Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder war am Sonntagabend bei Anne Will zu Gast. (Archivbild) Foto: imago images/Jürgen Heinrich/JÒ ¼rgen Heinrich via www.imago-images.de

Markus Söder (CSU) warnt im ARD-Talk bei Anne Will vor Kontrollverlust - und ein Bürgermeister äußert sich fassungslos.

Aus den Worten des parteilosen Bürgermeisters Frank Rombey aus Niederzier (Kreis Düren) sprach am Beginn der Talkrunde von Anne Will am Sonntagabend zur Migrationspolitik die pure Verzweiflung, am Ende aber schlug seine Stimmung in Empörung um, und er sagte den vier anderen Studiogästen: „Ich bin fassungslos über diese Diskussion. Ich hatte Lösungen erwartet.“ Auf seine Fragen, wer die Flüchtlingsarbeit in seiner überforderten Gemeinde finanziere solle und wer „die Arbeit“ mit den vielen Flüchtlingen machen solle, habe er keine Antworten erhalten.

„Wir sind faktisch voll“

Hat Deutschland mit der sprunghaften Zunahme der Flüchtlingszahlen – von Januar bis August diesen Jahres ein Plus um 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – nun die Belastungsgrenze erreicht? Das war die Leitfrage von Moderatorin Anne Will, und als Zeitzeugen hatte sie den Bürgermeister Rombey geladen, der klare Worte fand: „Wir sind faktisch voll. Meine Leute sind müde, wir haben ja noch andere Themen, etwa den Hochwasserschutz.“ Für die 847 Flüchtlinge in seinem 15.000-Einwohner-Ort habe er Wohncontainer angeschafft, zwei Dauereinrichtungen seien im Bau. Von den Kosten – 6,1 Millionen Euro – habe ihm das Land nur einen Bruchteil erstattet. „Es sind einfach zu viele Menschen, die kommen. Bei den Kitas, den Schulen, der medizinischen Versorgung – wir sind überall am Limit.“ Zwei Brandbriefe habe er schon an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen geschrieben.

Vorschlag aus der Mottenkiste

Eine einfache Lösung wird es in der Migrationspolitik nicht geben. Das machte schon die Wortwahl der politischen Kontrahenten in der Studiorunde - Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) - deutlich: Man müsse an „Stellschrauben“ drehen, so Söder, man müsse „viele Bausteine“ setzen, so Faeser. Der Bayer Söder setze zunächst einmal ein paar Pflöcke in die Debatte, an denen sich die anderen abarbeiteten. Er plädierte für eine Integrationsobergrenze von rund 200.000 Flüchtlingen als Richtwert im Jahr – und Anne Wills Frage, ob er da nicht die von seinem Vorgänger Horst Seehofer schon 2015 geforderte Obergrenze „aus der Mottenkiste“ hole, umspielte er mit der Erläuterung eines Konzepts, das diese „Richtgröße“ ja noch benötige. Zu schaffen sei ein „Deutschlandpakt gegen unkontrollierte Zuwanderung, denn sonst wird es unkontrolliert für unser Land“.

Baerbock soll in die Türkei

Söder empfiehlt stationäre Grenzkontrollen, einen Stopp von Sonderaufnahmeprogrammen, eine Ausweitung der Liste von sicheren Herkunftsländern, die Erhöhung der Rückführungsquote durch Verträge zur Rücknahme mit anderen Ländern. Da müsse Außenministerin Baerbock dann auch mal zu Gesprächen in die Türkei reisen, anstatt dieses Land immer nur zu maßregeln. „Eigentlich müsst der Bundeskanzler aber mal ran ans Thema“, so Söder. Wenn die Migrationsfrage nicht angegangen werde, dann erhalte die AfD die Chance, „unser Land als handlungsunfähig darzustellen.“ Große Stücke hält Söder auf die restriktive Asylpolitik in Dänemark und Österreich, und auch Bayern sei im Prinzip ein Vorbild: „Mit unseren stationären Grenzkontrollen haben wir seit 2015 rund 90.000 Fahndungserfolge erzielt. Wann kommt eigentlich die Grenzpolizei für ganz Deutschland?“ Im übrigen spiele beim Zuzug auch der finanzielle Anreiz eine Rolle, man bekomme hier halt „schnell sein Bürgergeld“.

