Jeder vierte Beschäftigte in Deutschland arbeitet aktuell teils oder ganz weiter im Homeoffice. Vor der Pandemie war es zum Vergleich nur etwa jeder Zehnte. Foto: Imago//Joseffson

Die Pandemie ist vorbei, aber viele Beschäftigte wollen im Homeoffice bleiben – oder lieber kündigen, wenn das nicht geht. Das stellt Betriebe vor neue Herausforderungen. Eine Nürnberger Softwarefirma hat dafür eine ungewöhnliche Lösung gefunden.

Jürgen Schlag weiß, was Firmen mit vielen Schreibtischjobs umtreibt. „Ihre größte Frage ist, wie bekomme ich die Menschen wieder ins Büro“, sagt der Geschäftsführer des Büroplaners Designfunktion. Nach drei Coronajahren wollen aber viele Arbeitnehmer gar nicht raus aus dem Homeoffice. Wie kann dieses Spannungsfeld aufgelöst werden?

Klar ist, dass die Menschen Blut geleckt haben: Jeder vierte Beschäftigte in Deutschland arbeitet aktuell teils oder ganz weiter im Homeoffice. Vor der Pandemie war es zum Vergleich nur etwa jeder Zehnte.

Homeoffice ist für viele wie eine Lohnerhöhung

Vor allem eine hybride Mischung aus Büro- und Heimarbeit ist den Beschäftigten einiges wert. „Befragte setzen die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, mit fünf Prozent Lohnerhöhung gleich“, weiß der Vizechef des Ifo-Zentrums für Makroökonomik Matthias Dolls. Das sei ein globaler Durchschnittswert, der sich bei Befragungen in vielen Ländern von 2021 bis heute herauskristallisiert habe, sagt der Wirtschaftsforscher. Deutsche Arbeitnehmer ordnen Homeoffice sogar knapp sechs Prozent Lohnerhöhung zu. So etwas gibt man nicht einfach wieder her.

Im Schnitt arbeiten Beschäftigte hierzulande pro Arbeitswoche 1,1 Tage im Homeoffice, hat Dolls ermittelt. Das sei so beliebt, dass gut jeder Vierte dafür bereit sei, den Arbeitgeber zu wechseln. Dazu passt eine andere Erkenntnis: Seit 2021 steige die Bereitschaft, für eine Stelle weiter zu pendeln, nachdem diese jahrelang stagniert habe, sagt Wolfgang Dauth vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Bislang profitieren vor allem Firmen aus Großstädten

„Das gilt aber nur für Berufe, die sich für mobiles Arbeiten eignen“, betont der Arbeitsmarktforscher. Wer nur noch ein paar Arbeitstage pendeln müsse, nehme dafür eben längere Strecken in Kauf. „Für Firmen steigt dadurch das Arbeitskräftepotenzial“, stellt Dauth klar. Mittels Homeoffice-Modellen könnten Firmen auch mehr weibliches Personal finden oder die Inklusion Behinderter vorantreiben. Profitieren würden dabei aber bislang nur Firmen aus der Großstadt, weil sie die Homeoffice-Vorreiter seien und Firmen auf dem Land eher konservativ und traditionellen Arbeitswelten verhaftet.

Als Vorreiter sieht sich die Nürnberger Softwarefirma Datev. „Präsenz war vor Corona bei uns der Normalzustand“, sagt die Datev-Personalchefin Julia Bangerth. Dann kam pandemiebedingtes Homeoffice und eine überraschende Erkenntnis: „Das funktioniert besser, als wir uns vorgestellt haben“, erzählt die Personalerin. 2022 dann seien mit dem Auslaufen der Pandemie Ängste im Personal entstanden, wieder fünf Tage die Woche ins Büro zu müssen. „Es war klar, wir brauchen schnell eine Betriebsvereinbarung“, sagt Bangerth und schildert den Weg dorthin.

