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Esslingen: Pflegeberufe befinden sich im Umbruch

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Gesundheit

Esslingen: Pflegeberufe befinden sich im Umbruch

Demografischer Wandel macht sich unter anderem im Gesundheitswesen bemerkbar, Kliniken leiden an Arbeitskraftmangel.

Esslingen: Pflegeberufe befinden sich im Umbruch

Robert Reichel und Christina Nako vom Klinikum Esslingen demonstrieren ihre Arbeit an einer Puppe. Foto: Roberto Bulgrin

ESSLINGEN. Der demografische Wandel verändert die deutsche Gesellschaft so tief greifend wie kaum eine andere gesellschaftliche Entwicklung. Das macht sich unter anderem im Gesundheitswesen bemerkbar, das sich auf eine wachsende Patientenzahl einstellen muss. Gleichzeitig leiden die Kliniken aber - wie viele andere Bereiche - an einem Mangel an Arbeitskräften. Auch das hat zumindest teilweise mit dem demografischen Wandel zu tun. Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Rentenalter - hier brechen in den kommenden Jahren ganze Heerscharen an Fachkräften weg.

Im Klinikum Esslingen stellt der Pflege- und Funktionsdienst die meisten Mitarbeitenden - insgesamt 800, von denen viele in Teilzeit arbeiten. Im sogenannten Funktionsdienst sind Bereiche wie die Anästhesie, Herzkatheter und Intensivpflege zusammengefasst. Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die dort arbeiten, und nach wie vor spielen alte Rollenmuster eine gewichtige Rolle. So nehmen dem Statistischen Bundesamt zufolge Frauen deutlich häufiger Elternzeit in Anspruch als Männer. Im Jahr 2022 waren gut ein Viertel aller Mütter, deren jüngstes Kind unter 6 Jahren ist, in Elternzeit. Unter den Vätern traf dies nur auf knapp zwei Prozent zu.

Auch andere Eltern-Kind-Themen belasten nach wie vor Frauen. Fehlende Kitaplätze werden meistens von Frauen kompensiert, die beruflich sehr viel häufiger zurückstecken als Männer. Auch hier gibt das Statistische Bundesamt eine eindeutige Auskunft: 2020 arbeiteten zwei Drittel aller erwerbstätigen Mütter in Teilzeit. Bei Vätern in derselben Situation waren es zuletzt rund sieben Prozent. Teilzeit, Elternzeit, die Doppelrolle als Arbeitnehmerin und Mutter - das „„heizt“ in typischen Frauenberufen das Thema Fachkräftemangel weiter an, so Silke Bortenlänger, die Pflegedirektorin Klinikums des Esslingen.

Als wäre das alles noch nicht genug, suchen zahlreiche Fachkräfte nach anderen Berufen. Bortenlänger spricht von einer Berufsflucht. Gerade die Jüngeren legten einen ganz anderen Schwerpunkt auf die Work-Life-Balance“, also ein Gleichgewicht aus Berufs- und Privatleben, wobei es in der Regel das Ziel ist, den Privatbereich stärker zu gewichten. Konkret sieht das so aus, dass Pflegekräfte nach anderen Arbeitgebern suchten, bei denen es keine Nacht- und Wochenenddienste gebe. Von den Jüngeren gingen viele ins Studium. Aus der Sicht Bortenlängers sind allerdings für all diese Probleme auch Lösungen oder doch zumindest Lösungsansätze in Sicht. Die Bezahlung sei inzwischen gut, besser sogar als in vergleichbaren Berufen. Vor allem aber passe das Klinikum seine Arbeitszeitmodelle den Wünschen der Mitarbeitenden an. „Alles Denkbare ist möglich“, sagt Bortenlänger. Die Frage sei nicht mehr, ob etwas geht, es gehe nur noch darum, wie es sich am besten organisieren lässt. Damit verbunden ist natürlich ein großer Aufwand, etwa beim Erstellen des Dienstplans.

„Für die Führung ist das eine sehr komplexe Steuerungsaufgabe, die nicht einfacher wird.“ Aber Bortenlänger lamentiert nicht: „Es ist eine neue Zeit, der müssen wir uns stellen. Das ist alternativlos.“ Die Mitarbeitenden müsse das ohnehin nicht unbedingt interessieren - sie bekämen im Idealfall eine maßgeschneiderte Arbeitszeit. Um die Arbeit noch attraktiver zu machen, gibt es auf einigen Stationen im Esslinger Klinikum für jedes gearbeitete Wochenende einen zusätzlichen freien Tag. In einem Jahr können das 24 Tage zusätzlich werden - fast fünf Urlaubswochen.

