Der Tübinger OB Boris Palmer hat die Aktivistin Luisa Neubauer in einem Brief für ihren Ansatz beim Klimaschutz kritisiert. Bei den Grünen, Palmers ehemaliger Partei, könnten seine Thesen auf Skepsis stoßen.
Boris Palmer sorgt kurz nach seiner vierwöchigen Auszeit als Oberbürgermeister von Tübingen wieder für bundesweite Schlagzeilen: In einem Brief an die Klimaaktivistin Luisa Neubauer übt er Kritik an ihren Vorstellungen von Klimaschutz. In dem fünf Seiten langen Schreiben, das sich auf Neubauers Rede Ende Juni an der Uni Tübingen bezieht, wirft Palmer ihr einen „Frontalangriff auf das westliche Wohlstandsmodell“ vor.
In dem Brief trifft der Tübinger OB Aussagen, die wohl auch bei seinen ehemaligen grünen Parteikollegen auf Skepsis stoßen könnten, die Adressatin seines Schreibens ist selbst Mitglied bei den Grünen. Palmer hatte die Partei nach einem Eklat Ende April verlassen.
„Ohne Öl, Kohle und Gas hätten wir Armut, Siechtum und Elend“
Das ehemalige Grünen-Mitglied schreibt an Luisa Neubauer etwa: „Das CO2-Problem durch einen Wechsel des Verkehrsmittels zu lösen, ist schlicht zum Scheitern verurteilt. Da ändert auch das 9-Euro-Ticket nix.“ Oder: „Ohne Autos wird es absehbar nicht gehen.“ Nur eben ohne Auspuff, so Palmer. Der ÖPNV könne seiner Meinung nach nicht als Ersatz dienen, weil die Effekte für das Klima überschaubar blieben. Die Grünen aber betonen immer wieder, wie wichtig der ÖPNV für eine klimafreundliche Mobilität sei.
Darüber hinaus vertritt Palmer die These: „Ohne Öl, Kohle und Gas hätten wir Armut, Siechtum und Elend in großen Teilen der Welt.“ Milliarden Menschen wären ohne den Wohlstand durch fossile Energien in ihrer Kindheit gestorben. Für die Menschheitsgeschichte sei „ein fossiles Übergangsstadium“ deshalb unvermeidbar gewesen.
„Was wir aufgeben, würden aufstrebende Wirtschaftsmächte übernehmen“
Klimaschutz nur durch Verzicht – etwa auf den Traum vom Eigenheim, das eigene Auto oder Flugreisen – könne laut dem Tübinger OB nicht funktionieren. „Die große Mehrheit der Menschen will mehr vom amerikanischen Way of Life genießen, weil sie davon bisher noch sehr wenig hatte“, argumentiert Palmer. Auf bestimmte Dinge zu verzichten, würde laut Palmer nur dazu führen, dass „aufstrebende Wirtschaftsmächte mit Handkuss übernehmen, was wir aufgeben, und dabei höhere Emissionen jederzeit in Kauf nehmen.“ Mit einem Klimaschutzprogramm nach Neubauers Vorstellungen würden hierzulande Deindustrialisierung und Verarmung drohen.
Klimaschutz dürfe, so Palmer, nicht über allen anderen Anliegen stehen. Klar sei aber: „Er ist eine herausragende Aufgabe unserer Zeit, die wir nur bewältigen können, wenn wir alle einbeziehen.“
Luisa Neubauer hat auf Anfrage bislang noch nicht auf Palmers Brief reagiert. Von der Uni Tübingen, an der die Klimaaktivistin ihre Rede im Rahmen der Mediendozentur gehalten hatte, heißt es: „Wir begrüßen es sehr, wenn die Beiträge der Mediendozentinnen und Mediendozenten den öffentlichen Diskurs anregen, ganz besonders bei einem derart wichtigen Thema wie der Bekämpfung des Klimawandels.“