Datev hat eine revolutionäre Lösung

Eine pauschale Regelung zur wöchentlichen Dauer von Homeoffice für alle lasse immer Verlierer und Unzufriedene zurück, warnt sie. Die von Datev gefundene Lösung klingt revolutionär. „Das Team entscheidet, nicht die Führungskraft, und wir haben das bisher nicht bereut“, sagt Bangerth zu einer Art selbstverwaltetem Homeoffice. Resultat der Freiheit: „Die Anwesenheit nimmt wieder zu und pendelt sich bei 30 bis 40 Prozent Gebäudeauslastung ein“, freut sich die Datev-Personalchefin.

Ein Selbstläufer sei das aber nicht und selten im ersten Anlauf erfolgreich. „Es braucht neue Kompetenzen im Team und bei Führungskräften“, betont sie. Führen auf Distanz sei eine Herausforderung, bei der Vertrauen gefragt sei, was manchem Vorgesetzten schwer falle. Bei Beschäftigen wiederum sei ein neues Maß an Selbsteinschätzung gefragt. Was erarbeite ich besser zu Hause, was besser im Büro? „Das ist nicht leicht, wenn man 20 Jahre lang gesagt bekommen hat, das ist dein Schreibtisch, und hier ist deine Arbeit“, warnt Bangerth.

Führungskräfte fürs Menschliche

Datev habe Führungskräfte deshalb nun spezialisiert. Es gebe welche rein für das Fachliche, andere für Teambelange und Dritte für rein Menschliches. „Anfangs wollten alle die fachliche Rolle haben und haben die Führungskräfte für Personal belächelt als die, die mit den Leuten Kaffee trinken“, erzählt die Managerin. Das habe sich aber verändert, als der Mehrwert offensichtlich wurde, der auch für Firma und Produktivität in persönlicher Ansprache steckt.

Die Frage sei nicht Homeoffice oder Büroarbeit, sondern die bestmögliche Verknüpfung von beidem, findet auch Büroplaner Schlag. Wie die Arbeitswelt einer Firma aussieht, sei ein wichtiger Teil der Unternehmens-DNA, die von Beschäftigten stark wahrgenommen wird. Büroräume nach dem Vorbild von US-Konzernen wie Google mit Wohlfühlinseln, Barista und Orten zum Treffen zu gestalten sei das eine, Vertrauensarbeitszeiten und Vertrauensarbeitsorte zuzulassen das andere.

Künstliche Intelligenz macht mehr Homeoffice möglich

Das Problem, innerbetrieblich eine Zweiklassengesellschaft zu schaffen zwischen Jobs, die homeofficefähig sind, und denen, wo das nicht geht, werde künftig auch durch Künstliche Intelligenz und Digitalisierung geringer werden, glaubt Schlag. „In Fertigungsbetrieben wird es künftig möglich sein, Maschinen auch von zu Hause aus zu steuern“, meint er. Büroarbeit werde es aber auch in Zukunft weiterhin geben.

Forschung zum Homeoffice

Studie I
Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung hat sich in den vergangenen Jahren viel mit Arbeit in den eigenen vier Wänden beschäftigt. In einer Studie wurden Erwartungen von Beschäftigten zu ihrer Produktivität vor Homeoffice-Beginn verglichen mit ihren Erfahrungen, die sie dann im Homeoffice gemacht haben. Ergebnis: Rund zwei Drittel waren überrascht und haben sich selbst höhere Produktivität attestiert, nur 13 Prozent eine schlechtere.

Studie II
In einer zweiten Studie wurde dann gefragt, inwiefern Arbeitgeber auch nach dem Auslaufen der Pandemie weiter Homeoffice erlauben. Dabei hat Ifo eine klare Korrelation festgestellt. Wo Mitarbeiter sich im Homeoffice als produktiver eingeschätzt haben, blieb ein größeres Maß an Homeoffice erhalten. Ifo folgert daraus, dass sich die Mitarbeiter richtig eingeschätzt haben, Firmen das erkennen und darauf reagieren.