Fliegenlarven sind beim Futter nicht sehr wählerisch. Foto: Fraunhofer IGB

Wissenschaftler in Stuttgart entwickeln eine Insekten-Bioraffinerie. Auf dem Umweg über die Mägen von Insektenlarven sollen so aus Bioabfällen wertvolle Rohstoffe und Basischemikalien produziert werden.

In der blauen Kunststoffbox ist schwer was los. Überall wuselt und zappelt es. Am meisten Betrieb herrscht in der Ecke hinten rechts. Dort gefällt es den Bewohnern offenbar besonders gut, und sie haben schon eine kleine Ansammlung gebildet. Andere tummeln sich in dem bräunlichen Substrat, das ihnen Schutz und Nahrung bietet.

Es sind Larven der Schwarzen Soldatenfliege (Hermetia illucens). Sie sind hellbraun und rund 1,5 Zentimeter lang. Wenn sie groß genug sind, können sie sich verpuppen und neue Fliegen hervorbringen. Nicht so die Larven in der blauen Box. Sie sollen stattdessen als Quelle für Fette, Proteine und Chitin dienen. Daraus lassen sich unter anderem biobasierte Kraft- und Schmierstoffe, Reinigungsmittel, Kosmetika oder Beschichtungen herstellen, wie Susanne Zibek erläutert. Die promovierte Ingenieurin ist Gruppenleiterin Bioprozessentwicklung beim Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart.

Dort entsteht eine sogenannte Insekten-Bioraffinerie, die intern unter der Kurzbezeichnung InBiRa firmiert. Was die Larven als Rohstoffquelle interessant macht, sind nicht nur ihre Inhaltsstoffe, sondern auch ihre geringen Ansprüche ans Futter. Im Prinzip kommen dafür viele organische Materialien infrage – zum Beispiel alles, was üblicherweise in der Biotonne landet.

Keine Konkurrenz zur Nahrungsproduktion

Auch abgelaufene Produkte aus Supermärkten oder Lebensmittelabfälle, die nicht anderweitig verwertet werden könnten, seien gut geeignet, sagt Susanne Zibek. „Ziel ist es, eine höhere Wertschöpfung zu erzielen als bei der Kompostierung solcher Reststoffe.“ Die Larvenmast stelle auch keine Konkurrenz zur Nahrungsproduktion dar. Schließlich will niemand den Inhalt seiner Biotonne verspeisen.

Wenn die Larven groß genug sind, werden sie durch Sieben vom Substrat getrennt, blanchiert und mithilfe eines energieeffizienten Dampftrockners getrocknet. Dabei nehmen sie eine dunkelbraune Färbung an. Zur weiteren Verarbeitung kommen die Fliegenlarven in eine Presse, wie sie auch zur Gewinnung von Sonnenblumen- oder Rapsöl eingesetzt wird.

Unter der Presse steht ein Eimer, in dem sich eine ölige Flüssigkeit sammelt. Es handelt sich um das Fett der Insekten, das bei dieser Temperatur flüssig ist. Aus der Öffnung an der Vorderseite quillt der bräunliche Pressrückstand heraus, der vor allem aus Proteinen und Chitin aus den Hüllen der Larven besteht. Hinzu kommt das Restfett, das sich nicht herauspressen lässt. Es kann durch Extraktion mit einem Lösungsmittel gewonnen werden. Der Fettgehalt der Larven erreicht mit rund 40 Prozent fast das Niveau von Sonnenblumenkernen oder Rapssaat.

Ersatz für Kokosfett und Palmkernöl

Interessant ist nach Zibeks Angaben auch die Zusammensetzung des Insektenfetts: „Es enthält besonders viele mittelkettige Fettsäuren, wie man sie auch in Kokosfett und Palmkernöl findet.“ Deshalb könne es als heimische Alternative zu diesen tropischen Fetten dienen. Insbesondere Palmkernöl steht in der Kritik, weil Ölpalmen oft in Plantagen wachsen, für die tropische Regenwälder abgeholzt werden. Die Proteine aus den Larven könnten unter anderem als Ausgangsmaterial für biobasierte Klebstoffe, Bindemittel oder Verpackungsfolien dienen. Das Chitin lässt sich zu dem biologisch abbaubaren Polymer Chitosan weiterverarbeiten, das sich beispielsweise für die Beschichtung von Textilien eignet. Alles, was von den Larven sonst noch übrig bleibt und nicht als Rohstoff nutzbar ist, soll in die Produktion von Biogas und Pflanzendünger fließen – ganz wie es sich für ein Projekt zur Förderung der Kreislaufwirtschaft gehört.

Bislang laufen die einzelnen Schritte von der Zucht der Fliegenlarven bis hin zur Auftrennung und Weiterverarbeitung der Inhaltsstoffe noch im kleinen Maßstab ab. In der Insekten-Bioraffinerie sollen alle Prozesse zusammengeführt werden. „Mit InBiRa planen und bauen wir erstmals eine Insekten-Bioraffinerie-Pilotanlage, um Insektenlarven auf Abfallstoffen zu züchten und daraus im großen Maßstab sekundäre Rohstoffe zu gewinnen, die sich dann in hochwertige chemische Produkte umwandeln lassen“, sagt Susanne Zibek. An dem vom Land und der EU geförderten Projekt sind weitere Forschungseinrichtungen beteiligt. So etwa das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu), das die Ökobilanz im Vergleich zu anderen Verwertungsmöglichkeiten für Bioabfälle bewertet.

Chemische Weiterverarbeitung

In der Anlage soll auch die sogenannte Sekundärraffination der aus den Larven gewonnenen Rohstoffe ablaufen – also die chemische Weiterverarbeitung. Auf einem Tisch stehen einige Schraubgläser mit Flüssigkeiten. Eines enthält eine Verbindung von Fettsäuren und Alkohol – chemisch handelt es sich um einen Fettsäuremethylester, wie er etwa auch aus Rapsöl gewonnen werden kann. Die klare Flüssigkeit wird im Gegensatz zu reinem Fett nicht ranzig und lässt sich daher länger lagern. Sie eignet sich als Grundchemikalie für verschiedene Produkte – etwa für Schmier- und Treibstoffe.

Für die menschliche Ernährung seien die Rohstoffe aus den mit organischen Abfällen gemästeten Larven nicht gedacht, betont Susanne Zibek. Tierfutter mit Insektenproteinen wird dagegen bereits von einigen Herstellern angeboten.