Auf Jérôme Boateng ist trotz aller derzeitiger Nebengeräusche Verlass Foto: dpa, AFP, Getty (5)

Neuer, Hummel, Boateng, Khedira, Kroos, Müller und Özil sind die tragenden Säulen des deutschen Teams bei der WM in Russland.

WMEs hätte in diesen Zeiten nicht verwundert, wenn nicht 23 Nationalspieler am Mittwochmorgen zum ersten Mal zu ihrem WM-Trainingsplatz mit dem Bus vorgefahren wären, sondern ein Staatsoberhaupt in seiner gepanzerten Karosse im Moskauer Vorort Watutinki vorbeigekommen wäre. Denn schon mehrere Kilometer entfernt, an der Ausfahrt der mehrspurigen Autobahn stadtauswärts, stehen bewaffnete Polizisten. Kurz vor dem Sportgelände von ZSKA Moskau, auf dem die deutsche Nationalelf während der WM trainiert, dann noch mal – und an den noch strenger bewachten Sicherheitsschleusen zeigen Typen, die mit ihren Blicken wohl jeden aggressiven Dobermann bändigen könnten, ihre geballte Präsenz. Und ihren Schlagstock. Als Begleitmusik piepen die Detektoren an den Sicherheitsschleusen lauter als an jedem Flughafen. Auch im Vesperbrot könnte ja ein Sprengsatz versteckt sein. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist russisch.

Diese WM steht ganz offenbar in besonderem Maße im Zeichen der Sicherheit, eben beinahe so, als würde hoher Staatsbesuch erwartet. Das erste Training der deutschen Nationalelf auf russischem Boden lieferte davon einen ersten Eindruck. Die Abwehr scheint zu stehen – zumindest die neben dem Platz. Auch sonst scheint die allgemeine Hysterie bisweilen überhandzunehmen. Kurz bevor Löws Jungs den Platz betraten, erzeugten die 500 Fans und einige Medienvertreter eine arg auf Aufregung getrimmte Atmosphäre, fast so, als würden gleich Madonna, Robbie Williams und Justin Bieber zusammen für ein Konzert vorfahren. Und nicht 23 Fußballer, die nur das machen, wofür sie in Russland sind: trainieren und dann im Stadion spielen.

Wie gut, dass es im deutschen Kader in der Hysterie noch immer Typen gibt, die, wie das dann so schön heißt, alles erlebt haben. Die ruhig und geerdet bleiben, wenn es darauf ankommt – und die wissen, was zu tun ist bei einem großen Turnier. Es sind: die Helden von Rio 2014, die auch in Moskau dringend gebraucht werden.

Tragende Säulen

Und das nicht nur, wenn es darum geht, die allgemeine Aufregung vor dem ersten Gruppenspiel an diesem Sonntag (17 Uhr) ein wenig zu dämmen. Die Weltmeister Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos, Sami Khedira, Mesut Özil und Thomas Müller waren schon entscheidende Bausteine bei der WM 2014 in Brasilien – und sie sind jetzt die tragenden Säulen in Russland. Vor allem in sportlicher Hinsicht.

Wenn die Zeit der WM-Vorbereitung eines lehrte, dann das: Ohne die Weltmeister von 2014 geht auch 2018 nichts. Das lässt sich schon an der Person Sami Khedira festmachen. Beim Test gegen Österreich (1:2) fehlte es nach Khediras Auswechslung im Team an Struktur und Ordnung. Es war fast so, als hätte man dem deutschen Spiel eine Art inneren Kompass entzogen.

Aber auch Khedira alleine kann die Ordnung aus dem Mittelfeld heraus nicht herstellen – dazu braucht es vor ihm und hinter ihm Spieler, die wissen, wie wichtig Stabilität ist. Und wie man sie auf dem Platz herstellt. Spieler wie Thomas Müller, die ein Gespür dafür haben, wie diese Stabilitätsbaustelle kurz vor der WM abzuarbeiten ist. „Wir müssen mit Intensität die Passwege des Gegners schließen, damit die Verteidiger und defensiven Mittelfeldspieler den kürzeren Weg zum Gegner haben“, sagt Müller. Auf Deutsch also: Schon ganz vorne geht die Abwehrarbeit los.

Was sonst passiert? Schau nach bei den WM-Tests. Selbst gegen die Wüstenkicker aus Saudi-Arabien kam die deutsche Elf in arge Bedrängnis aufgrund mangelnder Zusammenarbeit zwischen den Mannschaftsteilen, weshalb Mats Hummels mal einen Schrei losließ, der bis unters Stadiondach hallte. 2014 holte die Elf den Titel, weil sie Zusammenhalt entwickelte. Harte Arbeit, die Fehler des anderen ausmerzen, das braucht es nun auch in Russland. Mit Spielern wie Innenverteidiger Hummels, dessen Nebenmann Boateng und auch Torhüter Manuel Neuer, die dieses Auftreten von hinten heraus so wie in Brasilien steuern. Die wissen, worauf es ankommt.

Da aber auch in Russland neben der Stabilität auch noch Tempo und Spielwitz benötigt werden, braucht es einen weiteren Helden von 2014 auch 2018. Toni Kroos entwickelte sich beim Turnier 2014 zum Taktgeber der deutschen Elf – der er bis heute geblieben ist. Kroos hat sich seither zum Weltstar entwickelt, er ist der Chef bei Real Madrid. Er ist die Passmaschine. Und der Mann, der die Spieler, die in Rio noch nicht dabei waren und nun mit ihrem Tempo eine neue Note ins deutsche Spiel bringen, in Russland in Szene setzen soll.

Pass von Kroos auf den schnellen Marco Reus oder auf den schnellen Timo Werner, am besten steil, das soll es jetzt zu sehen geben. Kroos ist also gleichsam die Klammer von 2014 bis 2018. Er war damals dabei und soll das Neue im Team, den damals verletzten Reus und den jungen Werner, nun in die Spur bringen. Dort also, ganz vorne im deutschen Spiel, in dem Timo Werner trotz seiner Fähigkeiten vor seinem ersten großen Turnier noch eine Unbekannte ist. Dort also, wo auch deshalb wieder einmal Thomas Müllers Fähigkeiten als Raumdeuter, als Vorbereiter und als Vollstrecker gefragt sein werden.

Müller ist ja gerne überall auf dem Platz unterwegs, nur nach hinten links verschlägt es ihn dann doch eher selten. Dabei ist die Außenverteidigerposition in der Viererkette vielleicht die größte Achillesferse im deutschen Team. Der Kölner Jonas Hector ist ein Schwachpunkt – gut möglich, dass in der Not noch einer aus der 2014er-Riege ran muss. Der Defensivmann Matthias Ginter ist defensiv flexibel einsetzbar. Auch hinten links.