Wahnsinn oder Genie? Der Milliardär Elon Musk bleibt umstritten. Foto: IMAGO/Political-Moments/IMAGO

Elon Musk (52) will eine Menschheit retten, zu deren Individuen er keine Beziehung aufbauen kann. Die am Dienstag erschienene Biografie von Walter Isaacson gewährt Einblicke in die komplexe Persönlichkeit des reichsten Mannes der Welt.

Elon Musk beeindruckte seinen Biografen Walter Isaacson mit seinem Genie, verzauberte ihn mit seinen Visionen, irritierte ihn mit seinen Ausbrüchen, unterhielt ihn mit seinen Eskapaden und ließ ihn darüber rätseln, was seinen Kern ausmacht. Was treibt diesen Menschen an, dessen Macht mit jedem seiner 52 Lebensjahre zu wachsen scheint? Ein Bündel an Widersprüchen, die in dem Wunsch des libertären Freiheitsidealisten nach Kontrolle kulminieren.

Isaacson bekam das am eigenen Leib zu spüren, als er am Wochenende vor dem Erscheinen seines mit Spannung erwarteten Buchs „Elon Musk“ einen Kotau vor dem Mann machte, der ihm zwei Jahre lang beispiellosen Einblick in seinen Lebensalltag gewährt, Familie, Weggefährten und Mitarbeiter zugänglich gemacht und darauf verzichtet hatte, das Manuskript vorab zu lesen.

Angriff verhindert

Auslöser war eine vorab publizierte Passage des Buchs, in dem der als Biograf von Apple-Gründer Steve Jobs bekannt gewordene Autor suggeriert, dass Musk persönlich die Verbindung der ukrainischen Streitkräfte zu seinem Starlink-Netzwerk gekappt hat, um einen Überraschungsangriff auf den Stützpunkt der russischen Flotte auf der besetzten Krim-Halbinsel zu verhindern.

Isaacson schildert in Kapitel 70, wie der Milliardär zunächst binnen kürzester Zeit half, die Internetversorgung in dem überfallenen Land mithilfe seines Satelliten gestützten Systems sicherzustellen. Aber das Gespräch mit einem russischen Diplomaten habe ihn später davon überzeugte, „ein Angriff auf die (Krim-) Halbinsel stelle eine rote Linie dar und könne eine atomare Antwort nach sich ziehen“. Um dies auszuschließen, habe Musk dann seine Ingenieure angewiesen, „den Satellitenempfang in einem Radius von hundert Kilometern, um die Krimküste abzuschalten“. Dies haben dazu geführt, dass ukrainische Unterwasserdrohnen mit Kurs auf die russische Flotte in Sewastopol keine Netzverbindung mehr aufbauen konnten und an Land gespült wurden. Als das ukrainische Militär die Starlink-Ausfälle realisierte, seien bei Musk verzweifelte aber erfolglose Bitten eingegangen, die Verbindung wiederherzustellen.

Starlink wurde nicht abgeschaltet

Die brisante Episode löste massive öffentliche Kritik aus. Der ukrainische Sicherheitsberater Mykhailo Podolyak sagte, die Weigerung habe zur Konsequenz gehabt, dass russische Schiffe Städte in der Ukraine angreifen konnten. „Das ist der Preis eines Cocktails aus Ignoranz und großem Ego.“

Musk fühlte sich genötigt, klarzustellen, dass er Starlink nicht, wie sein Biograf geschildert hatte, abschalten ließ. Das Netz sei über der Krim niemals aktiv gewesen. Er habe eine Anfrage der Regierung auf Freischaltung abgelehnt, weil die „den größten Teil der vor Anker liegenden russischen Flotte versenkt hätte.“

Der Autor gab klein bei. „Musk hat es nicht aktiviert, weil er dachte – vermutlich korrekt – dass dies einen großen Krieg auslösen würde“, räumte Starbiograf Isaacson ein. Ob es tatsächlich so war, bleibt indes fraglich. Eine investigative Recherche Ronan Farrow für den New Yorker enthüllt persönliche Telefonate Musks mit Wladimir Putin und Mitgliedern der US-Regierung, die Zweifel daran gerechtfertigt scheinen lassen.

