Man tut Nicolas Gonzalez unrecht, ihn als Sinnbild einer verkorksten Saison Foto: AFP - AFP

Markus Weinzierl und Tayfun Korkut versäumten es, sich genug um die jungen Kräfte zu kümmern. Das soll sich mit VfB-Coach Tim Walter ändern. Er war ein erfolgreicher Nachwuchsförderer und soll das in Stuttgart bleiben.

Stuttgart Die tragische Figur ist dann mal weg. 12 000 Kilometer entfernt in Belén de Escobar. Im Kreis der Familie will sich Nicolas Gonzalez in der Provinz Buenos Aires von den Strapazen eines Fußballjahres erholen, das so verheißungsvoll für ihn begonnen hatte und mit einem bitteren Video-Standbild endete – der Stürmer des VfB Stuttgart, wie er im Abseits stehend ein direktes Freistoßtor von Dennis Aogo im Relegationsrückspiel bei Union Berlin verhindert.

Dieser Treffer hätte den Abstieg des VfB womöglich abwenden können, weshalb Gonzalez jetzt als das Sinnbild einer verkorksten Saison dasteht. Allerdings ist der 21-jährige Argentinier mehr das Opfer einer Fehlentwicklung als ein Sündenbock. Denn als der Angreifer im Sommer nach Stuttgart kam, startete er in den ersten Vorbereitungsspielen durch. Er selbst hatte das Gefühl, „gerade mit jedem Körperteil Tore erzielen zu können“. Das schraubte die Erwartungen nach oben.

Zu hoch waren sie letztlich, wie die Fallhöhe nun verdeutlicht. Gonzalez hat lediglich zwei Bundesliga-Treffer erzielt, aber unzählige Chancen vergeben. Er ist vor allem aber kein besserer Fußballer geworden. Trotz der vielen Einsatzzeit – aber vielleicht auch gerade wegen ihr. „Im Grunde war es gar nicht vorgesehen, dass Nicolas Gonzalez so viel spielt“, sagt der Manager Thomas Hitzlsperger.

Laufen, was die Beine hergeben

Behutsam sollte der Südamerikaner aufgebaut werden, an der Seite des erfahrenen Marion Gomez. Doch der Plan ist nicht aufgegangen. Gonzalez musste laufen, was die Beine hergaben. Er versuchte auch nahezu jeden hohen Pass per Kopf zu verlängern. Wobei doch weniger mehr gewesen wäre für den übereifrigen Stürmer. „Wir hatten zu keiner Phase der Saison ein stabiles Mannschaftsgebilde“, sagt Hitzlsperger, „da ist es für die jungen Spieler nicht einfach, sich zu entwickeln.“ Weshalb einmal mehr die Theorie zum Tragen kam, dass es der VfB auf rätselhafte Weise schafft, die schwachen Seiten seiner neuen Spieler hervorzukehren.

Nicolas Gonzalez, Santiago Ascacibar, Anastasios Donis, Borna Sosa, Pablo Maffeo – alles begabte Jungs, die für viel Geld verpflichtet wurden, in Stuttgart jedoch nur stockend vorankommen. Sie wurden durch die Wirren des Abstiegskampfes nach unten gezogen. Und die Liste der verhinderten Perspektivspieler ließe sich fortführen. Hitzlsperger kennt die Namen alle und begegnet der Misere mit einem positiven Beispiel: Benjamin Pavard. „Er dient als Vorbild“, sagt der Sportchef.

Der Weg des Franzosen hat ihn in drei Jahren beim VfB zu einem Topspieler gemacht und auf den WM-Gipfel geführt. Daran orientiert sich Hitzlsperger. Auch mit Blick auf die eigene A-Jugend. „Es ist sehr erfreulich, dass die U 19 am Sonntag die Chance hat, das Double zu gewinnen“, sagt der Manager. Weil sich an diesem Jahrgang zeigt, dass sich gute Ergebnisse und eine entsprechende Entwicklung nicht ausschließen müssen. Im Idealfall ergänzen sie sich sogar. Leon Dajaku und Antonis Aidonis sind die beiden Hochbegabten aus den Reihen der A-Junioren, die bereits über einen Profivertrag verfügen. Luca Mack hat schon häufig oben mittrainiert, und weitere Eigengewächse sind im Blickfeld.

„Vielleicht ist es für sie jetzt in der 2. Bundesliga leichter“, sagt Hitzlsperger, „entscheidend wird jedoch sein, wie wir die Talente in Zukunft heranführen.“ Das wird eine der Hauptaufgaben des neuen Cheftrainers sein. Tim Walter wurde auch deshalb verpflichtet, weil er ein erfolgreicher Nachwuchsförderer war und bleiben soll. Als Jugendcoach des Karlsruher SC lieferte er sich emotionale Duelle mit einem gewissen Julian Nagelsmann, als der noch im Jugendbereich von 1899 Hoffenheim tätig war. Auch brisante Derbys mit dem VfB sind überliefert. „Er bringt sehr viel Leidenschaft für die Jungen mit“, sagt Hitzlsperger über Walter.

Dominante Spielidee

Mit einer dominanten Spielidee und durch mehr Siege als Niederlagen sollen jetzt in der zweiten Bundesliga Erfolg und Entwicklung in Einklang gebracht werden. Neue Leistungsstandards für das Team und viel individuelle Trainingsarbeit sind dazu angesagt. Letzteres ein Versäumnis, das intern Walters Vorgängern Markus Weinzierl und Tayfun Korkut vorgehalten wird. Sie hätten sich nicht intensiv genug um die jungen Kräfte gekümmert. Als Beispiel dient Gonzalez. Während seiner dreiwöchigen Sperre wurde mit ihm nicht extra an seinem Torabschluss gefeilt. Ihm wurden auch keine nützlichen Laufwege aufgezeigt. Der Argentinier sollte einfach immer nur rennen und springen.