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Damit Anfahren am Berg keine Hürde mehr ist

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Damit Anfahren am Berg keine Hürde mehr ist

Kupplung drücken, Gas geben, schalten und auf Gegenverkehr achten. Autofahren ist am Anfang ganz schön schwer. Fahrpraxis bekommen Neulinge auf dem Verkehrsübungsplatz in Sirnau. Es bleibt nicht aus, dass es immer wieder mal kracht – ob am Blech oder zwischen Fahrer und Beifahrer.

Damit Anfahren am Berg keine Hürde mehr ist

Sonntags können Fahranfänger auf dem Verkehrsübungsplatz Sirnau mit dem Auto oder Motorrad ihre Runden drehen. Fotos: Roberto Bulgrin

So mancher wird sich vielleicht ein Leben lang an sein erstes Mal und an diesen Ort erinnern. Hier, auf dem Verkehrsübungsplatz Sirnau haben wohl viele Generationen ihre ersten Fahrversuche gemacht. Neugierige Blicke von Zaungästen muss keiner fürchten, wenn es mit dem Anfahren am Berg nicht funktioniert oder das Getriebe bedenkliche Laute macht. Denn der Platz liegt versteckt hinter einem grünen Wall aus Bäumen und Büschen. Seit über fünfzig Jahren können Fahranfänger auf dem Gelände des Motorsportclub Esslingen (MSCE) mehr Sicherheit im Umgang mit dem Auto oder dem Motorrad gewinnen – ganz ohne Fahrlehrer. Meistens sind es Vater oder Mutter, die auf dem Nebensitz Platz nehmen und das Steuer dem Nachwuchs überlassen. Nicht immer klappt das reibungslos. Der MSCE hat schon die tollsten Sachen erlebt. Bernd Schlichenmaier, langjähriger Vorsitzender des Vereins, erinnert sich etwa an einen VW-Käfer, der in den 1980er-Jahren seine Übungs-Runden drehte. Schlichenmaier traute seinen Augen kaum, als genau dieses Auto plötzlich wieder zum Eingang hereingetuckert kam. Wie konnte das sein? Der Fahranfänger hatte die Kurve nicht gekriegt, war querfeldein gefahren und plötzlich auf der Sirnauer Straße gelandet. Legendär sei auch der Kleinbus gewesen, der beim Anfahren gleich so viel Gas gegeben hat, das er erst auf dem gegenüberliegenden Abhang wieder zum Stehen kam. „Es passiert immer wieder mal etwas“, erzählt Schlichenmaier, „aber wir hatten die ganzen Jahrzehnte immer Glück, dass es bei Blechschäden blieb“.Auch an diesem Sonntagmorgen gibt es einen Unfall. Eine junge Frau sitzt zerknirscht im Wagen, während ihre Mutter mit dem Abschleppdienst telefoniert. Für Schäden, die auf dem Gelände passieren, haftet in der Regel der Halter des Wagens. Es herrscht dicke Luft zwischen den beiden. Aus unerfindlichen Gründen ist die Fahranfängerin vom Weg abgekommen und hat dabei ein paar Betonklötze gerammt. Jetzt ist der Vorderreifen platt und der Kotflügel hat eine Delle. Fahrtauglich ist der Wagen nicht mehr. Schlichenmaier und seine Kollegen kennen solche Situationen. Oft genug bekommen sich Fahrschüler und Lehrmeister auch aus weniger folgenschweren Anlässen in die Wolle. „Wir halten uns aus Streit immer lieber raus“, sagt Schlichenmaier und lacht. „Egal, was man sagt, man kann es nur falsch machen.“

Nur einen Standard-Ratschlag geben die Mitarbeiter den Übungswilligen am Eingang mit auf den Weg: Fahrerwechsel lieber nicht gleich vor dem Tickethäuschen, denn da müsste der Fahrneuling gleich mal am Berg anfahren. Dann lieber etwas weiter oben, wo es eben oder sogar leicht abschüssig ist. Doch für die junge Frau, die gerade mit ihrem Partner die Plätze getauscht hat, ist das kein Problem. Der Motor heult auf, vielleicht etwas zu viel Gas – aber der dunkle Mercedes startet trotz Schräge problemlos in die erste Runde. Auch ein junger Motorradfahrer übt an diesem Vormittag. Die Anweisungen bekommt er von seinem Vater über Kopfhörer.

