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Mit gepflegten Pässen und feiner Technik allein wird der VfB Stuttgart die Wende zum Guten nicht hinbekommen. In den kommenden Wochen ist ein widerborstiger Fußball gefragt.

StuttgartMan hat lange nichts mehr von ihr gehört. Was vermutlich damit zusammenhängt, dass sie seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen wurde. Dort oben in Schottland, wo das Ungeheuer von Loch Ness sein Unwesen treiben soll. „Nessie“ haben es die Einheimischen getauft, weil sie ihre Seeberühmtheit nicht als menschenfressendes Monster betrachten, sondern als ein liebenswertes Geschöpf.

Doch so genau weiß das keiner, weil es sich zum einen um Sage handelt und zum anderen um ein Phänomen, das seit 1933 durch die Gazetten geistert. Und solche Erscheinungen sind selten zu greifen, manchmal nicht einmal zu begreifen. So verhält es sich ja auch mit den sogenannten Mentalitätsmonstern des VfB Stuttgart. Sie sind ebenfalls abgetaucht. Warum, ist nicht zu erklären. Denn noch vor einem halben Jahr wurden Routiniers wie Christian Gentner, Mario Gomez, Ron-Robert Zieler und auch Holger Badstuber dafür gelobt, dass sie ein neues Leistungsklima beim VfB geschaffen hätten.

Weiter, immer weiter sollte es mit den Siegen gehen, das schien das lange ersehnte Denk- und Verhaltensmuster zu sein. Ohne viel Getöse, aber mit großem Ehrgeiz. Die Jungen orientierten sich an den Alten. Gemeinsam bildeten sie eine Mentalitätsmannschaft, um nach oben zu kommen.

Nun ist die Realität eine andere: Der VfB hängt als Tabellenletzter unten und in der sportlichen Krise wäre es an der Zeit, dass sich die Siegertypen in besonderer Form zeigen. „Es geht aber nicht ausschließlich um die Führungsspieler“, sagt der Manager Michael Reschke, „jeder einzelne Spieler ist gefordert, denn wir müssen die schwierige Situation als Team gelöst bekommen.“

Elf Ascacibars müsste der VfB haben

Also stehen neben Gentner, Gomez und Zieler, die allesamt mit sich selbst zu tun haben, auch talentierte Kräfte wie Benjamin Pavard und Timo Baumgartl in der Pflicht. Zumal sie Badstuber aus der Anfangself verdrängt haben. Das spricht für den Weltmeister und den U-21-Nationalspieler, obwohl Pavard noch nicht das Topniveau aus der Vorsaison erreicht hat.

Nachvollziehbar, da der 22-jährige Abwehrmann später in das Training eingestiegen ist und ein WM-Erfolg die Ansprüche verändert. Aber es wäre wohl zu viel verlangt, dass die recht stabile Innenverteidigung mit Pavard und Baumgartl bereits jetzt einer torkelnden Mannschaft Halt gibt. Trotz des Reifeprozesses, den Baumgartl offensichtlich durchlaufen hat. Dennoch kann den VfB-Profis in puncto Mentalität ein 21-Jähriger als Vorbild dienen: Santiago Ascacibar. Der Mittelfeldspieler rennt, was die Beine hergeben. Und er haut sich in jeden Zweikampf, so dass sie beim VfB die Messlatte in Sachen Intensität und Leidenschaft an dem 1,68 Meter kleinen Argentinier ausgerichtet haben.

Elf Ascacibars müssten die Stuttgarter also haben, um am Samstag (15.30 Uhr) gegen Borussia Dortmund zu bestehen – gegen diese spielerische Leichtigkeit, die zu einem Lauf und bis auf Platz eins der Bundesliga geführt hat. Doch der neue VfB-Trainer Markus Weinzierl hat eben nur einen Ascacibar und dafür noch ein paar Akolos in seinen Reihen.

Mit gepflegten Pässen und feiner Technik allein wird der VfB die Wende zum Guten jedoch nicht hinbekommen. Auch trägt die Überzeugung nicht weit, es wird schon nichts Schlimmeres passieren, denn man verfüge ja noch über reichlich Zeit und genügend gute Fußballer. Als Irrglaube kann sich das schnell herausstellen, wie die Stuttgarter aus leidvoller Erfahrung wissen sollten. Jahrelang hingen sie an der Mercedesstraße dieser These der Scheinqualität an und waren 2016 plötzlich zweitklassig.

Noch ist es zwar zu früh, Alarmglocken schrillen zu lassen, aber im Team herrschen Zweifel, ob alle im Verein bereit sind, den Abstiegskampf auszurufen und sich bedingungslos wieder darauf einzustellen – oder ob sie lieber Europapokalträumen nachhängen. Der Blick auf die Bilanz müsste allerdings wachrütteln: Nur zwei Punkte hat der VfB gegen den FSV Mainz 05, den SC Freiburg, Fortuna Düsseldorf und Hannover 96 gesammelt – vier Clubs, die der unteren Ligahälfte zugerechnet werden. Und jetzt kommen andere Kaliber.

„Gegen Dortmund und Hoffenheim haben wir nur nur eine Chance zu punkten, wenn wir diesen Mannschaften mit extremer Mentalität begegnen“, sagt Reschke. Wille und Wucht, Emotionalität und Effektivität sollen wieder kombiniert werden und einen widerborstigen Fußball ergeben, der den Gegnern die Lust am Spielen nimmt. Das ist die große Herausforderung.