Zahl des Tages

Heute: Pflegedienst in Deutschland
486100 Beschäftige arbeiten laut dem Statistischen Bundesamt im Pflegedienst in Krankenhäusern. Stichtag der Erhebung ist der 31. Dezember 2020. Fast eine Million Pflegekräfte arbeiteten 2019 in Heimen und ambulanten Diensten, davon fast zwei Drittel in Teilzeit. Die Verdienste von Pflegefachkräften lagen 2021 rund ein Drittel höher als 2011. jmf

Sehr viele Pflegekräfte kommen inzwischen aus dem Ausland. Umso wichtiger werden die Anstrengungen, diese zu integrieren. „Wir haben kaum eine Kultur, die wir nicht haben“, sagt Silke Bortenlänger. Sprachförderung, gemeinsames Kochen, Wohnraum, Kindergartenplätze - in all diesen Feldern bemüht sich das Klinikum darum, den Pflegekräften einen möglichst optimalen Start zu ermöglichen.

Ist die Zufriedenheit in der Belegschaft groß, sorge das zunächst einmal für eine gute Atmosphäre. Es helfe mitunter aber auch bei der Anwerbung neuer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer - auch aus dem Ausland. Bortenlänger: „Die Eigenwerbung gerade bei Azubis ist für uns zu einer wichtigen Säule geworden.“

Das Zitat des Tages

Fata: Roberta Bulgrin
Fata: Roberta Bulgrin

„Es ist eine neue Zeit, der müssen wir uns stellen. Das ist alternativlos.“

Silke Bortenlänger, Pflegedirektorin


Neben diesem Thema drängt sich noch ein ganz anderes stärker in den Vordergrund: die Revolutionierung des sozialen Alltags durch die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz (KI). Silke Bortenlänger, die Pflegedirektorin am Klinikum Esslingen, verfolgt die Diskussionen zur KI. Aus ihrer Perspektive birgt das Thema allerdings mehr Chancen als Risiken. Der bürokratische Aufwand sei enorm, die derzeitigen Programme kämen den schnell anwachsenden Anforderungen nicht hinterher. Das raube den Pflegekräften sehr viel Zeit, die sie eigentlich für die kranken Menschen benötigten. Silke Borten länger ist aber optimistisch: „In zehn bis zwanzig Jahren wird keiner mehr davon reden - da kann und muss die Kleine wichtige Rolle spielen.“ Johannes M. Fischer

Die Direktorin und ihr Team

Pflegedirektorin Silke Bortenlänger arbeitet seit 2022 als Pflegedirektorin am Klinikum Esslingen. Sie war zuvor Krankenschwester an der Universitätsklinik Ulm, wechselte dann zum Universitätsklinikum Tübingen und machte dort eine zusätzliche Ausbildung als Fachkrankenschwester Anästhesie und Intensivmedizin. Anschließend wechselte sie ins Klinikum Stuttgart, wo sie verschiedene Führungspositionen inne hatte.

Pflege- und Funktionskräfte Laut Bortenlänger arbeitet sie in erster Linie in einem „Empathieberuf“. Würde ein interessierter Mensch danach fragen, was den Beruf ausmache, würde sie sagen: „Sie sind Sie den Patienten ein guter Berater und Begleiter. Das ist der Kern.“ Bei all den Tätigkeiten, also der Hilfe bei allen Verrichtungen, beim Aufstehen, Essen, Trinken, Schlafen, Ankleiden, Waschen sei das Allerwichtigste „die Empathie und die Freude bei der Begegnung mit kranken Menschen“. jmf

Land fördert kreative Ideen in der Pflege

STUTTGART. Mit insgesamt rund sieben Millionen Euro fördert das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration im kommenden Jahr innovative Projekte in der Pflege. Im Fokus stehen unter anderem Modellprojekte im Bereich der Kurzzeitpflege oder zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung. Das hat Sozial- und Gesundheitsminister Manfred Lucha bekannt gegeben und zugleich die Betreiber von Einrichtungen und Projektträger aufgerufen, Anträge für das „Innovationsprogramm Pflege 2024“ zu stellen. „Wir müssen an vielen Stellen ansetzen, um das Angebot und die Versorgung in der Pflege zu verbessern“, sagte der Minister.

Der Aufruf zum Innovationsprogramm Pflege 2024 ist deshalb sehr offen formuliert. „Das haben wir bewusst so gemacht, um Raum für kreative Anträge zu lassen. Vor Ort wissen die Verantwortlichen selbst am besten, was sie brauchen und was zu ihnen passt - da möchte ich ausdrücklich zu unkonventionellen Ansätzen ermuntern“, erläuterte Minister Lucha. Die Landesregierung fördert seit 2011 jährlich modellhafte Projekte zur Verbesserung der Betreuungs- und Strukturqualität im Pflegebereich. jmf

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