klarheit und Differenzierung. Er sagt zum Beispiel: „Die hier lebenden Muslime haben Anspruch auf Schutz vor rechtsextremer Gewalt – zu Recht. Wenn sie angegriffen werden, muss dieser Anspruch eingelöst werden, und das Gleiche müssen sie einlösen, wenn Jüdinnen und Juden angegriffen werden.“ Mit solchen Sätzen ist seine Rede durchsetzt. Es sind Aussagen, zu denen ziemlich viele Zuhörende nicken dürften.

„Sie sollten Kanzler sein“

In den Kommentaren sind zwar vereinzelt auch kritische Stimmen zu finden, vor allem von propalästinensischer Seite. Von vielen wird Habeck aber regelrecht für sein Statement gefeiert. „Sie sollten Kanzler sein, Herr Habeck“, schreibt eine Nutzerin. Ein anderer schreibt: „Solche Reden hätte ich gerne von einem Bundeskanzler.“

Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass nun gerade der Wirtschaftsminister mit einem solchen Statement viral geht. Habeck hat sich auf Instagram schon immer wohlgefühlt. Auf der einstigen Foto-, heute wohl mehr Kurzvideo-Plattform lädt er regelmäßig kleine Clips von sich hoch, auch welche mit solchen Statements, überschrieben mit: „Ein paar Gedanken zu . . .“

Eine leise Ansage

Viele seiner Statements nimmt Habeck am Schreibtisch auf, manchmal auch von unterwegs. Gern im Hemd, ohne Sakko. Für dieses Video aber hat Habeck eine Krawatte umgelegt, er steht gerade vor der Kamera. Ihm dürfte bewusst gewesen sein, dass er den Auftritt liefert, den sich viele von einem Kanzler oder einem Präsidenten wünschen würden. Habeck ist immerhin Vizekanzler. Das Video lässt sich als leise Ansage lesen. „Ich wäre übrigens auch ein guter Kanzler“, diese Botschaft sendet Habeck.

Das dürfte nicht nur Olaf Scholz so wahrgenommen haben, sondern auch Annalena Baerbock, die wohl selbst gern wieder als Kanzlerkandidatin der Grünen antreten würde. Der kommt als Außenministerin im aktuellen Geschehen eigentlich die zentralere Rolle zu. Nun liegt die Aufmerksamkeit aber bei Habeck. Baerbock hat das Video übrigens nicht geteilt.