Wer auf den Übungsplatz kommt, zahlt für mindestens eine Stunde. Weil es der einen Seite häufig an Einsicht und der anderen mitunter an Nachsicht fehlt, brechen manche Übungswillige und ihre Begleiter aber schon vorher ab. Trotzdem ist der Verkehrsübungsplatz Sirnau sehr beliebt. „Die Besucher kommen teilweise aus der ganzen Region“, berichtet Schlichenmaier. Viel Abwechslung hat der rund ein Kilometer lange Rundkurs dabei nicht zu bieten. Aber genau diese Übersichtlichkeit schätzen viele und kommen gezielt hierher. Mit Gas, Kupplung und Bremse zurechtzukommen, ist für viele aufregend genug. Es gibt keine Ampeln, keinen Mittelstreifen und bis auf die Hinweise, dass hier Tempo 30 gilt, auch keine komplizierten Verkehrsschilder. „Die werden eh nur umgefahren“, sagt Bernd Schlichenmaier. Aber es gibt es eine kleine Parkbucht. Kunststoffmülltonnen simulieren andere parkende Autos und dürfen beim Einschlagen auch mal angerempelt werden. Rechts vor links – das ist die einzige Regel, die sich die Fahrneulinge hier merken müssen. Wenn möglich, sollte man mit einem älteren Auto auf den Übungsplatz kommen. „Wenn man mit Anfahr- und Einparkhilfe übt, bringt es halt nicht so viel“, rät Schlichenmaier. Auch fühle sich der Beifahrer meistens etwas wohler, wenn es für den Notfall noch eine Handbremse gibt. Moderne Autos hätten stattdessen oft nur noch einen kleinen Hebel.

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Seit rund 50 Jahren gibt es den Platz. Auch das Schild ist etwas in die Jahre gekommen.

Je nach Jahreszeit und Wetter kommen an einem Sonntag bis zu 50 Fahrerinnen und Fahrer nach Sirnau, schätzt Herbert Schankula, zweiter Vorsitzender des Motorsportclubs Esslingen. Weil während des Lockdowns die Fahrschulen schließen mussten, war der Andrang zeitweise besonders groß. Nicht nur junge Anfänger kommen, um das in der Fahrschule Gelernte zu üben. Bernd Schlichenmaier hat beobachtet, dass immer mehr Seniorinnen und Senioren, die seit Jahrzehnten einen Führerschein haben, ihre Fahrpraxis trainieren möchten. Er erinnert sich auch an einen Fahrer, der Prothesen bekommen hatte und deshalb die richtigen Einstellungen in seinem Auto ausprobieren und ein paar Runden fahren wollte. Zehn Euro kostet eine Stunde auf dem Sirnauer Verkehrsübungsplatz, jede weitere angefangene fünf Euro. Meistens lohnt sich das Üben. „In der Fahrschule kostet eine Stunde jedenfalls deutlich mehr“, weiß Schankula.