Ukrainer als „Riesenbelastung“

Innenministerin Nancy Faeser äußerte Zweifel an Söders Ideen: „Ich finde es schwierig, von einer Obergrenze zu sprechen.“ So etwas widerspreche dem Europarecht und der Genfer Flüchtlingskonvention. Und was denn mit den 1,1 Millionen geflüchteten Ukrainern in Deutschland sei, seien die in der Integrationsobergrenze enthalten oder nicht? Die Aufnahme der Ukrainer sei im übrigen eine „Riesenbelastung“ für das Kita- und Schulsystem, und auch hier müsse man eine europäische Lösung finden, Länder wie Frankreich und Spanien nähmen nur wenige Ukrainer auf. Faeser verwies auf die Segnungen der bald in Kraft tretenden europäischen Asylreform und verteidigte das bestehende Grenzschutzsystem: „Wir haben jetzt schon Grenzkontrollen über die Schleierfahndung.“ Stationäre Grenzkontrollen seien teuer und personalaufwendig, aber nicht immer effektiv, da die Menschen auch über die Grüne Grenze kämen. Gleichwohl seien stationäre Grenzkontrollen auch möglich.

Rückführung läuft nicht effizient

Systematischer als Faeser nahm Victoria Rietig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Söders Liste auseinander: Der praktische Effekt einer Flüchtlingsobergrenze sei „gleich Null“. „Das ist so, wie wenn ich dem Briefträger sage, er soll mir nur 100 Briefe bringen. Es kommen dann aber doch 200 und die wird er bringen, weil ich ja nicht umziehen kann.“ Was die viel gepriesenen Gespräche mit Ländern über Rückführungen anbelange, seien die Wirkungen ebenfalls überschaubar: Mit Georgien und Moldau sei man da weit fortgeschritten, aber die Gesamtzahl der Betroffenen liege bei nur 10.000. Was Marokko, Algerien, Tunesien und Indien anbelange – ebenfalls Gesprächskandidaten – liege die Zahl bei 5000 abgelehnten Asylverfahren. Die Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen in Deutschland aber liegt bei 280.000. Einen konkreten Fingerzeig für eine bessere Rückführung aber hatte Rietig immerhin: Die müsste in Deutschland zentralisiert werden – es gebe da im föderalen System doch „ineffiziente, zersplitterte Strukturen“.

Heftige Kritik an Dänemark

Die restriktive Asylpolitik anderer EU-Staaten empfand Rietig als wenig nachahmenswert. Dänemark lässt das Vermögen von Geflüchteten beschlagnahmen, hat ihnen die Sozialleistungen gekürzt und will Straftäter unter den Flüchtlingen im Kosovo inhaftieren lassen, Österreich wiederum trifft Eilentscheidungen über Asylanträge mitunter binnen drei Tagen. „Man sollte die Maßnahmen in Dänemark und Österreich nicht verklären“, so Rietig. Dies seien kleine, zentralistisch geführte Staaten. Das dänische Gefängnis im Kosovo sei noch gar nicht gebaut, im übrigen sei Deutschland der „Magnet“, und Österreich habe zwar seine Einwanderungsquote gedrückt, aber offenbar zulasten Deutschlands. Die Flüchtlinge hätten die Routen geändert, statt über Italien und Österreich kämen sie nun über Tschechien über die deutsche Grenze, dort hin, „wo die Jobs sind“. Nancy Faeser hält die Politik Dänemarks sogar für „unverantwortlich“, das Land werde seiner europäischen Verpflichtung nicht gerecht.

Am Recht auf Asyl rüttelt keiner

Auch die ARD-Journalistin Isabel Schayani berichtet vom Lockreiz des deutschen Passes, der sei nun mal attraktiv und viele Syrer kämen beispielsweise hier her, weil es hierzulande bereits syrische Communitys gebe. Natürlich könne man darüber nachdenken, wie man den Zuzug bremsen könne. „Aber wir dürfen doch das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“, so die „Weltspiegel“-Moderatorin. Im Iran beispielsweise seien im vergangenen Jahr 20.000 Menschen bei politischen Protesten verhaftet worden, man habe Demonstranten ins Auge und Frauen in die Genitalien geschossen. „Wie soll man denn aus einem solchen Land legal nach Deutschland kommen?“ fragte Schayani. Das Auswärtige Amt stelle nun mal keine humanitären Visa aus. Das individuelle Grundrecht auf Asyl wollte in der Talk-Runde übrigens niemand abschaffen. Auf doppeltes Nachfragen verneinte dies auch Markus Söder, denn, so setze er hinzu, das bringe ja nichts.