Ein Kontrollfreak

Gewiss aber illustriert der PR-Gau vor der Publikation die Detailversessenheit, mit der Musk versucht, sein Umfeld zu kontrollieren. Erhellend dazu sind andere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, die Isaacson selbst beobachtet hat. Etwa die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter vergangenen Oktober für 44 Milliarden Dollar.

Er schildert, wie die „Musketiers“ genannten Loyalisten des exzentrischen Milliardärs interne Kritiker ausfindig machten, die dann gehen mussten. Oder wie Musk persönlich kurz vor Weihnachten Server aus einem Rechenzentrum in Sacramento abklemmte, obwohl ihn seine Techniker vor den Konsequenzen gewarnt hatten. Den Preis dafür zahlte der republikanische Präsidentschaftskandidat, der seinen Wahlkampf mit einem von Aussetzern geplagten Live-Event auf Twitter startete.

In der Darstellung Isaacsons sind es nicht bloß die großen Visionen von der multi-planetaren Zukunft der Menschheit (Starlink), die bis dahin ihr irdisches Dasein mit Elektrofahrzeugen und Energie aus der Sonne (Tesla), Transportröhren (The Boring Company), künstlicher Intelligenz (X.AI und Neuralink) erträglich machen, die den Serien-Unternehmer zum reichsten Mann der Welt aufsteigen ließen.

Bewunderung für Ingenieurskönnen

In einem Fernsehinterview drückte Isaacson seine Bewunderung „für sein Ingenieurskönnen“ aus. Musk sei nicht einer, der bloß die Ideen anderer ausgebeutet habe, sondern habe große Talente als Physiker und Ingenieur. Das allein genügte aber nicht, es braucht mehr zum Erfolg. „Manchmal sind große Innovatoren risikofreudige jungenhafte Männer, die sich gegen die Reinlichkeitserziehung sperren“, schreibt Isaacson. „Sie können rücksichtslos, peinlich und zuweilen sogar toxisch sein. Gelegentlich sind sie auch verrückt. Verrückt genug zu glauben, sie könnten die Welt verändern.“

Das ist mehr eine Beschreibung als eine Erklärung der komplexen Persönlichkeit Musks, die ohne das Trauma des gestörten Verhältnisses zu seinem Vater und dem Außenseitertum als Kind in Südafrika nicht zu verstehen ist. Dazu steuert Isaacson nicht viel Neues bei, was über die erste Musk-Biografie von Ashlee Vance hinausginge.

Maßgeblich für Musks Entwicklung waren der physische und emotionale Missbrauch durch den Vater Errol, dessen Rassismus und Hang zu Verschwörungserzählungen, aber auch dessen Ingenieurstalent. Sosehr er sich von seinem Vater abzugrenzen versuchte, holte ihn das toxische Verhältnis immer wieder ein. Wenn sie einmal wieder nicht weiter mit ihm wusste, pflegte Musks erste Frau Justine zu sagen: „Du wirst immer mehr wie Dein Vater“.

An der Oberfläche bleibt Isaacson Beobachtung, dass Musk keine „Empathie oder Gefühle“ habe. Der Milliardär sagt selbst, dass sein Asperger-Autismus es ihm „schwer macht, soziale Hinweise zu verstehen“. Das zeichnet auch die Musikerin Grimes aus, mit der Musk verheiratet war. Nachdem sie sich getrennt hatten, bekamen sie einen Sohn namens Techno Mechanicus. „Asperger macht jemanden zu einem sehr schwierigen Menschen“, erzählt sie Isaacson. „Wenn jemand Depressionen oder Angstzustände hat, haben wir dafür Verständnis. Aber bei Leuten mit Asperger heißt es einfach, das ist ein Arschloch.“

Das ist nicht der Eindruck, den der Autor im Buch vermittelt, das mehr Geschichten aneinanderreiht, als dem Menschen näher zu kommen.