Das idyllisch gelegene Grundstück des Verkehrsübungsplatzes gehört der Stadt. Der Verein, der 1923 in Plochingen als Motorrad-Sport-Vereinigung Esslingen gegründet und zwei Jahre später als ADAC-Ortsclub anerkannt wurde, hat es gepachtet. Auflage war und ist, dass der Verein das Gelände nicht nur für seine Mitglieder als Trainings- oder Wettkampfgelände nutzt, sondern dass auch eine Verkehrübungsanlage mit regelmäßigen Öffnungszeiten betrieben wird. Nach dem Krieg wurde der Verein als Motorsportclub Esslingen im ADAC neu gegründet. Von 1964 bis Anfang der 70er-Jahre wurde die Anlage gebaut, das Vereinsheim folgte 1988. Früher fanden auf dem Gelände auch größere Motorveranstaltungen statt, etwa Läufe zur Deutschen Meisterschaft im Moto-Cross- und Kartsport. Inzwischen wird hier aber vor allem trainiert. Oberhalb der Asphaltstraße gibt es dafür einen ganz besonderen Parcours: eine schmale Erdpiste mit kleinen Hindernissen aus Baumstämmen oder Reifen, eine Schotterfläche, kleine Steilhänge und sogar Holztreppen, die Könner mit ihren Zweirädern hoch- und runterfahren können. Dieser Teil der Anlage war einst eine Motocross-, später dann eine BMX-Strecke. 2012 haben Vereinsmitglieder diese Strecke wiederbelebt, seit 2014 findet hier das Enduro-Training statt. Längst geht es aber nicht mehr um Wettkampf. „Wir fahren nicht auf Geschwindigkeit, es geht darum, die Enduro besser im Alltag kontrollieren zu können“, betont Herbert Schankula. „Man lernt, Gefahrensituationen besser einzuschätzen, das hilft auch draußen auf der Straße.“ Wer möchte, könne die Hindernisse jederzeit umfahren oder mit den kleineren anfangen. „Es ist ein langsames Herantasten“, erklärt Schankula. Es gibt auch eine Strecke für Kinder. Enduros sind geländegängige Motorräder mit einer hochgelegten Auspuffanlage. Die Maschinen haben aber auch eine Straßenzulassung und die dafür nötigen Sicherheitseinrichtungen. Neben der Enduro- gibt es beim MSCE auch ein Supermoto-Abteilung, die seit 1999 auf dem Verkehrsübungsplatz trainiert. Den größten Unterschied zu Cross- und Enduro-Motorrädern gibt es bei der Bereifung. Supermotos fahren mit meist profillosen Straßenreifen beziehungsweise Slicks und auf wesentlich kleineren Felgen.

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Die Erdpiste wird vor allem fürs vereinsinterne Training genutzt. In regelmäßigen Abständen gibt es aber auch Fahrangebote für Externe, die sich vorher anmelden müssen. Das Angebot ist beliebt. Für den Verein ist das nicht zuletzt eine wichtige Einnahmequelle. Die jüngsten Vereinsmitglieder fangen bereits im Grundschulalter mit dem Training an. „Die Maschine zu kontrollieren, ist richtig anstrengend, es ist Sport“, erzählt der zweite Vorsitzende. Eine Motorradstrecke, die so nah an der Stadt sei, gebe es selten. Auf die Anwohner nimmt man deshalb besonders Rücksicht. Trainiert wird nur zu eingeschränkten Zeiten und nicht an Sonntagen. Denn die Zweiräder machen nun mal etwas Lärm, den man teilweise bis nach Zell hört. Mittlerweile gibt es aber auch bei den Enduros Elektro-Maschinen. „Wir wollen Konflikte auf jeden Fall vermeiden“, betont Schankula. Die Vereinsmitglieder sind auch sonst um Balance bemüht: Einerseits möchte man in die Naturidylle – Feldhasen, Rehe, Waschbären und sogar Biber wurden schon gesichtet – so wenig wie möglich eingreifen. Gleichzeitig will man ein gutes Training bieten können.„Es ist ein ganz spezieller Ort“, sagt Schankula über die Sirnauer Anlage. Petra Pauli

Regeln auf dem Verkehrsübungsplatz

Üben mit Begleitung: Auf dem Verkehrsübungsplatz Sirnau, Sirnauer Straße 33, darf mit Autos und mit Motorrädern geübt werden. Voraussetzung ist, dass der Fahrschüler mindestens 16 Jahre alt ist und von einer Person begleitet und angeleitet wird, die einen gültigen Führerschein besitzt und die nötige Erfahrung mitbringt. Wer mit Anhänger üben möchte, sollte vorher anfragen. Weitere Information gibt es auf der Homepage des Motorsportclub Esslingen und telefonisch unter 07 11/31 80 881. Geöffnet ist der Platz von März bis Dezember, sonntags von zehn bis 16 Uhr. Eine Stunde kostet zehn Euro, jede weitere fünf Euro.

Tempolimit: Einparken, Wenden, das Anfahren am Berg oder das Einhalten der Vorfahrtsregeln – all das kann geübt werden. Die Fahrgeschwindigkeit muss dabei stets an das Können des Fahrschülers angepasst sein. Generell darf auf dem Gelände aber nicht schneller als 30 Stundenkilometer gefahren werden. pep

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